72. Mutterliebe

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Bevor wir anfangen konnten, klopfte es energisch an der Tür. Raila öffnete und eine Wache stürmte hinein. Sie kam zu mir. „My Lady, der Gefangene ist verschwunden!" Der Blick des Mannes fiel auf Caleb.
Bevor er ihn ergreifen konnte, stellte ich mich dazwischen. „Es ist in Ordnung. Hören Sie, das darf nicht bekannt gemacht werden. Caleb muss weiterhin für den Täter gehalten werden. Tun Sie so, als würden Sie ihn weiterhin suchen, nehmen Sie ihn jedoch nicht fest, wenn Sie ihn finden. Der wahre Täter darf nicht wissen, dass wir ihn noch suchen!"
Die Wache nickte. „Wie Ihr befiehlt."
Damit verschwand sie wieder und Raila schloss die Tür ab. Dann setzten wir uns alle an einen Tisch und überlegten.
„Wer kommt als Täter in Frage?", fragte Caleb laut.
Ich zuckte mit den Schultern. „Eigentlich jeder. Außer uns und Calina."
„Die Frage ist viel eher, wer die Möglichkeit dazu hatte", stellte Raila fest. „Mir fällt niemand ein, der an die Blume gekommen sein konnte. Aber da sind sicher andere Dinge, die eindeutiger sind. Also, was waren die Ereignisse, die dir passiert sind, Malina?"
Ich überlegte. „Es hatte alles etwas mit Emily zu tun. Ich soll Schuldgefühle für ihren Tod bekommen. Ich hab Briefe von ihr bekommen, Bilder, alles Mögliche."
Caleb schnipste mit dem Finger. „Das ist es! Die einzige Person, die an Bilder von Emily rankommen würde, ist ihre Mutter. Und wenn ich mich recht erinnere, gibt sie dir die Schuld an Emilys Tod. Zudem hat sie einst im Schloss gearbeitet. Sie kennt sich hier aus!"
„Ich glaube, wir sollten ihr einen Besuch abstatten gehen!"
„Aber nicht alleine. Ich möchte, dass ihr Wachen aus dem Schloss mitnehmt." Raila sah uns streng an.
Ich nickte. „Machen wir. Komm, Caleb!"

Bevor wir uns auf den Weg machten, gaben wir den Wachen Bescheid. Falls Emilys Mutter im Schloss gesehen werden sollte, sollte man sie festnehmen. Zwei Wachen kamen mit uns, als wir dann das Schloss verließen.
Da wir schon einmal bei Emily Zuhause waren, wussten wir, wohin wir mussten. Als wir denselben Weg gingen, den wir Monate zuvor mit Emily gelaufen waren, wurde ich traurig. Damals hatte sie uns helfen wollen, als Cameron noch das Schloss in seiner Gewalt hatte. Und dann hatte er sie umgebracht.
Das Schlimme war, dass ich ihre Mutter sogar verstehen konnte. Cameron hatte sie meinetwegen getötet. Also irgendwie hatte sie recht. Ich hatte Emily umgebracht. Wäre ich nicht geflohen, wäre sie noch am Leben.
Caleb legte seinen Arm um mich. „Alles in Ordnung?"
Ich nickte. „Es sind nur Erinnerungen."
Er strich mir über den Arm.
Ich wollte es endlich beenden.
Ich wollte mit allem abschließen.
Ich wollte auch endlich glücklich sein.
Mein Leben war von Niederschlägen geprägt. Es sollte endlich einfach normal sein. Ich wusste, dass ich die Vergangenheit niemals vergessen würde und das war schon Qual genug. Aber ich konnte damit leben; solange man nicht immer wieder darauf herumritt. Bald würde es wirklich enden – hoffentlich.

Caleb klingelte. Alles blieb still. War sie nicht zuhause oder versteckte sie sich nur? Er klingelte noch einmal und wir warteten eine Weile, doch keiner öffnete.
„Was machen wir jetzt?", fragte eine der Wachen.
„Wir gehen rein!" Caleb ließ mich los. Er nahm einen Stein aus dem Beet und schlug ein Fenster ein. Panisch sah ich mich um, ob uns jemand gesehen hatte, doch alles war still.
„Worauf wartet ihr?" Caleb kletterte bereits in das Haus.
Ich zögerte kurz, dann folgte ich ihm. Es sollte enden. Meine Mutter sollte endlich gesund werden und ich wollte nicht länger mit Emily konfrontiert werden. Ihr Tod war schlimm genug, er sollte nicht länger als Waffe gegen mich verwendet werden.
So leise wie möglich schlich ich durch das Haus. Caleb und die Wachen gingen in andere Richtungen. Doch das Haus war leer. Wo war ihre Mutter? Es konnte sein, dass wir uns täuschten und sie nur unterwegs war, doch dann wäre es grauenhaft, was wir gerade taten. Eigentlich hatten wir überhaupt keine Beweise. Es war wahnsinnig, was wir riskierten.
Trotz allem, was im Schloss vor sich ging, waren die Gesetze noch gültig. So wie die Polizei bei Cameron für Gerechtigkeit gesorgt hatte, konnte sie das auch bei uns tun und uns festnehmen. Wir würden uns nicht rechtfertigen können, denn wir konnten kein Wort über das verlieren, was im Schloss vor sich ging.
Es war viel zu eng mit dem magischen Land und UEC verstrickt. Das Gift war aus dem magischen Land, es würde unnötige Fragen aufwerfen. Zudem war es noch nicht komplett ausgeschlossen, dass das Motiv für diese Taten etwas mit UEC und nicht nur mit Emily zu tun hatten.
„Malina, das Haus ist leer. Oder hast du etwas gefunden?" Calebs Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich in Emilys altem Zimmer war. Kerzen brannten auf einer Art Schrein. Überall standen Bilder. Sah es hier schon so aus, als Emily noch da gewesen war?
„Malina?"
Ich wandte mich von dem Zimmer ab und ging zurück in den Flur. „Nein, ich hab nichts gefunden. Wir sollten zurückgehen. Die Wachen wissen Bescheid. Sollte man sie im Schloss sehen, wird sie verhaftet. Lass uns gehen."
Wieder schlang Caleb seinen Arm um mich. „Ist alles in Ordnung?"
Ich nickte. „Passt schon. Aber lass uns von hier verschwinden."

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt