68. Fehler

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Minutenlang saßen wir einfach nur auf dem Boden, während der Pausenhof um uns sich leerte und der Unterricht wieder begann. Doch das alles interessierte uns nicht.

»Kannst du aufstehen?«, fragte Mik irgendwann vorsichtig.

Ich zog die Nase mit zusammengekniffenen Augen hoch und schluckte, bevor ich nickte und mich von Mik auf die Beine ziehen ließ. Mein Bauch spannte schmerzhaft und verkrampfte sich, doch ich versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren.

»Stegi!« Ich hob den Blick und erkannte, wie mein bester Freund auf mich zulief und mich in seine Arme zog. Ohne nachzudenken erwiderte ich seine beruhigenden Berührungen und unser Streit von heute morgen war schon lange wieder vergessen.

»Ich hasse diese Idioten dafür. Ich hasse sie so sehr.«

Gemeinsam gingen wir zu einer der Bänke, die überall am Rand des Pausenhofs standen, ignorierten die Tatsache, dass der Unterricht eigentlich schon wieder begonnen hatte, und ich verzog kurz das Gesicht vor Schmerzen, als ich mich darauf fallen ließ.

»Es tut mir so leid. Wir haben nichts davon mitbekommen. Die Jungs wollten mich gerade ins Klassenzimmer bringen, als wir Dennis begegnet sind.«

»Dennis?«, hakte Mik sofort nach. Er sah Tobi mit großen Augen an und wirkte dabei so unglaublich verletzlich. Tobi nickte.

»Er war mit Louis und Max unterwegs. Beide haben so unglaublich mies gegrinst und Tim richtig provozierend angeschaut. Du hättest Louis' Blick sehen müssen, als Dennis bei uns stehen geblieben ist und uns gesagt hat, wir sollten besser mal nach euch schauen. Louis schien richtig sauer auf ihn zu sein deswegen. Aber Dennis hat auch mega schuldbewusst gewirkt.«

Ich lächelte leicht und bekam neben mir mit, wie Mik fast schon zu strahlen begann. Schien so, als wäre Dennis doch nicht zu dem eiskalten Feigling geworden, der seine Freunde schamlos verriet. Schien so, als hätte er doch noch ein Gewissen und eine eigene Meinung, auch wenn diese gerade nicht allzu ausgeprägt schienen.

»Und Veni und Tim? Wo sind die jetzt?«

Tobi lachte einmal kurz auf.

»Tim hat getobt und ist sofort Max hinterher. Veni hat kurz überlegt, ist dann aber ihm nach. Ich glaube, der hatte Angst, Tim würde ihn umbringen.«

Stumm musterte ich den Boden vor meinen Füßen und versuchte, alle Emotionen zurückzudrängen. War Tim tatsächlich so ausgeflippt, weil Max mich angegriffen hatte? Und warum ließ dieser Gedanke immer noch Wärme in mir aufsteigen, obwohl ich Tim hasste, hassen sollte? Hasste ich ihn? Wenn ich ganz ehrlich war? Nein. Warum hasste ich ihn nicht? Sollte ich ihn nicht hassen? Was Tobi da erzählte, wie Tim reagiert hatte. Das passte überhaupt nicht in mein Bild von ihm. Tim hatte mich nur ausgenutzt. Mich verändern wollen. Es war ihm eigentlich egal, was sein Bruder mit mir machte. Oder? Passte es wirklich nicht? Passte es nicht eigentlich sogar ziemlich genau in das Bild, das ich von ihm hatte? War nicht das genau der Tim, den ich gekannt hatte? Der Tim, der mich immer verteidigt hatte? War dieser Tim nicht eigentlich bloß eine Täuschung von dem echten, dem Alpha gewesen? Ein Trick? Und warum fühlte er sich dann immer noch so real an? Warum hatte ich immer noch das Gefühl, dass dieser Tim, der nette, existierte und nicht bloß eine Erfindung gewesen war?

»Stegi?«, fragte mein bester Freund vorsichtig, »Tim macht sich echt Vorwürfe. Er macht sich Sorgen um dich. Stimmt es, dass du nichts mehr mit ihm zu tun haben willst?«

Ich sah ihn verwundert und erschöpft an, atmete einmal tief durch, was sich sofort als Fehler herausstellte, als es in meiner Brust schmerzhaft zu stechen begann. Irgendwas schien verletzt zu sein. Und damit meinte ich nicht mein Herz.

»Tim hat mir bloß etwas vorgespielt. All die Zeit. Er hat mich verändert. Ich wäre beinahe zu so einem Omega geworden, Tobi. Zu so einem.«

Ich konnte nicht anders, als die letzten Worte noch einmal zu betonen.

»Ich glaube nicht, dass er das wollte, Stegi.«, versuchte es Tobi vorsichtig und wäre ich nicht so erschöpft und damit beschäftigt gewesen, die Schmerzen, die Max mit zugefügt hatte, zu verdrängen, hätte ich ihn mit Sicherheit nicht weitersprechen lassen.

»Tim macht sich totale Vorwürfe. Er will unbedingt mit dir sprechen, aber du läufst immer weg. Er hat die ganze letzte Nacht nicht geschlafen aus Angst, dir könnte auf der Straße etwas passieren. Veni ist irgendwann um vier Uhr oder so zu ihm, weil Tim uns keine Ruhe gelassen hat. Er hat jede halbe Stunde angerufen, ob du aufgetaucht wärest, obwohl wir ihm mehrmals versprochen hatten, ihm Bescheid zu geben, wenn wir etwas von dir hören.«

Ich schluckte, schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht der Tim. Nicht der Tim, der er doch eigentlich wirklich war. Nicht der, der mich belogen hatte. Immer wieder murmelte ich dieses eine Wort vor mich hin, dieses immerwährende »Nein«.

Das war nicht so. Das konnte nicht sein. Warum glaubten alle immer noch an den Tim, den er mir vorgespielt hatte? Wieso tat ich es sogar selbst? Ich hatte doch gesehen, wie er war. Ich hatte bemerkt, wie ich mich verändert hatte. Nein, wie er mich verändert hatte. Ich mich verändert hatte. War er wirklich schuld an meiner Veränderung? War ich es nicht irgendwie selbst gewesen? Hatte ich ihm Unrecht getan? War er wirklich der, der er zu sein gewesen schien?

Ich war so unglaublich verwirrt, wusste beim besten Willen nicht mehr, was ich denken oder glauben sollte. Alles was ich noch wahrnahm, während ich mit Tränen, die über meine Wangen liefen, meinen Kopf in meinen Händen vergrub und meine Knie an den Körper zog, so dass ich zusammengekauert auf der Bank saß, waren die gleichmäßigen Bewegungen Tobis, der mir unaufhörlich über den Rücken strich. Ich konzentrierte mich nur noch darauf, blendete meine gesamte restliche Umwelt aus und wehrte mich schon gar nicht mehr, als sich irgendwann zwei Arme um mich legten und an einen Oberkörper zogen, der neben mir saß. Erschöpft kuschelte ich mich an den warmen Körper und genoss das vertraute Gefühl der Geborgenheit. Irgendwann innerhalb der nächsten Minuten nahm ich wohl wahr, dass es Tim war, an den ich mich hier schmiegte, dessen ruhigen Herzschlag ich lauschte und der mich mit seinem Geruch ummantelte, aber es war mir egal. Ich hatte ihm unrecht getan, das wusste ich inzwischen. Vielleicht hatte Tim einen Fehler gemacht, wahrscheinlich hatte er es auch nur gut gemeint. Aber er war trotzdem der Tim, den ich geliebt hatte und immer noch liebte. Der Tim, dem ich vertraute. Der Tim, der immer für mich da gewesen war, seitdem wir uns kannten. Das war keine Maske, kein Spiel. Ich war bloß zu dumm gewesen, das zu erkennen. Ich war so dumm gewesen. Das wusste ich inzwischen und ich hoffte so sehr, dass alles wieder so werden würde, wie es gewesen war. Immer noch drückte Tim mich beschützerisch an sich und schien sich inzwischen sicher zu sein, dass ich ihn nicht wegschubsen würde, denn ich spürte immer wieder seine Lippen, die sich sanft auf meinen Haaransatz legten und mir leichte Küsse aufdrückten. Nach und nach begann ich zu begreifen und mein Körper entspannte sich immer mehr. Tim liebte mich immer noch. Er würde mir verzeihen, wie dumm ich gewesen war und er würde mich dennoch weiterhin als seinen Freund wollen. Ich würde mich bei ihm entschuldigen, ich musste einfach. Aber ich hatte keine Angst mehr, dass er mir nicht verzeihen würde. Tief in mir glaubte ich, dass er es bereits getan hatte.

Daunted and Broken ~ #Stexpert ~ #Kostory ~ #VenationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt