Gerade, als ich mich zum Chemieunterricht begeben will, zieht sich mein Bauch zusammen. Oh Gott, bitte nicht jetzt. "Scheiße!", zische ich leise. Oh Gott, wann waren die Schmerzen zuletzt so stark? Das kommt von der Milch. Hoffentlich hält das nicht lange an. Ich hoffe einfach, dass es nicht die starken Schmerzen sind, die so verdammt lange anhalten. Bestimmt waren Haselnüsse drinnen – bei Haselnüssen endet der Spaß. Ich lehne mich angespannt an die Wand, beuge mich halb mit angezogenen Armen am Bauch vor. Die Schmerzen sind immerhin nicht so stark, dass ich das Gefühl habe, mich übergeben zu müssen. "Shana?" Kann es sein, dass Ramazan mich verfolgt? Gott, ist mir warm! "Alles in Ordnung? Was ist los?", fragt er besorgt. Diese Schmerzen sind nicht mehr normal! Hoffentlich muss ich nicht aufs Klo. "Schon gut. Ich will nur zur Bank." Dass ich gekrümmt gehe, weil mein Bauch total randaliert, lässt sich gar nicht ändern. Nur so habe ich das Gefühl, die Schmerzen aushalten zu können. Er greift nach meinen Schultern zur Unterstützung, was ich ihm nicht verüble, denn so wie ich wirke, würde ich mir auch helfen. Die Schmerzen ziehen sich über meinen ganzen Bauch.
Auf der Bank kann ich ein wenig durchatmen. "Danke. " "Kein Problem, aber was ist passiert?", möchte er wissen. "Ich habe Bauchschmerzen und starke Krämpfe" "Oh, ach so", erwidert er verdutzt. Wieso guckt er jetzt so? Ouh, ich glaube, Ramazan denkt, dass ich meine Tage habe. Kann ich verstehen, da kann sowas ja auch passieren, aber dafür muss er nicht direkt verlegen werden. "Es ist nicht das, was du denkst." Und schon verändert sich seine Mimik. "Ach so. Ähm ... was ist es dann?" "Ich habe eine Laktose-Intoleranz und diverse Lebensmittelallergien, deswegen die Schmerzen." "Wieso verzichtest du nicht einfach auf die Lebensmittel, auf die du allergisch reagierst?" Soll ich mich von Luft und Wasser ernähren oder was? Ich verdrehe fast meine Augen, kneife sie aber zusammen, weil es wieder zieht. "Weil sie in fast allem vorkommen. Ich kann ja schwer nichts mehr essen." Ich will gerade wieder aufstehen, als ich wieder von Schmerzen attackiert werde. Das ist mir seit Jahren nicht mehr in der Schule passiert. "Bleib sitzen, ich bleibe bei dir." "Nein, wir müssen in den Unterricht." "Oho, ein Streber also", schmunzelt Ramazan, woraufhin ich ihn trocken ansehe. Es ist das erste Mal, dass ich ihn wirklich anschaue. Er hat so schöne braun-grüne Augen, die durch die dunkle Umrandung seiner Iris noch mehr zur Geltung kommen.
"Du kannst mich also doch nett angucken", erwidert er lächelnd. "Kannst du mal sehen, was ich so kann", murmele ich. Durch meine fehlende Kommunikationsfreudigkeit kehrt Stille ein. Er hingegen wirkt wie einer, der jeden kennt und mit jedem redet. "Sind sie noch da?", durchbricht Ramazan die Stille. "Mh?" "Deine Schmerzen." Ouh. "Ach so. Ich glaube sie werden immer schwächer, also können wir zum Unterricht." "Nein, lass uns hierbleiben. Wir sind schon fünfzehn Minuten zu spät." Ich mag sein warmes Lächeln. Ich glaube, ich werde ihn mögen. Er ist mir sympathisch. "Also, Shana! Erzähl mir was von dir!" Ramazan klatscht sich übermotiviert in die Hände. "Über mich gibt es nichts zu wissen." Ich habe ein sehr unspektakuläres Leben und das bleibt auch so. "Dann stelle ich dir halt Fragen." Neugierig, dieser Junge. "Also Shana! Wie alt bist du und welcher Nationalität gehörst du an?" "Bin sechzehn und Kurdin, du?" "Sechzehn und Libanese. Hast du Brüder?" Dein Ernst? Ich glaube, er fragt es nur, um zu wissen, ob da mehr sein könnte. Oder? Ich weiß nicht so recht, aber wieso sollte man sonst so eine Frage stellen? Warte! Ich habe ja vollkommen vergessen, dass er noch vor gut zwanzig Minuten mit einem Mädchen geleckt hat.
"Zwei Stück, einundzwanzig und vierundzwanzig. Der 24-Jährige ist wieder im Knast, aber diesmal nur für neun Monate." Ich schenke ihm mein nettestes Lächeln. Seins verblasst und er rückt sofort ein klein wenig zurück. Gut so. "Ach so. Gut zu wissen", gibt er leicht verdutzt von sich. Wie herrlich! So hält man sich die Jungs, die einem Schlechtes tun, gut vom Leib. "Guck doch nicht so. Soweit ich weiß sind Libanesen richtige Tiere, wenn es ums Kämpfen geht, ", muntere ich ihn auf. Seine Züge erhellen sich sofort. Er streckt stolz die Brust empor, auf die er zweimal anerkennend schlägt. Es überrascht mich, dass ich so auf ihn zugehe. "Stimmt, hast recht. Bist du mit Libanesen befreundet?" Ich schüttele meinen Kopf. "Nein, meine Brüder aber. Du bist der einzige Libanese, den ich kenne." "Was eine Ehre für mich", grinst er. Ich fange wirklich an, ihn zu mögen. "Hast du einen Freund?" Diese Frage hat etwas Komisches an sich. Das hatte sie schon immer. Ich kann es nicht beschreiben. Beziehungen zur jetzigen Zeit in meinem jetzigen Alter sind überwiegend zum Scheitern verurteilt. Ich kann sie nicht ernstnehmen. Mein entgeisterter Blick sagt schon alles dazu. "Okay, ich frage etwas anderes", sagt er lachend, als er die Hände schützend anhebt. "Du hast keine Freundin, oder?", frage ich ihn, um es bestätigt zu bekommen, dass er ein Player ist.
"Nein, sowas ist nichts für mich. Ich stehe eher auf schnelle Nummern." Was ein Player! Eklig. Ich verdrehe die Augen. "Merkt man", nuschele ich eher zu mir, als zu ihm. "Komm, lass uns auf den Hof. Da ist ein Freund von mir, den kann ich dir vorstellen." "Ich werde aber nicht mit ihm reden." Was soll ich überhaupt mit dem Freund? "Wieso?", fragt er stirnrunzelnd. "Weil ich so bin. Ich bin kein offener Mensch. Müsste dir eigentlich aufgefallen sein." Ich merke jetzt schon, wie ich mich wieder verschließe und kühler werde. "Ja, das ist mir aufgefallen, aber mitkommen wirst du trotzdem!" Er zieht mich an meinem linken Handgelenk raus. Mir gefällt diese offene Art sehr. "Ramazan, lass los!" Ich schmunzele. "Nö, aber wenn du willst, kann ich dich auch tragen." Dabei grinst er und wackelt mit den Augenbrauen. "Ich geb' dir gleich eine!" "Bitte zwei auf jeder Seite. Ich stehe auf sowas!" Damit habe ich nicht gerechnet. Ich pruste. Ramazan schaut mich schon flehend an, ich hingehen schüttele amüsiert den Kopf. "Du bist krank!", schmunzele ich. "Krank nach dir, Habibti." Ich lasse mich lachend von ihm leiten. Mit ihm werde mich gut verstehen.
Wir kommen bei seinem Kollegen und seiner Freundin an. Oh Gott, der schon wieder! Ich richte meinen Blick bei der Registrierung der Gestalt auf der Bank, abwertend zu Boden. Der ist mir lieber, egal wie viele Zigarettenstummel hier liegen. Can, die Hässlichkeit und das Mädchen mit der krass hochgezogenen Hose. Ich verdrehe innerlich die Augen und unterdrücke mir ein exaltiertes Würgen. "Aleyna, das ist Shana. Can sollte sie schon kennen, denn sie hat ihn heute schon zweimal fertiggemacht." Ramazan, du pushst mein Ego mehr als unsere Biolehrerin. Mach weiter so! Ich muss mir mein Lächeln unterdrücken. "Als ob! Sie hat keine Chance gegen Cano", gibt diese Aleyna arrogant von sich. "Hast recht, Schatz." Gott, war das fremdschamerregend! Aber wenn sie Stress haben wollen, dann kriegen sie Stress. Damit habe ich kein Problem – ganz im Gegenteil. Ich hebe leicht den Kopf, schaue spöttisch in die Augen dieser Aleyna. Bei ihren Augenbrauen wünsche ich mir, dass es regnen würde. "Und wer bist du, dass du jetzt hier behauptest, ich hätte gegen deinen Cano keine Chance?" "Ich bin seine Freundin und weil er der Beste ist." Was ein überzeugendes Argument. Fast so überzeugend wie ihr Wimpernkleber. Mich irritiert das abstehende Stück Kunstwimper im Innenwinkel ihres rechten Auges.
Ich verdrehe nur schmunzelnd die Augen. Ihr Gesicht ist so komisch. "Du denkst doch nicht ehrlich, weil dich dieser Spast Schatz nennt, dass er wirklich was von dir will, du naives Kind. Er verarscht dich doch nur, aber du bist eh nur auf das Eine fixiert, was man dir schon von hundert Metern anmerkt. Du brauchst mir gar nicht zusagen, ob ich Chancen habe oder nicht, weil du eine einzige Blamage bist und von Blamagen wie dir, lasse ich mir nichts sagen", spucke ich ihr mit immer weiter entfachender Wut ins Gesicht. Ramazan zieht die Luft ein und versucht sein Prusten zu unterdrücken. "Mädchen, ich werde gleich was mach-", Oh Gott! Bevor sie ihre angebliche Drohung aussprechen kann, unterbreche ich sie. Da kommt eh nur Müll aus ihrem bemalten Mund. "Das Einzige, was du machst oder machen solltest, ist es deine Hose aus dem Arsch zuziehen. So tief, wie sie drinnen steckt, könnte ich denken, dass deine Lippen da unten sind. Und falls dein heißgeliebter Schatz dich mal füttern sollte, wüsste er nicht, ob er den Löffel oben oder unten reinstecken sollte!" Ramazan kann sich nicht mehr zurückhalten und fängt lauthals an zu lachen. "Schämst du dich nicht so herumzulaufen, du Witzfigur?" Man hört nichts außer Ramazans kräftiges Lachen und ein leises Lachen von Can. Was lacht der jetzt? Was ein Versager er doch ist und seine Farce nicht einmal verteidigen will. Es klingelt – ein Zeichen, mich von den zwei Clowns zu entfernen. Ich sage zu Ramazan, dass ich zu meinen Freundinnen gehe. Dieser nickt und winkt nur lachend. "Wieso hast du nichts gesagt?", höre ich diese Aleyna ihren angeblichen Freund anfauchen. Weil er ein Opfer ist, genau sowie du. An einer Wand sehe ich schon meine gesuchten Freunde und steuere auf sie zu.
"Du warst bei deinem Lover", sagt Cathleen und schaut mich mit einem schelmischen Grinsen an. Ich muss ebenfalls grinsen. Lover. Lieber sterbe ich! Bei dem hole ich mir sicherlich allein von einer Berührung Geschlechtskrankheiten. Dämlicher Trottel! "War purer Zufall." Ich fange an, ihnen die gerade passierte Geschichte, zu erzählen und kriege wieder High-Fives, Gebrülle und motivierendes Herumgeschubse. "Gut gemacht! Warum war ich nicht dabei?", grummelt Viyan am Ende genervt. "Egal, lasst uns über etwas anderes reden. Etwas Relevantes. Was haben wir gleich?", wechsele ich das Thema. Ich will nicht immer an dieses Arschloch denken. Meine Gedanken sind dafür zu wertvoll. "Zwei Stunden Sport mit Herrn Markus, aber er meinte ja, dass wir keinen richtigen Unterricht machen", antwortet Saliha. "Also zwei Freistunden?", hake ich nach. "Jap."
DU LIEST GERADE
Arroganz
RomanceShana ist ein temperamentvolles, 16-jähriges Mädchen, das gerade dabei ist, die Oberstufe zu besuchen und ihr Abitur zu absolvieren. Schon an ihrem ersten Tag trifft sie auf den, ihr noch unbekannten, 17-jährigen Can. Seine chauvinistische Art lässt...