71. Dornröschenschlaf

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Mein Kopf brummte. Ich fühlte mich seltsam schwer. Langsam öffnete ich die Augen. Ich war nicht in meinem Zimmer. Wo war ich? Caleb saß neben mir auf einem Stuhl. Er schlief und hielt meine Hand.
Ich erinnerte mich, was er getan hatte und entriss sie ihm, woraufhin er wach wurde. „Malina, oh mein Gott, wie geht es dir?"
„Caleb, ich will dich nicht sehen!"
Seine Augen waren gerötet. Hatte er geweint? „Malina, bitte rede doch mit mir."
„Damit solltest du vielleicht erst anfangen! Geh, Caleb."
Tatsächlich erhob er sich. Ich setzte mich auf und bemerkte, dass ich in Calinas Zimmer war. Wieso hatte man mich hergebracht? Was war geschehen?

Nun entdeckte ich Raila. Sie ging auf Caleb zu und tuschelte etwas mit ihm. Dann verließ er tatsächlich den Raum. Raila kam stattdessen zu mir.
„Was ist hier los?", fragte ich.
Raila setzte sich auf den Stuhl, auf dem Caleb gerade noch gesessen hatte. „Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?"
„Keine Ahnung. Wieso auch? Ich will wissen, was hier los ist!"
Raila seufzte. „Es tut mir leid, dich das fragen zu müssen, aber hast du versucht, dir das Leben zu nehmen?"
„Was?" Meine Stimme klang schrill. „Nein! Wieso sollte ich? Was ist passiert?"
„Jemand hat dir eine Überdosis Schlaftabletten in den Tee gemischt. Caleb hat dich noch gerade rechtzeitig gefunden. Eine leere Schachtel Schlaftabletten lag neben dem Tee."
Ich schüttelte den Kopf. „Das war ich nicht, wirklich!"
Raila lächelte schwach. „Ich glaube dir. Ehrlich gesagt hätte es mich schon sehr verwundert, wenn du es versucht haben solltest. Du bist eine starke Person. Es hätte nicht zu dir gepasst."
Plötzlich musste ich scharf Luft einziehen. Puzzleteilchen rückten an ihren Platz, alles ergab einen Sinn. Es kam mir so vor, als würde man mir die Luft zum Atmen nehmen. Ich begann unkontrolliert zu zittern.
„Malina, was ist los?", fragte Raila alarmiert.
„Es ist ein Trick... Das alles... Es ist ein genialer Plan." Ich musste lachen. Es klang verrückt. Ich war verrückt. Oder zumindest wollte jemand, dass es so war.
„Was genau meinst du?"
Sie konnte es nicht ahnen. Sie kannte nicht die ganze Geschichte. „Seit mehreren Tagen bekomme ich Nachrichten von Emily, dem Mädchen, das von Cameron ermordet wurde. Sie wirft mir vor, sie ermordet zu haben. Ich habe Briefe und Bilder und sogar einen Teddy in meinem Zimmer gefunden. Und dann waren da diese Stimmen. Und die Albträume. Und die Schnitte in meinen Armen! Jemand wollte mich in den Wahnsinn treiben! Ich sollte verrückt wirken. Und dann würde man sich erzählen, ich hätte damit nicht umgehen können und mich letztendlich umgebracht! Eigentlich ist es genial." Wieder musste ich lachen.
Raila musterte mich besorgt. „Wer könnte so etwas tun?", fragte sie.

Bevor ich antworten konnte, klopfte es an der Tür. Raila schloss auf und eine Wache kam herein.
„Lady Malina, uns wurde ein anonymer Hinweis zugetragen, dass Sir Caleb etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Ein verdeckter Ermittler hat dann sein Zimmer untersucht..."
„Ihr habt ohne meine Erlaubnis, Calebs Zimmer durchsucht?" Wütend funkelte ich ihn an.
Der Wachmann sah schuldbewusst aus. „Es tut mir leid, Sie wirkten beschäftigt. Und wir wollten Ihre Zeit nicht damit verschwenden. Hätten wir nichts gefunden, hätten Sie niemals davon erfahren."
Plötzlich wurde ich hellhörig. „Ihr habt tatsächlich etwas gefunden?"
Der Wachmann kam auf mich zu und reichte mir eine kleine Schachtel. Ich öffnete sie. Darin befanden sich Schlaftabletten, Kunstblut, das Bild von Emily und eine Phiole mit einer getrockneten Pflanze.
Als würde Caleb wissen, was gerade geschah, kam er zur Tür hinein. Er blieb stehen und sah verwundert zwischen mir und dem Wachmann hin und her.
„Was ist hier los?", fragte er.
„Du warst das?", fragte ich und stieg aus dem Bett. „Du hast mich verraten? Ich habe dir vertraut!"
Caleb schüttelte den Kopf. „Verraten? Ich soll Calina vergiftet haben? Spinnst du jetzt? Ich dachte, das hätten wir schon einmal durchgemacht!"
„Du hast mir jeden Abend den Tee gebracht. Du konntest die Schlaftabletten leicht hineinmischen! Ich will dich nicht mehr sehen! Wache! Nimm ihn fest! Schaff ihn weg von hier!" Ich wandte mich von Caleb ab. Tränen liefen mir übers Gesicht. Raila legte einen Arm um mich.
„Malina! Nein! Ich war das nicht! Glaub mir! Bitte!"
Seine Stimme wurde immer leiser und leiser, bis er schließlich verschwunden war.
„Raila, schließ die Tür ab", sagte ich mit fester Stimme und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Raila tat, was ich gesagt hatte. Dann kam sie wieder zu mir. „Glaubst du wirklich, dass Caleb der Schuldige war?"
Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Das wäre zu eindeutig. Aber der Täter soll glauben, dass ich den Köder geschluckt habe."
Raila nickte. „Raffiniert. Aber was ist mit Caleb? Er denkt doch..."
Ich redete einfach dazwischen: „Das geschieht ihm recht. Soll er für den Rest des Tages denken, ich würde ihn für schuldig halten. Heute Nacht schleiche ich mich zu ihm."
„Und was genau hast du vor? Irgendeine Idee, wer so etwas tun könnte?"
Ich schüttelte den Kopf. „Aber Caleb vielleicht. Ich kenne ihn. Er ist gestern sicher nicht ohne Grund weggewesen. Wir müssen einen Plan schmieden."
„Okay, aber wenn du heute Abend fit sein willst, musst du dich jetzt ausruhen."
„Ich kann doch nicht..."
Mit einer Handbewegung brachte Raila mich zum Schweigen. „Keine Widerrede!"
Ich seufzte, kletterte dann aber wieder in das Bett, das man für mich hergebracht hatte.
„Um zu den Schnitten an deinem Arm zurückzukommen", begann Raila plötzlich. „Wie genau ist das passiert?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das war tatsächlich ich. Aber nicht absichtlich! Es ist in der Nacht passiert." Ich wich ihrem Blick aus.
„Du bist im Schlaf aufgestanden, hast ein Messer geholt, dir die Arme aufgeschnitten, es sauber gemacht, wieder weggebracht und bist dann wieder ins Bett gegangen?" Sie zog eine Augenbraue hoch.
Ich schüttelte den Kopf. „Mit den Fingernägeln."
Raila nahm meinen Arm und wickelte den Verband ab. Sie zeigte auf meine Schnitte. „Die sind niemals durch deine Fingernägel entstanden. Das war eindeutig ein Messer oder etwas Ähnliches." Vorsichtig verband sie den Arm wieder.
„Aber ich habe nichts davon gemerkt! Ich wäre doch aufgewacht, wenn mir jemand in der Nacht den Arm aufgeschnitten hätte! Außerdem ist das immer nur dann passiert, wenn ich Albträume hatte."
Raila überlegte. „Vielleicht wurden dir schon länger Schlaftabletten in den Tee gemischt? Und zwar genau in der richtigen Dosierung, dass du das nicht mitbekommen würdest."
Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Die Vorstellung, dass in der Nacht jemand in meinem Zimmer gewesen ist und mich sogar hätte umbringen können – es fast getan hat – behagte mir gar nicht. „Wir müssen den Täter schnellstmöglich finden."

Am Tag geschah nicht mehr viel. Die Schlaftabletten hatten wohl Nebenwirkungen, denn mir wurde schlecht und ich musste mich einige Male übergeben. Mein Kopf brummte noch den ganzen Tag und mein Bauch tat weh. Über den Mittag schlief ich. In der Nacht weckte Raila mich dann.
Es war spät genug, dass ich mich auf den Weg zu Caleb machen konnte. Bis auf einige Wachen schliefen alle, sodass ich mich größtenteils unbemerkt durchs Schloss schleichen konnte. Mein Herz schlug rasend schnell, als ich endlich bei den Gefängnissen ankam.

Caleb lag auf einer Pritsche und starrte an die Decke. Als er mich kommen hörte, fuhr er zu mir herum.
„Malina!", rief er, doch bevor er noch etwas sagen konnte, bedeutete ich ihm, still zu sein. Zu meiner Überraschung verstummte er tatsächlich – jedoch nur für einen Moment. Dann flüsterte er: „Ich habe nichts getan, bitte glaub mir."
„Ich weiß", sagte ich nur, ohne eine Miene zu verziehen.
„Du weißt? Und warum bin ich dann hier?"
„Das hast du verdient."
Er seufzte. „Du bist also immer noch sauer."
„Ja, ich bin sauer! Du willst, dass ich mit dir rede, aber selbst hältst du dich nicht daran. Und wenn ich nein sage, dann heißt das nein. Ich verstehe, dass du besorgt warst, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du mich dazu gezwungen hast, dir meinen Arm zu zeigen, obwohl ich dir deutlich zu verstehen gegeben habe, dass ich das nicht möchte. Und das werde ich nicht tolerieren."
„Und wie lange lässt du mich hier jetzt noch versauern?"
Ich warf ihm einen bösen Blick zu. „Gar nicht. Blöderweise brauche ich nämlich deine Hilfe, um den Täter zu finden. Hier, zieh den Mantel über."
Ich schloss die Zellentür auf und reichte ihm den Mantel, den ich mitgebracht hatte. Mit der Kapuze verdeckte er seinen Kopf, dann schlichen wir leise zurück zu Raila.

Dort erzählten wir ihm von den Erkenntnissen, die wir in der Zwischenzeit hatten. Caleb runzelte schon wieder die Stirn. „Das ist tatsächlich ein guter Plan. Ich war aber auch nicht ganz untätig. Den Tag, den ich nicht da war, habe ich Akten gewälzt. In Calinas Arbeitszimmer habe ich Akten von jedem Mitarbeiter gefunden. Leider ist nichts wirklich dabei rausgekommen. Niemand scheint wirklich einen Grund zu haben, euch so etwas antun zu wollen."
„Naja, das sind immerhin ein paar Verdächtige weniger", stellte Raila fest.
Ich seufzte frustriert. „Es sind immer noch viel zu viele."
„Das größte Rätsel ist ja noch, wie das Gift hierherkommen konnte. Ich kann mir das einfach nicht erklären. Niemand außer Calina und mir weiß, wo das Tor ist."
Ich gähnte. „Lasst uns morgen weiter darüber nachdenken. Ich bin schon wieder müde."
„Und wo soll ich schlafen?", fragte Caleb.
„Der Boden ist ganz deins." Ich grinste ihn an.
Raila schüttelte den Kopf. „Schlaf doch auf der Couch. Ich bin sicher, Calina hat in ihrem Schrank noch eine Decke für dich."

Raila sollte recht behalten. Bevor wir uns wirklich schlafen legten, kam Caleb noch einmal zu mir.
„Malina, es tut mir leid. Vielleicht wird die Situation langsam auch etwas zu viel für mich. Es passiert viel zu viel und ich fühle mich so unglaublich hilflos. Ich habe überreagiert gestern. Kannst du mir verzeihen?"
Ich seufzte. „Ja, kann ich – der Umstände wegen. Aber auf der Couch musst du trotzdem schlafen."
Caleb lachte. „Mit nichts anderem habe ich gerechnet. Ich hab dich lieb."
Ich lächelte. „Ich dich auch. Schlaf gut."

So gut wie in dieser Nacht hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Ich hörte keine Stimmen, hatte keine Albträume und niemand hatte die Möglichkeit, in den Raum zu gelangen, da die Tür verschlossen war.

Während Caleb noch schlief, war Raila schon wach.
„Guten Morgen", sagte sie und lächelte mich an.
„Schläfst du eigentlich jemals?"
Sie lachte leise, antwortete mir aber nicht. Nun wachte auch Caleb auf.
„Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt." Raila wandte sich ihm zu.
Er gähnte und schüttelte den Kopf. „Ich wollte eh gerade aufstehen." Dann warf er einen Blick auf Calina. „Wie geht es ihr?"
Raila sah nicht sehr glücklich aus. „Die Behandlung schlägt an, aber sie ist noch nicht aufgewacht. Wir können nur noch hoffen."
Für einen Moment blieb mein Herz stehen. „Ich dachte, es geht ihr besser und alles wird gut!"
„Ja, es geht ihr besser, aber noch ist es kritisch. Aber wir können rein gar nichts mehr tun. Den Rest muss sie alleine schaffen."
Ich wandte meinen Blick ab.
„Calina ist stark. Ich bin relativ zuversichtlich, dass sie es schafft."
„Aber du kannst es nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sagen."
Ihr Schweigen war Antwort genug.
„Wie wär's, wenn wir uns in der Zwischenzeit einen Plan überlegen. Wir haben definitiv einen Täter zu überführen!"

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt