Kapitel 53

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Donnerstag, 9. März

Gestern bin ich um ungefähr 02:30 Uhr wieder auf mein Zimmer verschwunden, da wir uns endlich sicher waren, dass kein Lehrer mehr da war. Jetzt stehen wir vor dem Storybunker Berlins. Meine Vorfreude ist groß, auch, wenn ich mich erschrecken werde, es wird lustig. "Herr Markus, muss ich mit rein?", quengelt Ramazan. Der Junge scheint echt Angst zu haben. "Ach, hab dich nicht so! Du bist doch ein starker Mann", ermutigt Herr Markus ihn. "Oh, ich habe voll Schiss", höre ich Aleyna sagen. Heul doch. Das Mädchen versucht Mitleid zu erregen oder hat Hoffnungen, dass einer der Jungs kommt und sie beschützen wird. Blöde Schlampe! Wir laufen in den Bunker hinein, woraufhin Getuschel zu hören ist. Anfangs gehen wir durch eine Art Museum, wo viele Gegenstände, wie die Halsgeige oder eine Totenmaske sind. "Krass, was die früher so gemacht haben", staunt Saliha und schaut sich im abgedunkeltem Raum um. Auch etwas über die damalige Medizin gibt es. Glocken wurden an den Fingern von Scheintoten gemacht, damit Geräusche entstehen, wenn sie sich im Sarg bewegen. "Shana, guck mal! Die haben früher Lammblut als Transfusion für Menschen benutzt", sagt Viyan. "Junge, Lamm ist zum Essen da!", teilt uns Ramazan prompt mit. Ich schaue es mir an und bin echt glücklich, dass die Medizin so fortgeschritten ist. Wir kommen bei einer Figur an, dessen Zunge durchbohrt wurde. Ich muss irgendwie schmunzeln, da ich mir statt den Mann, Aleyna oder Cathleen vorstelle. "Das würdest du auch machen", stellt Viyan fest. Nach weiteren Geschichten geht es dann ins Grusellabyrinth. Wir betreten das Labyrinth, dass in einem sehr schwachen Rotton an manchen Stellen leuchtet ist. An einem Gitter laufen wir vorbei, wo wir das erste Mal von einem der Mitarbeiter erschreckt werden. Alle außer Malik und Can schreien. "Lass mich bloß nicht los!", kreischt Ramazan und klammert sich an meinen Arm. Im Hintergrund hören wir immer ein schwaches, männliches Hecheln. Als wir an einem anderen Gitter mit schwach grüner Beleuchtung ankommen, wechselt die männliche Stimme zu einem Kindergeschrei. "Ich schwöre, wenn du noch einmal schreist, dann schlag ich dich!", faucht Ramazan, der danach von einem weiteren Geschrei erschreckt wird, was uns alle zum Lachen bringt. Wir wollen weiterlaufen, als ich den Vorhang zur Seite schieben will und ein dreckiges Grunzen höre, was mich zusammenzucken lässt. Hier sieht man wenigstens die Requisiten etwas besser. Hier ist ein Skelett, dessen Hand an einer Art dicken Spinnenwebenschicht hängt. Irgendwann kommen wir an einem Ort an, der mit Schwarzlicht beleuchtet ist. Ich konzentriere mich auf die Farben, bis mich Malik erschreckt, sodass ich aufschreie.
"Lach nicht!", sage ich schmunzelnd. Aus dem Schwarzlichtraum rausgelaufen, laufen wir in einer Art Flur. "Ahh, Ya xhensir!", schreit Ramazan, als ein Skelett hinter dem Gitter anfängt zu schreien und sich zu bewegen. Er beleidigt ihn zwei weitere Male auf libanesisch als Schwein und macht sich kampfbereit. "Komm, Shana", sagt Ramazan zügig und klammert sich wieder an mich fest, was ich lachend erwidere. Immer wieder schreit Ramazan auf libanesisch, dass die Requisiten Schweine sind oder dass sie Scheiße essen sollen. Nachdem wir den Bunker verlassen haben, haben wir wieder Freizeit. "Uff, ich hatte solche Angst", höre ich Aleyna gespielt ängstlich sagen. "Uff, ich hatte solche Angst", äffe ich sie nach. "Leute?", fragt Fatih uns. "Ja?", sagt Malik. "Kommt ihr heute zu mir aufs Zimmer? Flaschendrehen? Diesmal ohne Alkohol und ohne diese Fremden", verspricht er uns. "Sollen wir?", fragt Viyan. "Ja, lass gehen", sage ich neutral. Vom letzten Mal lasse ich mich nicht verschrecken.

Wir gehen ins Vapiano und treffen uns dann um 18:00 Uhr bei Fatih. In seinem Zimmer angekommen, hören wir schon die Musik. Viele sind da, unter anderem Aleyna und sogar Cathleen, die übrigens heute den Tag zusammen verbracht haben. Nutten. Die Flasche wird gedreht und zeigt auf Malik, der Pflicht wählt. "Küss Viyan", sagt Fabienne. "Nein!", protestiert Malik und schüttelt den Kopf, was mich schallend Lachen lässt. Viyan schwärmt die ganze Zeit von ihm, dann kommt ein Moment, wo sie sich näher kommen, aber Malik sie abserviert. Ich schaue zu Viyan und muss noch mehr Lachen. Sie schaut mich leicht belustigt an. Sie weiß, dass das nichts wird, schwärmt aber trotzdem von ihm. Ihr steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Malik musste dann Ich lecke eure Eier gratis über die Terrasse schreien. Er hat sogar von Fremden eine Antwort bekommen, dass sie sich drauf einlassen. Nach zwei, drei Runden zeigt die Flasche auf Can. "Wahrheit oder Pflicht?", fragt Tom. "Pflicht", grinst er. "Küss Shana." WAS?! "WAS?!", schreien ich und Aleyna gleichzeitig. Der will mich doch verarschen. "Ist doch nichts dabei." Tom zuckt gleichgültig mit seinen Schultern. Was will der denn jetzt? Der soll einfach leise sein. "Ja, Shana. Gib dir einen Ruck", summt Can in einem provozierenden Ton und rutscht auf, bis er bei mir angekommen ist. "Komm mir nicht zu nahe!", fauche ich und zeige mit meinem Finger auf ihn. Er grinst meinen Finger an und greift nach meiner Hand, um mir einen Kuss auf den Handrücken zusetzen. Oh Gott. Ich ziehe erschrocken die Luft ein und hoffe, dass ich nicht rot geworden bin. Dafür ist Aleyna bestimmt eifersüchtig. Jap, ich höre sie schnauben. Aber er hat meine Hand vor allen anderen geküsst. Das war verdammt intim. Can dreht die Flasche, die zufälligerweise bei mir stehen bleibt. Er hat die Flasche bestimmt manipuliert! "Wahrheit oder Pflicht?", säuselt er. "Pflicht", kommt es tough von mir. "Du wirst für den Rest der Klassenfahrt meine Sklavin sein." Die Meute fängt an zu lachen. "Niemals!", rufe ich. "Es ist deine Pflicht", sagen einige aus der Klasse. Können die auch mal die Schnauze halten? "Ja, Shana. Es ist deine Pflicht", neckt er mich. "Ich würde lieber die Nummer eines fremden Jungen klären, als deine Sklavin zu werden", sage ich mit verschränkten Armen. "Als ob", schnaubt Can. Da er mir nicht glaub, stehe ich auf und suche im Hotel nach einem passablem Jungen. Alle, die beim Flaschendrehen mitspielen sind mitgekommen. Als ich einen blonden Jungen mit weißem Pulli und schwarzer Hose sehe, laufe ich zu ihm. "Entschuldige, aber könntest du so tun, als ob du mir deine Nummer gibst?", frage ich, was ihm zum Lächeln bringt. "Gerne." Ich hole mein Handy raus und fange an die Ziffern zu tippen, die er mir sagt, und dann tippe ich seinen Namen ein, der übrigens Kai lautet. "Scheib mich an", sagt er zwinkernd und geht weg. Hat er mich jetzt ernsthaft seine richtige Nummer gegeben? Ich schaue ihn mit offenem Mund hinter und laufe danach - nachdem ich mich gefasst habe - mit einem Siegerlächeln zu Can und halte ihm mein Handy vors Gesicht, der etwas wütend guckt. "Trotzdem bist du meine Sklavin." "Pah, niemals! Du wirst sehen, was du davon hast. Du weißt, dass ich dich ärgern werde", drohe ich, was ihn apathisch mit den Schultern zucken lässt, doch ich weiß, dass ihn etwas stört. Wieder im Zimmer angekommen, drehe ich die Flasche, die bei Aleyna stehen bleibt. "Wahrheit oder Pflicht?", frage ich kalt und ziehe eine Augenbraue hoch. "Wahrheit." Schisser. "Bist du noch Jungfrau?", frage ich gespielt unschuldig. Aus einigen Ecken hört man Gekicher. "Ja, natürlich!", antwortet sie. "Es heißt Wahrheit und nicht Lüge!", zische ich, was sie dazu bringt finster zu gucken. Die anderen lachen wegen der Frage. Sie wird rot, sehr schön. Ich habe sie kompromittiert. "Aleyna, dreh du", mischt sich Can ein. "Was bestimmst du jetzt hier?", keife ich. "Habe ich schon immer." Pff, warte ab!

Nach weiteren fünf Runden beschließen Saliha, Viyan und ich uns zurück auf unser Zimmer zu gehen. "Ah, Cathleen wird bei Aleyna im Zimmer schlafen", informiert mich Saliha. Besser für sie. "Na? Wie geht's dir so, du Sklave?", fragt mich Viyan und legt einen Arm um meine Schulter. "Ich bin und werde nicht seine scheiß Sklavin sein!", motze ich und schlage ihren Arm weg. "Du wirst seine Sexsklavin sein!" Viyan lacht diabolisch mit Saliha auf. Ich kann nichts tun, außer ihr den Mittelfinger zu zeigen. "Kümmere du dich lieber um Malik, der dich wieder abserviert hat", lache ich diesmal mit Saliha. "Mann, er ist so hübsch! Seine Augen! Was ist an mir nicht schön?", will Viyan verzweifelt wissen. "Dein Gesicht? Deine Hautfarbe? Gott, du bist so blass", zähle ich auf, was sie schmollen lässt. "Aber er hat ehrlich schöne Augen", gibt Saliha zu, wo ich nur zustimmen kann. Maliks Augen sind beneidenswert, aber ich finde Cans Augen faszinierender. Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nie so leuchtende Augen gesehen habe. Sie sind wie die einer Raubkatze. Ich muss immer an einen Löwen denken. "Morgen Matrix!" Saliha tanzt mit Viyan. "Scheiße!", zische ich und lasse mich auf Salihas Bett fallen. "Du kommst und du wirst geschminkt!" Ich hasse es zu feiern! "Nein, ich habe meine Tage", versuche ich mich rauszureden. "Hör auf zu labern! Du wirst geschminkt und wird geil aussehen. Dann landest du mit Can im Bett", scherzt Viyan, die wieder meinen Mittelfinger zu sehen bekommt. "Viyan, sie muss doch bis zur Ehe Jungfrau bleiben!", erinnert Saliha sie. "Ihr seid Missgeburten", sage ich lachend und schüttele den Kopf. Ich kriege einen Anruf von einer unbekannten Nummer.

"Wer stört?"

"Das nächste Mal wirst du bestraft, falls du mich so unfreundlich begrüßt", ermahnt Can mich. Gott, was will der jetzt?

"Von wem hast du meine Nummer?", frage ich.

"Ich kenne Ramazans Pin. 1, 2, 3, 4 ist nicht wirklich schwer." Ach, Ramazan!

"Was willst du?" Beide Mädchen gucken mich fragend an. Mit meinem Mund forme ich ein kaum vernehmbares Can. Sie verstehen es und fangen krank an zu grinsen.

"Du hast so ein Ding von dir in unserem Zimmer gelassen. Hol es ab." Damit legt er auf.

Idiot! Jetzt muss ich auch noch zu ihm. "Jetzt treiben sie es." "Viyan!", ermahne ich sie und höre ihr krankes Gekicher sogar, als ich die Tür schließe. Can öffnet mir die Tür. Ich betrachte ihn abschätzig, als er mich mit seinem ausgestreckten Arm hineinbittet. Wieso verriegelt er die Tür? "Was wird das?", frage ich argwöhnisch. "Keine Fragen stellen." Will der mich verarschen? "Ich stell aber Fragen." "Eine Antwort kriegst du nicht." "Wo sind die anderen?", frage ich und schaue mich um. "Ich habe den beiden gesagt, dass es hier in der Nähe einen Streichelzoo gibt. Ramazan liebt Landtiere." Ach, Ramazan. Can setzt sich vor mich auf sein Bett. Dieser Riesengorilla hat mich reingelegt. Hier ist nichts von mir. "Und was mache ich jetzt hier?" "Zieh dich aus!", schreit Viyan plötzlich an der Tür. Nicht ihr Ernst! "Verpiss dich von der Tür!" "Eine sehr gute Idee, Viyan!", lobt Can sie. "Ich weiß!" Oh Gott. "Ich würde gerne etwas Zeit mit meiner Sklavin verbringen", wendet er sich nun wieder an mich. Ich glaube Can hat Hunger auf saftige Schläge. "Ich kann dir gerne in deinen Scheißarsch treten!", fauche ich. Can erhebt sich warnend. "Du hast ein ganz schön großes Mundwerk." Ich lächele süffisant. "Schön, hat man oft zu mir gesagt." Bei seinem Verhalten braucht er sich auch nicht wundern.

 "Du wirst mir helfen." "Ach! Werde ich das?" Meine Augenbrauen heben sich spöttisch. "Meine Schwester hat bald Geburtstag und da ihr fast denselben Geschmack habt, dachte ich, dass du mir helfen könntest. Sie wird fünfzehn." Hm. Süß. Ich tue es für sie, nicht für ihren selbstverliebten Bruder. "Ich bin aber grottenschlecht, was Geschenke angeht." Das ist eins der Sachen, die ich gar nicht kann. "Du musst nur sagen, ob es schön aussieht. Dein Geschmack ist extravagant. Du bist wählerisch. Allein deine Ketten." Er zeigt mit gerümpfter Nase auf meinen Hals, der von mehreren Ketten geschmückt wird. Da hat er recht. Ich bin total wählerisch, vor allem bei Schmuck und Parfüm. "Komm, wir gehen jetzt", sagt er. "Lass mich wenigstens meine Jacke holen, es ist kalt und es regnet." "Such dir einen Hoodie von mir aus." Ich muss schmunzeln, keine Ahnung wieso. Na gut. Ich knie mich vor seinem Koffer hin und versuche nicht irgendwelche Unterhosen zu berühren. Ich ziehe mir wieder den schwarzen Hoodie raus und mustere mich etwas im Spiegel, drehe mich dann zu Can, der mich schmunzelnd beobachtet. "Siehst süß aus." Ouh! Damit habe ich nicht gerechnet. Ich muss lächeln, aber ich verkneife es mir, aber als er meine Wangen zusammendrückt, verstärkt sich der Drang. Nicht lächeln, Shana! "Das musste sein." Can kneift noch einmal lächelnd meine Wange. Verdammt! Ich kann mir das Lächeln wirklich nicht mehr verkneifen! Ich spüre sogar eine sanfte Hitze auf meinem Gesicht, weshalb ich mich verstohlen umdrehe und als Ausrede das Überziehen der Kapuze nehme. Das ist ein Phänomen: Can und ich schlagen uns nicht die Köpfe ein!

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt