22. Der geheime Helfer

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Als die Nachrichten vorbei waren, fasste ich mich so langsam wieder. Ich durfte schließlich nicht auffallen. Zu diesem Zweck begann ich auch, ziellos umherzulaufen. Ich wusste so oder so nicht, wo ich mich hier befand. Aber ich würde weniger auffallen, wenn ich zumindest so aussah, als hätte ich ein Ziel.
Währenddessen überlegte ich verzweifelt, was ich tun sollte. Ich musste Anna irgendwie befreien, soviel war klar. Nur wie? Ich kannte mich in UEC nicht aus, das erschwerte mir die ganze Sache. Zudem war ich alleine, während mein Vater eine ganze Stadt voller Leute hatte. Wenn sie einmal wussten, wer ich war, war ich aufgeschmissen.
Plötzlich vibrierte das Handy in meiner Tasche. Verunsichert blieb ich stehen und holte es hervor. Wieso vibrierte es plötzlich? Mit wenigen Handgriffen hatte ich es entsperrt. Ich hatte eine Nachricht. Doch wer sollte mir schreiben? Wer hatte schon diese Handynummer? Es konnte nur ein Bekannter meiner Mutter sein. Vielleicht war das ihr Plan!
Neugierig sah ich nach, was in der Nachricht stand. „Ich kann dir helfen."
Schnell antwortete ich. „Wer bist du?"
Eine Antwort kam sofort: „Das ist unwichtig."
„Ich halte das für gar nicht unwichtig!"
„Ich bin ein Freund deiner Mutter, das ist alles, was du wissen musst."
Mit dieser Antwort musste ich mich wohl zufriedengeben. „Und wie willst du mir helfen?"
„Ich kann dich anleiten. Und ein bisschen mehr."
„Ein bisschen mehr?"
„Lass dich überraschen."
Arg, langsam nervte dieser Freund. Wieso konnte er mir nicht einfach sagen, was Sache war? „Okay, kannst du mir helfen, meine Freunde zu befreien?"
„Selbstverständlich kann ich das. Wo bist du?"
„Wozu brauchst du diese Information?" Zwar war dieses Handy von meiner Mutter, aber ich konnte nicht vorsichtig genug sein.
„Siehst du, wie ich die Augen verdrehe? Um dich durch die Stadt führen zu können, muss ich wissen, wo du dich befindest."
Das ergab Sinn. Ich überlegte, ob ich ihm wirklich schreiben sollte. Aber was hatte ich schon zu verlieren? Ich sah mich nach irgendwelchen Erkennungsmerkmalen um, doch hier waren nur Straßen und Häuser. Wo war ich? „Ich habe keine Ahnung?"
Ich konnte den Freund meiner Mutter förmlich seufzen hören. „Dann beschreib mir deine Umgebung. Siehst du nicht irgendein Straßenschild oder sowas?"
Ich ging ein Stück weiter. Dann wurde ich tatsächlich fündig. Es war zwar kein Straßenschild, aber ich stand vor einem großen Supermarkt. Schnell beschrieb ich ihn dem Freund meiner Mutter.
„Bleib da!", kam als Antwort.
„Kommst du mich jetzt etwa abholen?", fragte ich und grinste, doch es kam keine Antwort mehr. Deprimiert setzte ich mich auf eine Bank neben dem Supermarkt und wartete.
Nach einer gefühlten Ewigkeit vibrierte mein Handy endlich erneut.

„Wo zum Teufel bist du?!"
„Ach, plötzlich antwortest du auch wieder." Erst jetzt fragte ich mich, wie er mich überhaupt erkennen wollte. Er kannte mich ja gar nicht.
„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, beleidigt zu sein."
Ich zog einen Schmollmund.
„Jetzt guck nicht so!"
Überrascht sah ich mich um. Irgendwo hier musste er sein. Er beobachtete mich. Woran hatte er mich nur erkannt?
„Du brauchst mich gar nicht suchen, du wirst mich nicht finden. Ich hingegen finde dich überall."
„Deshalb musste ich dir auch sagen, wo ich bin."
„Ich hätte dich auch so gefunden. Allerdings hätte das genau die Zeit gekostet, die du jetzt beim Diskutieren wieder verplemperst."
„Ich? Du hast doch angefangen!"
„Wie alt bist du, zwölf?"
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
„Wenn du deiner Freundin helfen willst, solltest du langsam einen Zahn zulegen. Dein Vater ist nicht sehr geduldig, was seine Verhöre angeht."
Ich biss mir auf die Lippe und bekam ein schlechtes Gewissen Anna gegenüber. Der Freund meiner Mutter hatte recht. Ich musste mich langsam beeilen. „Danke, das beruhigt mich ungemein... Gut, wo geht es zum Gefängnis?"
„Und wenn du da bist, willst du einfach so reinmarschieren?"
„Das überlege ich mir, wenn es soweit ist. Aber dazu müsste ich erstmal hinkommen!"
„Es kann sich auch jemand darum kümmern, dann musst du dich nicht in Gefahr begeben."
„Du kannst mich von meiner Entscheidung nicht abbringen. Ich werde Anna und Aria befreien."
Es dauerte eine Weile bis die nächste Nachricht kam. „Gut, ich führe dich."
„Bevor ich nicht mehr dazu komme zu fragen: Wie soll ich dich nennen?"
„Mir egal, such dir was aus."
„Dann nenne ich dich vorerst Nag."
„Wie herzerwärmend von dir."
Ich musste grinsen. „Wolltest du mir den Weg nun zeigen oder nicht?"
Dann ging es los.

Nag führte mich durch das Labyrinth aus Straßen. Ich hatte ständig das Gefühl, im Kreis zu laufen, aber wenn ich genau darauf achtete, fiel mir auf, dass dem nicht so war. Hier sah nur alles so gleich aus. Oder ich hatte einen miserablen Orientierungssinn, das hielt ich auch durchaus für möglich.
Als ich gerade eine lange Straßen entlanglief, schrieb Nag mich wieder an. „Bist du sicher, dass du das tun willst?"
Ich antwortete nicht. Natürlich war ich sicher und Nag sollte das auch endlich verstehen.
„Malina, bitte. Sieh doch ein, dass es wesentlich vernünftiger wäre, das jemand anders machen zu lassen."
„Wieso willst du mich unbedingt davon abbringen?"
„Weil du wichtig bist!"
„Ich bin wichtig? Inwiefern?"
„Du bist die einzige, die deinen Vater aufhalten kann."
„Das bildest du dir ein. Ich bin nur das Mittel zum Zweck. Ihr habt genug Leute, wenn ihr wolltet, könntet ihr ihn wahrscheinlich selbst besiegen."
„Nein, dazu sind wir zu wenig."
Ich wusste wieder nicht, was ich antworten sollte.
„Verstehst du es wirklich nicht oder willst du es nur nicht verstehen?"
An einer Kreuzung kam ich zum Stehen. „Was bitte soll ich verstehen?"
„Dass du wichtig bist! Hier musst du übrigens rechts abbiegen."
Ich kam Nags Anweisung nach, antwortete aber nicht mehr. Ich war ihm keinerlei Rechtfertigung schuldig und meine Entscheidung war gefallen. Er sollte sich damit abfinden!

Irgendwann ähnelte die Gegend einem einfachen Wohnviertel. Es gab kaum Läden, dafür mehr und mehr Häuser, die alle einen persönlichen Touch hatten und sehr liebevoll gestaltet waren. An einigen befanden sich sogar Reliefs. Doch nichts davon sah nach einem Gefängnis aus. Wieso sollte es sich auch in einer Wohngegend befinden?
„Bist du sicher, dass ich hier richtig bin?", tippte ich in das Handy.
Nags Antwort kam wie immer prompt. „Natürlich bist du das."
„Aber wieso sollte sich hier bitte ein Gefängnis befinden? Das ist doch eine Wohngegend, oder?"
Diesmal dauerte es etwas, bis er antwortete. Überlegte er sich etwa gerade eine Ausrede? „Das dient der Tarnung."
„Der Tarnung also."
„Nur die wenigsten Leute wissen, wo genau es sich befindet."
„Weil sowas in eine Wohngegend auch gar nicht auffallen würde..."
„Geh einfach und frag nicht."
Was blieb mir auch anderes übrig? Ich kannte mich in UEC nicht aus und war somit auf Nag angewiesen. Wenn er mich verriet, würde ich einfach in die Falle laufen. Aber da ich das Handy von meiner Mutter hatte, vertraute ich darauf, dass er es nicht tat.

Ich ging noch eine Weile durch die verschiedenen Straßen, durch die Nag mich führte.
„Bleib mal kurz stehen", kam es plötzlich von ihm.
Ich wunderte mich kurz, tat aber, was er gesagt hatte. Gerade wollte ich ihn deswegen fragen, als die Türen eines Hauses aufgingen und mir ein Mann entgegenkam. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Instinkt sagte mir, dass ich fliehen sollte, aber Nag hatte gesagt, ich sollte warten. Also blieb ich stehen und hoffte, dass der Mann nicht meinetwegen aus dem Haus kam.
Doch meine Hoffnung verflog. „Hallo, Malina! Schön, dich zu sehen."
Es war zu spät zum Fliehen. Ich hatte auch keine neue Nachricht. Der Mann stand nun bei mir.
„Komm doch mit rein! Meine Frau hat Kuchen gebacken!" Er legte eine Hand auf meine Schulter und schob mich zu der Tür. Damit wäre jeder Fluchtversuch sinnlos.
„Wer sind Sie?", fragte ich. Meine Stimme war leise und zitterte verräterisch.
„Ein Freund, Malina, ein Freund."
Vorerst konnte ich nichts tun, also steckte ich das Handy weg und ging mit dem Mann. Mit einer Hand ertastete ich das Messer, das sich unter meinem Kleid befand. Unauffällig zog ich es aus der Halterung und versteckte es im Ärmel meiner Jacke. Mit einem Blick auf den Mann versicherte ich mich, dass er nichts bemerkt hatte, doch er sah noch immer lächelnd zur Haustür.

Er schob mich ins Innere des Hauses und schloss dann die Tür hinter uns ab. Den Schlüssel nahm er an sich. Ich beobachtete genau, in welche Tasche er ihn steckte. Schnell erfasste ich den Flur, in dem ich nun stand. Es führte eine Treppe nach oben, links von mir waren drei Türen, rechts von mir eine weitere. Eine von ihnen ging nun auf und eine Frau kam mir entgegen.
„Hallo, Malina!" Sie lächelte mich an.
Ich überlegte, welche Chancen ich hatte, wenn ich sie angriff. Vermutlich nicht viele. Sie war wesentlich größer – und somit auch stärker als ich.
„Gehört ihr dem Widerstand an?", fragte ich.
„Ja, Schätzchen, du brauchst keine Angst zu haben."
Das gab mir den Vorteil, den ich brauchte. Vielleicht hatte ich keine Chance, wenn ich sie angreifen würde, aber wenn ich mit meinem Leben drohte, würden sie vielleicht einknicken. Ich rannte also einige Treppenstufen hoch, um Abstand zu ihnen zu gewinnen, zog mein Messer und hielt es mir ans Handgelenk.
„Jetzt will ich gefälligst Antworten, oder ich beende es!" Denn selbst wenn sie mich in ein Krankenhaus brachten, konnte ich mich dort nicht ausweisen und würde zu Anna kommen. Dass ich sowieso nicht vorhatte, mir etwas zu tun, das mussten sie ja nicht wissen. Doch mein kleiner Trick funktionierte.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt