Kapitel 56

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Dienstag, 14. März

Der Spanischunterricht ist beendet, weswegen ich mich sofort erhebe und fast die Treppen hinunter spurte. Dabei sehe ich, wie Cihan den Raum verlässt und mich sofort ansieht. Kann es sein, dass er gar nicht mit in Berlin war? Egal. Ich beachte ihn nicht weiter. Ich will raus. "Warte mal, Shana", ruft mir er hinterher. Na toll. Wenn ich ihn nicht bemerkt hätte, wäre das vielleicht nicht passiert. "Was willst du?" Ich bleibe apathisch auf der Treppe stehen. Wäre ich nicht so neugierig, würde ich ihn ignorieren. "Ich wollte mit dir reden." Meine Augen verdrehen sich. "Ist mir schon klar, sonst würdest du nicht nach mir rufen." "Ich-," "Was wird das hier?", fragt Can abwertend. Von wo kommt dieser Idiot jetzt her? Ich weiß gerade nicht, auf wen ich weniger Lust habe: den Riesen oder den Penetranten. "Geht dich nichts an!", fauche ich. "Shana!", sagt er mahnend, was mich genervt aufstöhnen lässt. "Geh weg, du nervst mich!" Ich will diesen Jungen nicht sehen. Soll er doch weiter herumhuren. Wo ist Aleyna, wenn man sie mal braucht? Sollten die nicht auf dem Schulklo ficken oder so?

"Ich gehe nirgendwo hin." "Gott! Verstehst du nicht, dass wir alleine sein wollen?" Ich weiß nicht, wie er das aufgefasst hat, aber seine Mimik verliert an sichtbaren Emotionen, doch seine Körpersprache sagt mir, dass er wütend ist. Total wütend. Man könnte denken, seine Knöchel würden rausspringen, so stark wie seine Faust ballt ist. Genauso könnte man denken, dass er gleich seine Backenzähne kaputt beißt. Da kommt ja das Flittchen des Monats! "Can? Was machst du bei ihr?", fragt Aleyna abwertend. Ihr Blick, Gott! Ihr Blick ist Grund genug, um sie die Treppen hinunter zu schubsen! "Diese ihr wird dir gleich wieder eine reinhauen!", zische ich und will mich auf sie stürzen, doch Can zieht sie weg, genau wie Cihan mich wegzieht. Ich habe mich seit Jahren nicht gekloppt, doch seit der Klassenfahrt scheue ich mich nicht, immer wieder auf Aleyna loszugehen. "Lass mich los!", fauche ich. Ich will nicht angefasst werden! "Geht jetzt!", befiehlt Cihan. "Du brauchst mir nichts zu sagen!", sagt Can bissig. Muss er jetzt näherkommen? Da ich das Gefühl habe, dass er Cihan wegschubsten will, lege ich meine Hand auf seine Brust. Ihn zu schubsen würde jetzt nichts bringen, da ich absolut keine Chance gegen ihn jetzt hätte. Dafür ist er zu wütend gerade.

"Nimm deine ekelhafte Freundin und geh!" In Cans Augen kann man diese Wut erkennen, auch wenn er versucht, sie zu unterdrücken. Er schüttelt kaum vernehmbar den Kopf und verschwindet dann endlich mit seiner Hündin. Ich bemerke jetzt wieder, dass Cihan mich an meinen Oberarmen festhält und reiße mich schnell los. Was will er so dringlich mit mir besprechen? "Ich wollte sagen, dass es mir leidtut." Er? Sich entschuldigen? Jetzt? Ich ziehe skeptisch die Augenbrauen zusammen. "Du wolltest mir zweimal fast, weiß Gott was, antun und dann nach mehr als einem halben Jahr kommst du an und willst dich entschuldigen?" Ist das sein Ernst? "Das war früher so, jetzt nicht mehr." Ich lache höhnisch auf. "Ja, natürlich! Und ich vertraue dir, sowie du es mir früher gesagt hast!" Ich glaub ihm kein Wort seines schlecht inszenierten Theaters. "Shana", setzt er an, doch ich hebe meine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. "Nein, lass es gut sein. Geh deinen Weg und ich gehe meinen Weg." Diese Typen sind doch alle erbärmlich und nicht ernst zu nehmen. Echt peinlich. Das hätte Cihan sich auch sparen können. Und wo zum Teufel sind Saliha und Viyan? Vor dem Ausgang rufe ich Saliha an, die nach drei Tuten ran geht.

"Ja?"

"Wo seid ihr?"

"Wir waren ein Geschoss über euch und haben euch zugehört." Mein Mund formt sich zu einem O, als ich realisiere, wie dreist die beiden sind.

"Ihr Schäbigen! Kommt runter!" Damit lege ich auf und warte, bis die beiden Mädchen runterkommen.

Beide stehen jetzt vor mir und schauen mich halb überrascht und halb schmunzelnd an. "Can wollte nicht, dass du bei Cihan bist." Saliha Grinsen wird nur noch größer. "Was will Cihan jetzt wieder?", murrt Viyan. "Scheiß mal auf Cihan!" "Ja", stimme ich Saliha zu. "Das Wichtige ist doch, dass Can auf Shana steht", fügt sie lachend hinzu und schubst mich leicht an der Schulter. Das wird niemals aufhören. Sie werden mich bis an mein Lebensende damit aufziehen. Nach dem Deutschunterricht, laufe ich mit Ramazan zum Biologieraum. Wir fangen mit der Genetik und Gentechnik an. "Shana, ich wollte noch einmal sagen, dass es mir wirklich leidtut." Ich will es einfach nur vergessen. "Es ist okay, Ramazan." "Ist es nicht", murmelt er niedergeschlagen. Ist es wirklich nicht. "Wird schon." Ich will ihn wirklich nicht verlieren, aber diese Kälte, die meinen Charakter ausmacht, lässt es nicht zu, dass ich ihm jetzt vollkommen verzeihe. Dieses Halbjahr ist und wird noch sehr nervenraubend sein. Allein wegen Can und Aleyna, aber damit muss ich klarkommen. Noch zwei Jahre. Das sagt es sich so einfach, aber das verdammt viel Zeit, in der sehr vieles passieren kann.

Im Raum angekommen, setzen wir uns und hören zu, was Frau Schnitzler uns zu sagen hat. "Da sich das Thema auf die Genetik bezieht, werdet ihr mit einem Partner eurer Wahl eine Hausarbeit schreiben. Je mehr Seiten, umso besser. Dafür habt ihr zwei Monate Zeit. Einer von euch kommt nach vorne, um mir zu sagen, wer euer Partner ist. Danach könnt ihr anfangen, euch ein Thema zu überlegen. Am Ende der Stunde kriegt ihr einen Erwartungshorizont." Can geht als erster nach vorne, um ihr den Namen seines Partners mitzuteilen. Danach kommt er zu mir. Ich merke, dass er mich anschaut, doch mein Blick ist starr auf Frau Schnitzlers Pult gerichtet. Schönes grau. "Willst du auch einmal mit mir reden?", fragt Can mich. "Rede mit Ramazan." "Ramazan?" "Ja?" Von der Seite sehe ich, dass Can eine Kopfbewegung macht und daraufhin steht Ramazan schon auf. Genervt seufze ich. "Du musst nicht aufstehen." "Ich muss mir so oder so einen Partner suchen." Der Arme. Nun setzt sich Can auf Ramazans Platz. Was will er jetzt? "Du bist meine Partnerin." Meine Augen weiten sich. Das kann er sowas von vergessen! Im Leben nicht! "Nein!" "Doch und ändern kannst du es nicht." "Ich will aber nicht mit dir arbeiten." "Tja, das Leben ist hart." Was soll ich mit diesem Idioten? Was will er immer von mir? Wieso kann er mich einfach nicht in Ruhe lassen? Die Klassenfahrt muss ihm doch gereicht haben, um ihn wissen zu lassen, dass ich ihn verabscheue.

"Da wir nicht zu dir können, schlage ich vor, wir gehen zu mir." Pff! Extrawünsche? "Wir haben auch eine Bibliothek." "Und von wo willst du die Informationen holen? Mit den alten PCs wirst du es niemals rechtzeitig schaffen." "Wir können die Informationen auch jeweils von zu Hause holen. Da haben wir beide gutes Internet." Er stöhnt genervt auf. "Stöhn nicht", untersage ich ihm. Ich habe doch recht. "Dein Ernst? Na ja, jedenfalls macht es keinen Sinn. Es ist zu umständlich. Da können wir direkt zu mir." "Nein." "Und wieso?" "Ich will meinen Teil alleine machen." "Wir machen es zusammen, ob du es willst oder nicht!", zischt er. Da sieht man mal wieder wunderbar, wie ungeduldig dieser riesige Gorilla ist. "Jeder macht seinen Teil alleine, ob du es willst oder nicht!" "Schau mich an." Ich mag es, wenn er wütend wird, höre deshalb absichtlich nicht drauf und schaue extra aus reiner Provokation auf meine Hände, doch als Can die Initiative ergreift und meinen Kiefer zu sich dreht, kann ich nicht anders als meine Augäpfel zu Boden gleiten zu lassen. Als ob ich ihn es ihm so leicht mache. "Shana, entweder du schaust mich an oder ist werde etwas durch den Kurs brüllen, was dir sehr peinlich sein wird", droht er. Er blufft nur! Meine verdrehenden Augen sagen, was ich von ihm halte. "Gut, du wolltet es nicht anders." Er räuspert sich kurz, lässt meinen Kiefer endlich los.

"Shana, nur weil wir jetzt miteinander-," Sofort drücke ich meine Hand auf seinen vorlauten Mund, würde am liebsten seine Lippen aufschneiden, die sich unter meiner Handfläche zu einem Schmunzeln verformen. "Was willst du?", keife ich angesäuert und nehme langsam meine Hand von seinem Mund. Seine Augen folgen meiner Hand, bis sie wieder bei mir ist. "Wir gehen zu mir." Ich lache sarkastisch auf. "Damit mich jemand sieht und es dann meiner Mutter erzählt, damit sie einen Herzinfarkt kriegt und ich Ärger ohne Grund? Nein, danke." "Wir können es auch so machen, dass erst ich durch die Tür gehe und du dann fünf Minuten nachkommst", schlägt er vor. "Wieso willst du unbedingt, dass ich zu dir komme?", frage ich misstrauisch. "Warum nicht?" Dumme Frage. "Weil ich dich nicht mag? Weil du ein Junge, vor allem ein Player bist? Was deine Mutter dann wohl von mir denken würde!" Bestimmt waren tausende von Mädchen bei ihm, weswegen seine Mutter sich an diesen Ballast gewöhnt hat und mich wahrscheinlich für auch so eine Göre hält. "Meine Mutter weiß nichts von meinen Beziehungen", erwidert er augenverdrehend. Dann wird sie denken, dass ich seine Freundin bin! Ich kann mir ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

"Was ist?" "Nichts, nichts." Mein Schmunzeln verschwindet nicht. Warum, weiß ich nicht. Ich weiß auch genauso wenig, wieso er jetzt so spöttisch grinst. "Du musst zu mir." "Und warum muss ich?", frage ich argwöhnisch. "Weil du mir was schuldest. Zweimal, um genau zu sein." Ich halte inne. Scheiße! Er hat recht. Muss ich es wirklich? Ich meine es waren doch nur ... er hat mich aber gerettet. Can schaut mich siegessicher an. "Du hast fünf Minuten Vorsprung", murre ich. Sein Grinsen wird nur noch größer. "Gut. Wir sehen uns dann heute bei mir." "Du wartest auf der Treppe vor der Tür!", sage ich ihm jetzt schon mal. "Alles, was du willst", säuselt er. Wenn die Mädels das erfahren. Nein! Sie werden es nicht erfahren. Oh Gott! Was, wenn uns jemand sieht? Was wenn die Mutter, meine Mutter kennt? Gott bewahre mich davor.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt