Kapitel 105

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Dienstag, 26. März

Der Freitag war schön. Nein, er war mehr als nur schön. Er war wunderbar, atemberaubend und einfach nur perfekt. Ich habe Can einen Kuss auf die Wange gegeben. Ich, Shana, das Mädchen, das sich sonst von Bad-Boys fernhält, hat Can, dem Bad-Boy der Schule einen Kuss auf die Wange gegeben und soll ich mal ehrlich sein? Ich bereue es nicht. Am Freitag war ich schon etwas wagemutig, wenn man bedenkt, dass ich Cans Neckerei in seinem Zimmer mitgemacht habe und ihn zuerst geküsst habe. Ich wusste gar nicht, was los mit mir war, aber es hat sich einfach gut angefühlt. Es war überwältigend in seiner Nähe und ich würde es immer wieder tun. Nur eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf: Can und Elif. Was ist das jetzt zwischen ihnen? Wenn sie so lange zusammen sind und trotz des Erwischens nicht Schluss gemacht haben, dann muss doch etwas dahinterstecken. Ich schiebe die Gedanken bei Seite, als unser Mathelehrer unsere Prüfungen austeilt. Ich schaue direkt nach und erstarre. Fünf Punkte? Wie zum Teufel konnte das nur passieren? "Das kann nicht wahr sein", murmele ich und schaue noch einmal auf die Punktzahl, die einer glatten Vier entsprechen. Wann hatte ich zuletzt eine Vier geschrieben? Ich habe immer versucht bei einer Drei zu bleiben und das hat bis jetzt auch gut geklappt, aber jetzt, kurz vor den Abschlussprüfungen nur fünf Punkte zu erreichen, kann ich mir doch nicht erlauben. Ich tue meine Prüfung in meine Tasche und schaue nachdenklich auf meinen Tisch. Die anderen Prüfungen sind bestimmt gut ausgefallen. Heute kriege ich in Spanisch und Deutsch noch die Klausuren zurück. Das war nur ein Ausrutscher, mehr nicht. Ich werde von Viyan gerufen, weswegen ich betrübt zu ihr schaue. "Wie viele Punkte?", fragt sie, woraufhin ich mit meiner Hand eine Fünf zeige. Ihr und Salihas Gesicht zeigen Entsetzen. Kann ich verstehen, sie kennen nur gute Noten von mir. Die schlechteste Punktzahl waren - wenn wir Mathe beiseite schieben - elf oder zwölf Punkte. Vom Matheunterricht verabschiede ich mich abwesend und laufe auf den Pausenhof. "Shana, alles okay?", fragt mich Ramazan. "Ich habe nur fünf Punkte in der Klausur bekommen", flüstere ich. Wie konnte das nur passieren? Ich war nicht abgelenkt, nichts hat mich traurig oder wütend gemacht. Ich habe während der Klausur nur etwas an Can und mich gedacht, aber das war auch schon vor der Klausur so, also kann es nicht daran gelegen haben. "Konntest du das Thema nicht?", fragt er mich und legt einen Arm um mich. "Es ging. In der Klausur davor hatte ich Acht Punkte und mündlich bin ich auch nicht mehr so gut, seit dem dritten Abijahr. Mein Numerus Clausus wird sich verschlechtern!", gebe ich deprimiert von mir. "Du bist das schlauste Mädchen, das ich kenne. Du wirst Ärztin, mach dir keine Sorgen, wegen Mathe. Mathe ist der Teufel und du willst dem Teufel doch nicht gefallen oder?", fragt er mich aufmunternd und verschafft mir ein kleines Lächeln. "Ich habe gerade mit Frau Agustín geredet. Sie meinte, dass die Klausuren wohnt nicht so gut ausgefallen sind", sagt Malik, der mit Can anscheinend zu unserer Spanischlehrerin gegangen ist. "Na toll, besser kann es nicht werden", gebe ich sarkastisch von mir und fahre mir seufzend durch meine Haare. "Was ist los?", fragt Can und kriegt von Saliha die Situation geschildert. "Ich will meine Spanischnote gar nicht wissen", gebe ich abwertend von mir. Wäre ich noch auf der Realschule, wäre es mir egal, aber ich stehe kurz davor zu studieren, Medizin zu studieren, da kann ich mir diesen Fehltritt nicht erlauben. "Kommt, lasst uns rein", sagt Viyan, als es klingelt. Saliha klopft mir aufmunternd auf die Schulter und läuft zum Französischunterricht. Nervös stehe ich vor dem Spanisch Raum und will die Tür nicht öffnen.

"Halt! Mach sie nicht auf", murmele ich und halte Maliks Arm fest, bemerke wie absurd meine Angst ist und öffne dann selbst die Tür. Unsere Lehrerin meckert uns erst einmal an und hält eine lange rede, was mich umso unsicherer macht und verteilt dann die Prüfungen. "Shana, der Direktor möchte mit dir sprechen", informiert sie mich und gibt mir dann mit einem aufmunterndem Lächeln meine Prüfung. Ich spüre die Blicke der anderen auf mir. Na toll! Auch das noch. "Das darf doch nicht wahr sein", flüstere ich, als ich die sechs Punkte lese. Was ist verdammt nochmal los mit mir? Sechs Punkte hätte ich noch nie in meinem Leben in Spanisch! Ich hatte noch nie in meinem Leben in einer Fremdsprache eine Vier. Ich weine gleich. Ich verlasse den Raum und laufe deprimiert zum Direktorat. Wieso bin ich so schlecht in der Schule? Ich verderbe mir meine ganze Zukunft damit. Angekommen, klopfe ich an und trete herein. "Setz dich doch, Shana", bietet mein Direktor mir an, was ich dann auch mache. Ich fühle mich unwohl. "Du bist eine exzellente Abiturientin, das ist dir doch bewusst, nicht wahr?", fragt er, woraufhin ich schluckend mit dem Kopf nicke. "Leider sinkt dein NC, da sich deine Noten verschlechtern. Das ist dir bestimmt aufgefallen." Ich nicke beschämt und schaue ihm in seine braunen Augen. "Hast du familiäre Probleme? Irgendetwas, was dich stark beeinflusst?" Ich schüttele meinen Kopf, da mir nichts einfällt. "Wie stehe oder stand ich denn?", frage ich heiser. "Du warst auf dem besten Weg zu einem 1,0 Durchschnitt, aber jetzt bist du fast bei einem 1,1er Durchschnitt mit 745 Punkten", informiert er mich. "Haben Sie die Mathe Klausur- und die Spanisch Klausurpunkte mitgezählt?" Er nickt mit aufeinandergepressten Lippen. Ich schließe kurz meine Augen und schlucke. Scheiße! Ich bin am Arsch! "Gibt es etwas, womit man dir helfen kann?" Ich schüttele meinen Kopf. Was ist los mit mir? "Ich versuche mein Bestes, danke", verabschiede ich mich mit einem aufgesetztem Lächeln und laufe aus seinem Raum raus. Ich war auf dem besten Weg einen 1,0er Durchschnitt zu ergattern. 745 entsprechen gerade mal einem Durchschnitt von 1,2. Was blockiert mich? Ich habe an wirklich nichts bedrückendes Gedacht, während der Klausurphase. Außer an Can. Ist es deswegen? Ist es, weil ich an Can gedacht habe? Wir waren während den ganzen Klausuren noch zerstritten und ich habe darüber nachgedacht. Es kann nur daran liegen, aber wieso beeinflusst er mich so? Meine Zukunft ist gerade etwas gefährdet. Zwar kann ich mit dem Durchschnitt immer noch studieren, aber müsste dann ein Wartesemester einlegen. Egal, wenn ich Medizin studieren kann ist mir jedes Mittel recht. Ich lasse mich auf den Treppen nieder, da ich im Spanischunterricht sowieso nicht aufpassen könnte. Ich will meine Deutschnote gar nicht wissen. Aber es waren doch keine schlechten Gedanken! Es waren lediglich hypothetische Gedanken und Erinnerungen, mehr nicht. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann realisiere ich, dass ich vor allem in den Klausuren viel geträumt habe. Von Can und mir. Ich gefährde mich selber. "Scheiße!", zische ich und fahre mir durch meine Haare. Die Tür zum Lehrertrakt öffnet sich, doch ich sehe nicht hin. "Shana? Was hat der Direktor gesagt?", werde ich gefragt und erkenne Cans Stimme. Er kommt auf mich zu und setzt sich zu mir. "Ich habe mich verschlechtert. Wenn das so weiter geht, dann muss ich fürs Medizinstudium ein Wartesemester einlegen", erzähle ich der Person, die in meinen Gedanken während allen Klausuren geschwommen ist und meinen Durchschnitt beeinflusst. "Du stehst jetzt bei 1,1?", hakt er nach, woraufhin ich trocken den Kopf schüttele. "1,2", antworte ich und bin kurz davor meine Augen zu verdrehen, tue es aber nicht. Wenn ich jetzt weinen würde oder sonstiges, würde es mir nicht weiter helfen. "Wo möchtest du denn studieren?", fragt Can und legt meinen Kopf auf seine Brust. Eine liebevolle Geste, die meine Lymphknoten kribbeln lässt. "In Hamburg. Ich will in eine Großstadt", gestehe ich und seufze. "Ich kann zwar ein Jahr warten, aber trotzdem bedrückt mich diese Information", erzähle ich weiter und rutsche mit dem Kopf von seiner Brust zu seinem Knieansatz, wo er dann anfängt mit meinen Haaren zu spielen.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt