14. Fortschritte

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Es war, als würde ein Teil von mir zerbrechen. Ich schluchzte hemmungslos und ließ mich von Anna trösten. Sie war tot. Warum war sie tot? Ich hätte sie so gerne kennengelernt. Aber das würde ich nicht und es tat so weh. Ich würde niemals meine eigene Mutter kennenlernen. Ich würde niemals ihre Stimme hören, sie umarmen oder etwas mit ihr unternehmen. Ich konnte ihr nicht einmal sagen, dass ich ihr vergeben hatte. Und das war etwas gewesen, was sie sich in ihrem Brief so sehr gewünscht hatte. Ich konnte ihr nicht sagen, wie sehr ich sie vermisste und wie gerne ich sie kennengelernt hätte. Ich konnte ihr nicht sagen, dass alles in Ordnung war, dass sie das Richtige getan hatte.
„Es tut mir so leid." Anna hatte Aria inzwischen die Fesseln abgenommen.
„Schon in Ordnung", schluchzte ich. „Wann ist sie gestorben? Und wie?"
„Es war vor etwa zehn Jahren, als sie von einer schrecklichen Krankheit befallen wurde. Nun ja, das hat sie nicht überlebt."
„Und was ist mit meinem Vater?"
Aria sah mich mitleidig an.
„Oh nein, bitte nicht." Wieder flossen mir die Tränen in Strömen übers Gesicht.
„Mach dir bitte keine Hoffnungen, wenn ich dir das sage, aber er ist nicht tot."
Ich sah auf. „Wie meinst du das? Was ist mit ihm?"
„Dein Vater lebt. Er hat die Führung nach dem Tod deiner Mutter übernommen."
„Aber das ist doch gut, oder nicht?", fragte Anna.
„Wieso wollten diese Leute mich dann umbringen?" In meiner Stimme schwang Unsicherheit mit.
„Das ist der Punkt. Ich kenne mich wirklich nicht mit dem Liebesleben deiner Mutter aus, aber dein Vater ist ganz anders als sie. Er ist grausam und machthungrig. Vor einiger Zeit hat meine Organisation erfahren, dass es eine Welt gibt, in der Magie ganz alltäglich ist. Dein Vater hofft dort auf Geheimnisse zu treffen, die seine Macht noch vergrößern. Das Wissen, das dort über Magie vorhanden sein muss, ist vermutlich unglaublich. Sie ist viel weiter ausgereift als das, was wir hier praktizieren. Dein Vater will an dieses Wissen gelangen, um damit unsere Magie auszubauen. Er glaubt, dass wir erst ganz am Anfang unserer Möglichkeiten stehen, uns diese Welt ganz neue Türen öffnet. Dann hat er vor, erst diese magische Welt unter seine Kontrolle zu bekommen und dann mithilfe der Feen, die angeblich dort leben sollen, diese Welt hier zu beherrschen. Er hat einen Großteil der Organisation auf seiner Seite. Er belügt sie und will ihnen weißmachen, dass sie sich nun endlich für ihre Vergangenheit rächen können. Er macht sie glauben, dass sie die Feen freundlich um Hilfe bitten werden und sie glauben ihm! Doch nicht alle. Der oberste Berater hat deinen Vater verraten und versucht, seine wahren Beweggründe in die Öffentlichkeit zu bringen. Er wurde hingerichtet. Wegen Hochverrates. Doch er hat einige Anhänger gefunden. Wir sind nur eine kleine Gruppe und wir existieren nur im Geheimen."
„Warte", unterbrach Anna sie. „Ihr seid eine kleine Gruppe, dem Widerstand, die verborgen unter einer Organisation lebt, die verborgen vor dem Rest der Welt unter der Erde wohnt?" Sie grinste.
Auch Aria musste schmunzeln. „Ja, so könnte man das sagen."
„Und warum will mein Vater mich nun umbringen?"
„Allgemein wurde bekanntgegeben, dass du bei der Geburt gestorben bist. Aber es gab auch einige Verschwörungstheoretiker, die behaupteten, du seiest entführt worden und so. Vor kurzem haben wir durch eine damalige Freundin deiner Mutter die Wahrheit erfahren. Nämlich, dass sie dich deines Vaters wegen fortgegeben hat. Anfangs wollte er dich wohl noch auf seine Seite ziehen, aber da er Angst hatte, dass du deinen Platz als Nachfolgerin anfordern würdest, musste er dich irgendwie beseitigen."
„Wie freundlich von ihm", knurrte Anna.
„Was hat Caleb mit dem Ganzen zu tun?", fragte ich.
„Caleb... Die Organisation hat ihn aufgenommen, als er ein Kind war. Meine Eltern haben ihn aufgenommen."
„Ihr seid Geschwister?", rief Anna erstaunt aus.
„Biologisch nicht. Aber wir sind wie Geschwister. Ich meine, wir sind zusammen aufgewachsen. Deshalb wollte ich ihn auch finden. Bevor er Mist baut und dich findet. Bevor er uns verrät! Aber das hat er schon längst. Ich war nur zu blöd, um das zu sehen. Er arbeitet schon lange für die, weshalb meine Eltern ihm auch nichts von unseren wahren Ansichten erzählt haben. Wir wollten dich finden, um dich vor den Leuten zu beschützen. Und das war gar nicht so leicht. Deine Mutter hat dich gut versteckt."
„Aber Caleb hat mich gefunden?"
„Ja, hat er. Das war seine Mission. Er sollte dich zu denen bringen, dann wärst auch du keine Gefahr mehr. Ich denke, deswegen hat er das Kinderheim angezündet und wollte dich dann ausliefern."
Traurig sah ich zu Boden.
„Tut mir leid." Aria strich sich eine Locke hinters Ohr.
„Schon okay. Lasst uns lieber überlegen, wie wir meinem Vater das Handwerk legen!" Mit diesen Worten wischte ich mir die letzten Tränen aus dem Gesicht.
„Was müssen wir tun?", fragte ich Aria.
„Du musst beweisen, dass du die rechtmäßige Nachfolgerin bist."
Wieder überkam mich eine Welle der Trauer. Die letzten Tage, sie waren so voller Hoffnung gewesen. Hoffnung, dass ich meine Mutter doch wiedersehen und glücklich werden könnte.
„Was passiert, wenn wir das nicht schaffen?", fragte Anna.
„Nun ja, ich denke, dass dein Vater es irgendwann schaffen würde, das magische Land zu finden. Und wenn er das gefunden hat, dann wird er auch dich irgendwann finden."
„Also versuchen wir die Welt zu retten?" Diese Worte hörten sich aus meinem Mund so lächerlich an. Zumal es auch um mich ging. Es war fraglich, ob dieses Land überhaupt existierte, aber diese Organisation tat es. Und wenn ich diese Leute nicht von ihrem Irrglauben abbrachte, würden sie mein Leben zerstören. Ich wäre immer auf der Flucht und könnte nie das Leben leben, was sich meine Mutter für mich gewünscht hatte.
„Ja, das ist korrekt." Aria lächelte.
„Aber wir können wir das beweisen? Wenn die Leute dich für tot halten, wer wird dir dann glauben?" Anna sah mich zweifelnd an.
„Vielleicht sollten wir den Hinweisen meiner Mutter folgen. Wenn wir Glück haben, hat sie eine Lösung für uns." Dann wurde ich ernst. „Aria. Was... was weißt du über sie?"
„Ich habe sie leider nie persönlich kennengelernt. Sie war auch nicht sehr oft in UEC. Der private Wohnsitz der Familie liegt versteckt. Es ist irgendein Schloss außerhalb Amerikas."
„Ein Schloss?", fragte Anna spöttisch.
„Ja, die Einwohner UECs haben es irgendwann einmal für eine gute Idee gehalten." Sie schmunzelte.
„Wie... wie heißt sie überhaupt?"
„Oh, das weißt du nicht? Entschuldige, dass ich das Offensichtlichste vergessen habe. Dein Vater heißt Cameron und deine Mutter hieß Calina. Sie soll ein wundervoller Mensch gewesen sein. Alle haben immer nur gut über sie geredet. Ich wünschte, ich könnte dir mehr erzählen."
„Schon in Ordnung. Aber ich glaube, wir müssen nach UEC."
„Wie kommst du darauf?", fragte Anna.
„Naja, der Lichtstrahl hat in den Niagara gezeigt. Vielleicht ist unterirdisch etwas dahinter!"
„Ja, das klingt durchaus logisch. Aria, kannst du uns dort hinbringen?"
„Ich denke schon. Aber lasst mich vorher mit meinen Leuten sprechen. Wir treffen Vorkehrungen und passen auf, dass ihr nicht erwischt werdet."
„Sehr gut, so machen wir es."
„Okay, ich komme heute um Mitternacht, um euch hier abzuholen. Falls etwas dazwischenkommen sollte, übermittle ich euch eine Nachricht." Damit stand Aria auf und verschwand.

„Was denkst du über das alles?", fragte Anna mich.
„Keine Ahnung. Das war alles viel zu viel auf einmal. Erst das Feuer, Katies Tod, das Medaillon, Caleb, die Magie, die Adoption, die Flucht, dann die Nachricht von dieser Organisation, die Rettungsaktion im Niagara, dann Aria und Calebs Verrat, jetzt der Tod meiner Mutter, ich weiß gar nicht, an was ich zuerst denken soll. Vor allem ist seit dem noch gar nicht viel Zeit vergangen. Drei oder vier Tage?"
„Du hast recht. Ich kann mich auch auf nichts konzentrieren. Das alles klingt so surreal. Als wären wir in einen Sog hineingezogen worden, aus dem wir nie wieder hinauskommen, in den wir aber auch nicht gehören. Ich zumindest nicht."
„Aber ich? Du glaubst gar nicht, wie falsch sich das anhört. Eben noch war ich ein Waisenkind, das man einfach so auf die Straße gesetzt hätte und jetzt soll ich plötzlich die Nachfahrin einer Königin sein?"
„Eigentlich war sie ja..."
„Ich weiß, sei still." Ich schwieg kurz, dann fragte ich: „Denkst du, wir können Aria vertrauen?"
„Ich habe keine Ahnung. Bei Caleb dachten wir das ja auch."
„Wenn sie uns nun in eine Falle führt. Ganz offensichtlich hätte sie die Macht dazu."
„Dann können wir nicht einfach hier rumsitzen."
„Stimmt. Ach, Anna. Ich wollte mir noch sagen, dass es mir leid tut. Ich hätte von Anfang an auf dich hören sollen. Du hattest recht, was Caleb angeht und ich hätte dich vorhin nicht so anpflaumen sollen. Ich war so ungerecht zu dir. Dabei warst du die ganze Zeit für mich da und...."
„Malina. Es ist alles in Ordnung. Ich bewundere es, dass du in deiner Situation noch so ruhig bist. Du hast erfahren, dass man dich umbringen will und sitzt hier. Du hast so viel durchgemacht und kämpfst immer noch weiter. Und ich denke, dass du dabei jemanden an deiner Seite brauchst, auf den du dich verlassen kannst. Egal, was auch passiert, ich bin für dich da."
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, deshalb fiel ich Anna einfach um den Hals. Und diese Umarmung sagte mehr als tausend Worte.
„Aber nur unter einer Bedingung."
Ich stockte.
„W... welche Bedingung?"
Anna sah mich ernst an. „Wenn wir das hier überstanden haben, dann lässt du mich gefälligst auch einmal in deinem Prinzessinnenbett schlafen!" Sie grinste.
Erleichtert lachte ich auf. „Wenn das alles ist. Ich werde dir von meinen persönlichen Dienern selbstverständlich ein eigenes Bett herrichten lassen!"
„Ein solches wie die Prinzessin auf der Erbse hat?"
„Was immer du willst. Aber pass auf, dass du nicht verflucht wirst."
Anna lachte. „Da müsst Ihr schon mehr Acht geben, Majestät."
Ich knuffte Anna in die Seite. „Lass das."
„Wieso? Ich finde das irgendwie witzig." Sie sah mich schmunzelnd an.
Ich seufzte. „Lass uns das auf später verschieben. Wir brauchen jetzt einen Plan, wie wir uns auf eine mögliche Falle vorbereiten."
„Zu Befehl!" Anna salutierte lachend und ich gab mir größte Mühe, ihr einen missbilligenden Blick zuzuwerfen. Irgendwann begannen wir dann mit der Planung.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt