Kapitel 81

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Freitag, 21. September

Ich betrete mit Saliha genervt das Schulgebäude und laufe, ohne auf die Jungs zu warten, einfach mit meiner Freundin zum Englisch Raum. "Was hast du?", fragt sie. "Können wir später darüber reden?", bitte ich sie, was sie dann auch so hinnimmt. Ich habe einfach keinen Nerv, mich heute irgendwie zu bemühen. Der Einzige, der mir irgendwie ein Lächeln ins Gesicht zaubern könnte, wäre Ramazan. Als ich mich mühselig die Treppen hinauf schleife, lasse ich mich direkt auf die beheizte Holzbank nieder. "Hast du deine Tage?", fragt Saliha mich. "Ich glaub, ich kriege sie", gebe ich monoton von mir und fahre mir durch meine Haare. Ich sehe, wie Malik, Ramazan und Can die Treppen hochlaufen und auf uns zu kommen. Wäre bloß Viyan hier. Sie hätte Can für mich beleidigt, da ich keine Lust habe ihn zu beleidigen. Malik umarmt mich lächelnd und sieht mich nach der Umarmung fragend an. "Frag nicht", antwortet Saliha für mich, der ich in meinen Gedanken danke. "Lasst mal Love-Doktor Ramazan ran." Ramazan richtet seinen Kragen und wackelt mit seinen Augenbrauen, was mir ein Schmunzeln entlockt. Ich habe es doch gesagt: wenn es einer schafft, dann ist es Ramazan. "Sie hat geschmunzelt. Dafür kriege ich eine Belohnung." Er kommt auf mich zu und umarmt mich innig. "Rutsch mal, Mensch!", meckert er Saliha an und quetscht sich zwischen uns beide, bevor er einen Arm um mich legt. "Meiner Habibti geht es nicht gut! Ist hier irgendwer, irgendwo ein Arzt?", fragt Ramazan, hebt meine rechte Hand hoch und legt eine Hand von sich unter meinen Kiefer. "Ja, ich", sagt er mit einer verstellten Mädchenstimme und drückt beim reden meine Wangen zusammen, sodass meine Lippen sich immer wieder öffnen und schließen. Das lässt mich lachen und auch, wenn ich es verstecke, sehen die anderen es. "Doktor Shana, wissen Sie, was Sie haben?", fragt er mich schmunzelnd. Ich schiele zu Saliha und sehe, wie sie das Ganze aufnimmt. "Ja, natürlich! Sonst wäre ich ja kein Arzt", sagt er wieder mit seiner sehr schrillen Mädchenstimme und schlägt sich selbst mit meiner rechten Hand, die immer noch von ihm geführt wird. "Okay! Es tut mir leid, Doktor Shana. Bitte nicht zuschlagen!", fleht er. "Na gut! Aber als Gegenleistung will ich, dass du mich heute sehr oft knuddelst!" Ich schaue ihn belustigt mit zusammengezogenen Augenbrauen an und sehe ihn grinsen. Bei dieser schrillen Stimme kann man nicht ernst bleiben. "Das ist mal wieder ein sehr tolles Angebot, welches ich ebenfalls gerne annehme." Ich ziehe meine Hand aus seiner und schlage gegen seinen Oberarm, was er lachend hinnimmt und mich wieder umarmt. "Wie süß!", schwärmt Saliha. Leider unterbricht Frau Mikulski uns, indem sie den Raum aufschließt. Ich stehe auf, werde aber von Ramazan nicht losgelassen. "Du kannst mich ruhig loslassen." Er schüttelt den Kopf. "Noch eine Minute." Ramazan kriegt einen Klaps auf den Hinterkopf. "Lass sie los", sagt Can belustigt. Er soll nicht belustigt sein! Er soll nichts sagen! Aus reiner Provokation schließe ich demonstrativ meine Arme um Ramazan und drücke so fest zu, dass Ramazan leicht ächzt. Okay, ich habe ja gesagt, dass ich ihn nicht provozieren werde, sondern komplett ignorieren tue, aber das Provozieren ist ein Teil von mir. Das kann ich nicht einfach so hergeben. "Lass uns rein", flüstere ich schon fast, da ich trotz Ramazans Aufmunterung nicht sehr viel reden möchte. Zu meinem Glück mussten wir heute Stillarbeit praktizieren. Das Mündliche blieb heute vollkommen weg, was mir sehr zu gute kam. Leider muss man in Pädagogik viel reden, also hoffe ich, dass mich Herr Krasniqis schönes Gesicht etwas gesprächiger macht. Ich warte mit Malik und Saliha diesmal nicht, bis der Lehrer kommt, da er sich schon im Raum befindet. Hoffen wir mal, dass ich heute gut mit mache.

Der Unterricht war ganz okay. Ich hab nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig mitgemacht. Egal, das kümmert niemanden. Ich schlurfe die Treppen runter und sehe, wie Ramazan auf uns zukommt. Hinter ihm sehe ich, wie Aleyna und Cihan aus dem selben Raum kommen. Wenn er doch nur wüsste. Egal, beides sind unnötige Menschen, also sind sie nicht zu beachten. Es wird immer kälter, was mich sehr nervt. Wieso kann es nicht einfach für immer warm sein? Jetzt nervt sogar das Wetter mich, herrlich! Zitternd setze ich mich auf die Metallbank und kuschele mich an Saliha. "Willst du meinen Schal?", fragt Saliha mich. "Ich will nach Hause", gebe ich murmelnd von mir und seufze. Ich muss ihr ja auch noch alles erzählen, auch, wenn ich keine Lust habe. Ich sage es ihr einfach ein anderes Mal. Wir haben ja noch Zeit. "Alles wird gut." Sie fährt mir über meine Haare und weiß, dass ich das liebe. Ich muss meine Augen nicht öffnen, um zu sehen, dass Can dazu getreten ist. Man riecht diesen Jungen. Irgendwann klau ich ihm sein Parfüm, damit er nicht mehr so verdammt gut riecht. Ramazan setzt sich zu uns auf die Bank und lehnt sich gegen mich an, sowie ich mich gegen Saliha angelehnt habe. "Du bist wirklich schlecht drauf", stellt er murmelnd fest, was ich mit einem Nicken bestätige. "Du brauchst Essen", sagt Saliha. "Brauche ich wirklich." Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass es in fünf Minuten schellt, also erhebe ich mich jetzt schon mal und laufe hoch, gefolgt von den anderen. Zum Glück ist Herr Markus schon drinnen, sodass ich mich direkt auf meinem Platz fallen lassen kann. "Gut, dass ihr jetzt schon hier seid. Ich wollte etwas ansprechen." Organisatorisches bedeutet kein Unterricht. Die Klingel läutet und der Raum füllt sich mehr und mehr, sodass Herr Markus anfängt zu reden. "Also. Wir befinden uns jetzt im zweiten Abijahr, was heißt, dass das dritte Abiturjahr nicht mehr so weit ist. Deswegen müssen wir jetzt schon mal eine grobe Liste an Dingen haben, die ihr im letzten Jahr tun wollt, und wir müssen über die Abschlussfahrt reden." Nach einigen Grübeleien melde ich mich. "Bezogen auf den Abschlussball: Wie wäre es, wenn vom ganzen Abijahrgang ein Abschlussballkönig und eine Abschlussballkönigin gewählt wird?" Sowas muss es geben. Ich habe zu viele Filme geschaut, sodass diese Idee nicht fehlen darf. Herr Markus nickt lächelnd. "Was hält der Rest davon?" Sofort drehe ich mich mit einem ernsten Blick zu dem Rest, damit sie wissen, dass ich es will. "Also ich bin dafür!", ruft Ramazan. "Keiner hat etwas dagegen", informiere ich Herrn Markus. "Okay. Würdest du dich dann auch darum kümmern?", fragt er mich, was ich mit einem Nicken bestätige. "Darf ich mithelfen? Shana braucht eine starke Hand", höre ich Ramazan sagen, als ich meinen Block raushole. "Ja, darfst du", erlaube ich ihm schmunzelnd, während er tief vor sich hin kichert. "Weitere Ideen?" Ich melde mich wieder, denn ich habe so einige Ideen. Leider kommt der Riese vor mir dran. "Wir könnten eine Wand bemalen. Das machen viele Schulen. Wir könnten etwas entwerfen, was uns alle widerspiegelt, zum Beispiel als Figuren oder ähnliches. Die Wände sollen doch sowieso neu gestrichen werden." Dann wird auf der Wand King-Kong sein. Ich schreibe diese Idee ebenfalls auf und höre mir an, was Furkan zu sagen hat. "Mottowoche und wir müssen ein Video dazu drehen. Ich hab auf YouTube solche Mashups gesehen, wo man zu einem Mix aus vielen Liedern tanz und so." "Das ist gut! Tobias ist doch geschickt mit der Kamera!", kommt es von Melissa. Schnell notiere ich mir auch diese Idee und melde mich wieder. Das Mashup Video müsste gut werden, da unsere Stufe nicht verklemmt ist und sie sich vor die Kamera trauen werden. "Abistreich!", ruft Ramazan voller Elan durch den Raum. "Ich gehe mal davon aus, dass du dich darum kümmerst, aber bitte lass die Schule heile", bittet Herr Markus ihn, da er - das ganze Kollegium - weiß, wie Ramazan tickt. "Wir müssten dann noch eine Show auf dem Ball machen", sage ich. "Die Ideen sind alle schön und gut, nur müssen wir für jede Idee genügend Leute finden, die sich um ein Gebiet kümmern. Shana, du und Ramazan wollt euch um den Abschlussball kümmern, aber da braucht man mehr, als nur zwei Personen." "Viyan und Saliha." Viyan ist ein sehr kreativer Mensch. Mit ihr kann man bei sowas nichts falsch machen. "Dann nehme ich Malik und Can! Und Tobias für die Technik." Na toll! Can hat mir noch gefehlt. "Für die Show muss so gut wie jeder mitmachen", informiere ich den Kurs, während ich die Leute aufschreibe. "Herr Markus? Müssten wir für den Abistreich nicht in der Schule übernachten?", frage ich, woraufhin er nickt. "Oh mein Gott! Eine Pyjamaparty!", kreischt Ramazan, worauf Gelächter in der Klasse ausbricht. "Dann wäre es auch gut, wenn wir diesen Tag dokumentieren", sagt Saliha, während sich ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet, da ich weiß, dass es total schön wird. "Sehr schön. Shana gib mir dann gleich bitte die Liste, damit ich mit den anderen Kollegen darüber reden kann. Den Rest kann man ja noch besprechen, aber kommen wir jetzt zur Abschlussfahrt." "Wie wäre es mit Barcelona? Es ist sehr schön da", schlägt Can vor. "Ich war öfters dort. Die Hotels sind sehr ordentlich und die Atmosphäre sehr angenehm. Von Party bis Stadtdurchführung kann ich alles organisieren." Ich bin überrascht von seinen Engagement, genau sowie der Rest des Kurses. Er soll aufhören so engagiert zu sein! Viele tuscheln und kichern, da sie sich jetzt schon Gedanken machen, was sie dort machen werden. Nach einer Abstimmung sind wir uns einig, dass wir dann nach Barcelona reisen wollen. Hoffentlich wird das durchgesetzt.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt