Kapitel 59

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Mir wird erst im Bus bewusst, wie müde ich bin. Ich muss echt mit mir kämpfen, nicht einzuschlafen – was mir schon sehr oft passiert ist. Schleppend laufe ich an Häuser und an einer Haltestelle vorbei, bis ich bei Can ankomme. Er schaut mich nur für einen kurzen Augenblick an und läuft dann zum Aufzug. Oben angekommen, schließt er die Tür auf, zieht seine Schuhe aus und läuft sofort in sein Zimmer. Hm. Er benimmt sich distanziert. Als ich in sein Zimmer trete und sein Bett sehe, spüre ich eine kleine Einladung, mich daraufzulegen und zu schlafen. Meine Beine berühren den Boden, doch mein Oberkörper liegt auf Cans Kissen. Es riecht nach ihm. "Scheinst wohl nicht gut geschlafen zu haben", stellt er kühl fest. "Nein, nein", nuschele ich gähnend. "Lass uns auch etwas über geklonte Menschen schreiben." Er nickt abweisend und fängt mit der Suche an. Sein Bett ist verdammt gemütlich, aber an Schlaf darf ich nicht denken. Erst muss ich wissen, warum er sich so benimmt. "Bist du sauer, weil ich gesagt habe, dass du mich anwiderst?" "Lass uns auch etwas über Zwillinge schreiben", weicht er aus, dreht mir seinen Bildschirm hin, damit ich auf den informativen Artikel schauen kann. "Also ja", murmele ich. Die Stille ist unangenehm. Ich will lieber diskutieren, als dass es so still ist. Ich beschließe aufzustehen. So entweiche ich dem Risiko, einzuschlafen.

"Lass mich diesmal schreiben." Viel lieber will ich mich eigentlich unter seiner Decke verkriechen und schlafen. Ich bin echt müde und mir ist kalt. "Nein, schlaf lieber." Oh nein, wie süß. Und ich war noch so gemein zu ihm. "Nein, ich bin wach." Ich nehme ihm den Laptop von seinem Schoß. Es ist echt kalt hier. Manchmal ist es bei mir so, dass ich friere, wenn ich müde bin, aber noch schlimmer ist es, dass meine Nasennebenhöhlen anschwellen. Normale Menschen kriegen gereizte Augen und ich kriege die Symptome einer Erkältung. Meine Augenlider schließen sich, doch ich reiße sie immer wieder auf. Ich will eine Decke. "Shana wirst du krank? Soll ich dir Tee machen?", fragt Can leicht besorgt. Hör auf so süß zu sein! Ich versuche sauer auf dich zu bleiben. Ich schüttle nur den Kopf und lese mir einen Abschnitt durch. "Steh kurz auf." Ich höre auf ihn und sehe zu, wie er seine Decke nimmt und mich wieder auf das Bett dirigiert. Ouh ... er legt die Decke um mich. Das ist echt niedlich. Er schlüpft ebenfalls unter die Decke, was mir nichts ausmacht. Er ist mir sehr nah, aber das macht er nur, um mich aufzuwärmen. Ihm würde es sicher nichts ausmachen, wenn ich meinen Kopf an seine Schulter lehne. An seiner Schulter angelehnt, speichere ich die Seite und fange mit unserem Anfangsthema: Genmutation an. Ab und zu fallen meine Lider aufeinander, doch ich öffne sie wieder und suche neue Informationen raus, bis ich irgendwann komplett weg bin.

Brummend öffne ich meine schweren Lider, strecke mich einmal. "Mam? Machst du was zu essen?", murmele ich und drücke mein Gesicht wieder ins Kissen. Was soll dieser nervige Widerstand? Ich drücke darauf herum, doch es wird nicht weicher. Dann nicht! Ich setze mich genervt auf, schnalze frustriert mit meiner Zunge, realisiere aber erst mit dem Hinabgleiten seines Arms, wo ich bin. Meine Augen weiten sich. Ich habe auf Cans Brust geschlafen. Die Kälte, die ich vorhin gespürt habe, ist wie weggefegt. "Gut geschlafen?", fragt Can mit zuckenden Mundwinkeln. "Hast du die ganze Zeit so geschrieben?", hauche ich und zeige auf seinen liegenden Körper. Sein Laptop liegt auf seinem Unterbauch, der Bildschirm ist sehr weit nach vorne justiert worden. "Ja." Meine Lippen schürzen sich. "Anscheinend hast du auch Hunger", stellt er fest. Ich fasse mir an die Wangen, aus Scham. "Hast du schon lange Hunger?", frage ich schüchtern. Can nickt bestätigend. Oje. Okay. Ich gehe zu seinem Schrank strecke mich noch einmal ausgiebig. Vielleicht verlässt mich so das peinliche Gefühl in meinen Knochen. Wenigstens habe ich gut geschlafen. Das ist das Wichtigste. Ich suche mir einen Pullover raus. Es ist immer noch kalt, bis auf den einen Moment gerade. Oh Gott, wenn ich schon wieder daran denke, schüttelt es mich. Seinen grauen Nike Sweater ziehe ich hervor und streife ihn über mein weißes T-Shirt, danach schlürfe ich in die Küche und rufe Can zu, mitzukommen.

"Wieso hast du mich nicht geweckt?" "Ich wecke dich doch nicht, weil ich Hunger habe. Du warst und bist immer noch erschöpft. Außerdem würdest du mich beleidigen oder gar schlagen, also habe ich es sein lassen." Wo er recht hat, hat er recht. Ich suche nach Hähnchenbrust, Gemüse und Nudeln, da ich nicht zu viel Chaos veranstalten will. Meine Haare binde ich zu einem Zopf und krempele die Ärmel etwas hoch. Mein Handy kommt auf den Tisch. Ich mache Musik an. "Warum hast du mich nicht einfach auf das Bett gelegt. So hätte ich nicht auf deiner Brust liegen müssen." Die Schneidebrette finde ich im oberen Schrank, nur komme ich nicht ran. Auch, als ich mich auf die Zehenspitzen stelle, schaffe ich es nicht, danach zu greifen, also drehe ich mich bittend zu Can, der schnell versteht und aufsteht, um das Brett herauszuholen. Ich drehe mich wieder um, damit mein Gesicht nicht an seiner Brust klebt und mein Becken nicht an seins rankommt, doch auch das Umdrehen ist keine sonderlich gute Idee, denn jetzt hängt seine Vorderseite an meiner Hinterseite. Wie schlau von mir. "Du hättest lieber zur Seite weichen sollen", raunt er mir leise zu. Ich brumme nur und winde mich leicht. Arschloch, er hätte mich auch zur Seite schieben können. "Antwortest du mir jetzt?", frage ich, als ich das Gemüse klein schneide und es in die Pfanne werfe. "Nein." Nerviger Gorilla. Nachdem die Hähnchenbrust ebenfalls mit der Tomatensoße und Gewürzen in der Pfanne landet und die Nudeln vor sich hin dampfen, spüle ich ab. Mein Handy klingelt, weswegen ich danach greifen will, doch Can kommt mir zuvor. "Can!", sage ich ängstlich. "Es ist nicht deine Mutter", versichert er mir, nimmt ab und stellt es auf laut.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt