Kapitel 91

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Dienstag, 12. Dezember

Langsam habe ich das Gefühl, dass dieses Jahr und der Anfang des nächsten Jahres schiefgehen wird und mein Gefühl täuscht mich nicht. Das hatte ich zu oft. Wenn ich etwas gespürt habe, dann ist es auch wirklich passiert. Seitdem mir Cans eigentliches Image wieder in den Sinn gekommen ist, habe ich mich so gut wie es nur ging von ihm distanziert. Auch, wenn es einem widersprüchlich erscheint, da seine beiden Freunde ebenfalls so sind und ich die beiden sehr mag, aber da ist ein Unterschied zwischen den beiden Jungs und Can. Ramazan und Malik waren schon zu Anfangszeiten sympathisch und freundlich zu mir. Bei ihnen konnte ich mir schon denken, dass wir uns irgendwann einmal verstehen werden und auch Freunde werden, was jetzt auch der Fall ist. Wir haben uns wie normale Freunde getroffen und geredet. Aber Can, Can ist etwas anderes. Etwas, was ich noch nie hatte. Wir haben diese Feindseligkeit und trotzdem gibt es in unseren Gedanken diesen einen Punkt, der immer wieder zum Gegenüber will und dieser Punkt gewinnt auch immer, egal wie lange der Streit anhält. Wir wollten uns aus dem Weg gehen, damit mein Ruf nicht zu schaden kommt und trotzdem konnten wir uns nicht fernbleiben. Genau diesen Punkt habe ich im Krankenhaus realisiert. Das erste Mal habe ich ihm gesagt, dass ich ihn hasse und wollte, dass er mir fernbleibt, doch das Schicksal hat uns wieder zusammengebracht. Ich hatte davor nicht wirklich das Gefühl gehabt, dass es da etwas zwischen uns gibt. Das hat etwas zu bedeuten. Dieser Junge ist ein Widerspruch. Er sorgt sich um einen und will nicht, dass man gewisse Sachen macht, doch führt sich dann im nächsten Moment so desinteressiert auf, dass man sich fragt, ob das alles nur eine Verarsche ist. Wieso macht er das? Was ist der Hintergrund für sein Verhalten? Was soll ich nur bloß von ihm denken? Er ist ein Player, keine Frage, aber wieso verhält er sich manchmal so anders? Ich kann mir das nicht einbilden, denn, wenn selbst seine Mutter sagt, dass wir uns näher kommen werden und dass ihr Sohn solche Sachen nie gemacht hat, dann müsste es doch eigentlich einen Hintergrund haben. Nein, es hat einen Hintergrund, hundert prozentig. Ich finde es gut, dass ich auf Distanz gehe da vor allem diese Klausurphase in Ruhe gemeistert werden muss. Wer weiß, was hätte passieren können, wenn ich nicht auf Distanz gegangen wäre. Seit einigen Wochen - ich weiß nicht wie viele genau - habe ich ihn nicht beachtet. Ich habe weder mit ihm geredet, noch habe ich einen Streit mit ihm angefangen, einfach nur aus dem Grund, dass ich meinen Abschluss erfolgreich meistern möchte. Von meinen Freundinnen, Ramazan und Malik und sogar einige aus unseren gemeinsamen Kursen wurde ich gefragt, was da passiert ist. Da ist ein weiterer Grund: Gerüchte.

Allein die Tatsache, dass Cihan mich einmal darauf angesprochen hat, hat mich zum Nachdenken gebracht, aber dass so viele Person auf mich zukommen und fragen, ob wir uns getrennt haben, hätte ich niemals gedacht. Ja, getrennt. Getrennt. Das ist mir noch nie in meinem Leben passiert. Als ich das gefragt wurde, hat es mich irgendwie bedrückt, da ich nicht wollte, dass man denkt, dass ich mich von so einem Jungen verarschen lasse. Ich kam ohne eine Beziehung auf diese Schule und will ohne eine Beziehung gehen. Das habe ich mir versprochen. Ich wälze mich auf die andere Seite des Bettes und seufze. Wie wohl alles weiter gehen wird? Was wohl alles passieren wird? Und dann noch zwischen Can und mir. Ich weiß nicht einmal, wie es jetzt mit Can und Elif läuft, da ich so gut wie gar nicht mehr mit Can schreibe oder rede. Ich habe es nicht einmal zwangsweise versucht, ihn zu meiden, es kam sogar unbewusst. Ob sie sich wieder getroffen haben? Hoffentlich nicht. Ich finde es gut, dass Elif so skeptisch ist, da Can diese ganze Fragerei hasst und Elif mich hasst, was mir aber nichts ausmacht. Ich finde es sogar lustig. Dadurch, dass Elif mich hasst, wird sie über mich reden und ich hoffe, dass Can nicht auf ihrer Seite steht, einfach nur, um sie zu provozieren. Wenn er auf ihrer Seite ist, dann bin ich enttäuscht. Bis jetzt habe ich keine Klausuren mehr. Die Klausuren und Tests wurden alle geschrieben. Fehlt nur noch meine freiwillige Präsentation in Pädagogik, da ich meine Note so gut wie möglich halten will. In diesem Fach habe ich nachgelassen und Herr Krasniqi meinte, dass ich mit dieser Präsentation die fünfzehn Punkte kriege und hat mir zwei Wochen Zeit gegeben, da nach den Weihnachtsferien schon die Zeugniskonferenz beginnt. Ich muss alles raushauen, für das Medizinstudium. Meinen Traum muss ich erfüllen. Dieses Jahr verging sehr schnell und wenn etwas schnell vergeht, dann heißt das, dass etwas auf jemanden zukommt. Eine Art Prüfung assoziiere ich damit. Eine Prüfung, die ich hoffentlich bestehe. Viyan und Saliha haben mir des Öfteren erzählt, dass Can sich wohl mit anderen Mädchen getroffen hat und sie auch geküsst hat. Es hat mich irgendwie gestört, aber vielleicht heißt das ja, dass er das mit Elif nicht durchziehen kann und ich somit gewinne. Alles ist möglich. Aber, wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, was ich machen sollte, falls ich gewinne. Was soll Can einen halben Monat für mich machen? Schokokuchen bringen. Ich würde -glaube ich - ihn ärgern oder ganz in Frieden lassen. So gerne ich auch sadistisch bin, mir fällt nichts ein. Soll er mein Packesel sein und mir immer durch die Gegend tragen? Die Bücher sind schon dick, deswegen schmerzen meine Schultern manchmal. Can ist kräftig genug, um zwei Taschen zu tragen und mich noch auf seinen Armen zu tragen. Nebenbei kann er auch noch Trainieren.

Ich hole mein Handy raus und muss mir irgendwie die Bilder der Klassenfahrt ansehen. Es war eine sehr schöne Zeit und ich hoffe, dass die Abschlussfahrt ebenfalls so wird. Ich bleibe bei dem ersten Foto stehen, wo Cathleen Can und mich im Bus fotografiert hat. Wir haben uns lächelnd angeschaut, während er mich an meiner Taille und ich ihm am Nacken festgehalten habe. Es ist ein schönes Bild geworden. Der Bus war voll und außerdem war dieser Junge da. Wie hieß er noch gleich? Hakan? Can mochte diesen Hakan von Anfang an nicht und hat ihm auch eine verpasst. Daran erinnere ich mich noch sehr gut, da Aleyna, dieses Miststück einen Plan geschmiedet hatte. Wenn ich wieder daran denke, will ich sie ein weiteres Mal schlagen. Dass sie von mir geschlagen wurde, fühlt sich bis heute noch gut an. Das war sehr befreiend und seitdem weiß ich, dass Aleyna sich ein kleines bisschen zügelt. Es war eine schöne Zeit, auch, wenn der vorletzte Tag nicht gut geendet ist. Damit meine ich nicht die Aktion von Ramazan vor der Disko, sondern dass ich Aleyna halbnackt aus Cans Zimmer rausgehen gesehen habe. Diese Schadenfreude in ihren Augen, hat mich angeekelt. Wie kann man nur so stolz auf sich sein? Sie wird benutzt und ihr gefällt es wohl anscheinend, das kann und muss ich nicht verstehen. Ich scrolle weiter und bleibe bei den Bildern der Kirmes stehen. Ich habe mir öfters dieses Bild angeschaut und wie immer bekomme ich auch jetzt eine Gänsehaut. Dieser Blick, der auf mir ruht, der Zufriedenheit und etwas Glückliches aussagt, breitet mir ein Glücksgefühl. Ich muss unwillkürlich lächeln und schwelge in Erinnerungen. Er wollte mich haben, er wollte mich testen, er wollte mich küssen. Keins dieser Dinge hat er bekommen und er wird sie auch nie bekommen. Ich könnte mir niemals vorstellen, mich in ihn zu verlieben, mit ihm zusammenuukommen. Was ich mir aber vorstelle ist, wie ich ihn verletze. Das hört sich jetzt komisch an, aber ich wollte schon immer einen Player verletzen, damit er weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich in jemanden verliebt und die andere Person ihm einen Dolch in das Herz rammt. Ob sie daraus lernen oder nicht, ist deren Sache, aber sie wissen, was für ein schlimmes Gefühl das ist und dieses Gefühl, diese Erinnerung bleibt. Diese Welt hat einfach viel zu viele solcher Menschen und deswegen möchte ich mich nicht verlieben, aber leider kann man sich so etwas nicht aussuchen und beginnt zu leiden, wenn es der Falsche ist. Ich hatte dieses Pech noch nicht und will es auch nicht kriegen. Ich habe mir zwar vorgestellt, wie es wäre, aber, wenn es darauf ankommen würde, würde ich sehr lange brauchen. Allein, da ich die Person und er meine Art mögen muss. Das dauert schon eine Weile und das müsste irgendwann in der Uni passieren, sonst sterbe ich alleine. Ich lache leise auf. Die Vorstellung mit Can zusammen zu sein wäre komisch. Es wäre voller Streit, Eifersucht, voller Disskussionen, Neckereien und... es hätte etwas Schönes an sich. Mein Lächeln verfliegt. Wenn man verliebt ist, ist es doch schön, wenn man in einer Beziehung ist. Dann hätten wir es auch schön, vor allem da Can aufmerksam und zart sein kann. An was denke ich bloß? Ich schüttele diese grotesken und antagonistischen Gedanken ab und lege mein Handy weg. Dieser Gedanke ist falsch, ich muss ihn sofort verbannen. Es würde niemals zu so etwas kommen, da wir uns zu oft nicht verstehen und so wird es auch bleiben, denn am Ende ist er immer noch derjenige, der die Mädchen von vorne bis hinten verarscht und nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei hat.

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Ich glaube, ich springe im nächsten Kapitel direkt auf das Silvester, da mir nichts mehr einfällt.

-Helo

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt