31. Präsentation

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Ich rieb mir die Schläfen und versuchte, meinen pochenden Kopf zu ignorieren. Nachdem man mich festgenommen hatte, wurde mir irgendetwas gespritzt und dann hatte ich das Bewusstsein verloren. Aufgewacht war ich dann in dieser Zelle. Sie war klein und nur spärlich beleuchtet. Meine Hände waren mit Ketten je am anderen Ende der Zelle befestigt, sodass sie sich nicht berühren konnten. Ich kam gerade so an meine Schläfen.
Mein Schwert und den Dolch hatte Cameron – mein Vater – mir selbstverständlich abgenommen, doch die Jacke hatte er mir gelassen. Ich hoffte, dass er nie herausfand, was es damit auf sich hatte. Das Medaillon hatte ich auch noch um. Wobei ich mich fragte, ob er bemerkt hatte, dass ein oder mehrere Zauber darauf lagen. Wahrscheinlich wusste er es aber nicht, sonst hätte er es mir vermutlich ebenfalls abgenommen.
Außer mir war die Zelle leer. Ich wusste weder wo ich mich befand, noch wo Anna oder Caleb waren. Hoffentlich ging es ihnen gut. Ich musste daran glauben. Gleichzeitig fragte ich mich, was mein Vater mit mir vorhatte. Wollte er mich wirklich umbringen? Wenn ja, musste ich dringend einen Weg hier heraus finden.
Im Kopf ging ich die Dinge durch, die ich noch bei mir hatte. Cameron hatte mir die Jacke gelassen. Darin war Geld. Das konnte mir jetzt nicht helfen. Es sei denn, ich schaffte es, eine Wache zu bestechen. Allerdings würde so mein Geldversteck auffallen. Ich hatte meine Uhr noch, die gleichzeitig ein Feuerzeug war. Doch auch damit konnte ich gerade nichts anfangen. Die vier Ringe hatte ich auch noch. Bisher hatte ich sie völlig vergessen. Sobald ich dazu kam, würde ich Anna und Caleb einen geben.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Cameron mir auch das Handy abgenommen hatte. Natürlich – ich sollte ja nicht auf die Idee kommen, Hilfe rufen zu können. Sonst hatte ich gar nichts! Doch, das Medaillon. Allerdings wusste ich nicht, was es momentan konnte. Seit der Grabkammer meiner Mutter wies es mir nicht mehr den Weg, also musste meine Mutter den Zauber geändert haben. Ich war sicher, dass sie mir irgendwann bereits einen Hinweis darauf gegeben hatte, doch er war wahrscheinlich so versteckt, dass er mir nicht aufgefallen war. Ich seufzte. Wieso konnte sie nicht einmal sagen, was Sache war?

Ehe ich weiter überlegen konnte, ging die Tür auf. Cameron trat in die Zelle. „Malina, meine liebe Tochter."
Ich schwieg und warf ihm zornige Blicke zu.
„Jetzt sieh mich doch nicht so an. Freu dich lieber, dass Vater und Tochter zusammengefunden haben."
Es war tatsächlich seltsam zu wissen, dass mein Vater vor mir stand. Mein gesamtes Leben war ich Waise gewesen und nun plötzlich nicht mehr. „Wenn ich wirklich deine Tochter bin."
„Jah, das habe ich auch schon überlegt. Ich habe mir dich nämlich anders vorgestellt. Aber ein Vaterschaftstest während du geschlafen hast, hat das bestätigt."
Mir behagte der Gedanke, dass ich nicht wusste, was während meiner Bewusstlosigkeit geschehen war, gar nicht. Ich wandte den Blick von Cameron ab und starrte auf den Boden.
„Jetzt guck doch nicht so. Es bricht mir das Herz, dich so zu sehen." Der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Welches Herz?", murmelte ich.
Cameron lachte, doch sein Blick blieb hart. „In deiner Position solltest du aufpassen, was du sagst. Der nächste Spruch wird Konsequenzen haben."
„Was kümmert mich das, wenn du mich doch eh umbringst?"
„Weißt du, das hatte ich tatsächlich vor. Doch dann ist mir aufgefallen, dass du mir lebendig viel mehr nützt."
„Ich werde dir niemals helfen!"
„Das werden wir ja noch sehen. Aber vorher halte ich es für angemessen, dir dein – nein, unser – Zuhause zu zeigen."
„Ich will es nicht sehen!"
Cameron lachte schon wieder. „Ich fürchte, du hast keine andere Wahl."
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging aus der Zelle.

Doch ich war nicht lange allein. Nur wenige Sekunden nachdem Cameron die Zelle verlassen hatte, kamen zwei Wachen zu mir. Sie lösten die Ketten um meine Hände und fesselten meine Hände dann hinter dem Rücken. Zusätzlich hatten beide ihre Schwerter gezogen und eine weitere Wache befestigte eine Stahlkette an meinen Fesseln, um mich daran festzuhalten. Ich musste bei meinem letzten Besuch ja Eindruck geschindet haben. Bei dem Gedanken musste ich grinsen.
Doch nicht lange, denn noch bevor wir den Korridor verließen, wurden mir die Augen verbunden, sodass ich den Weg nicht mehr sehen konnte. Obwohl ich das Bedürfnis verspürte, mich loszureißen oder mich zumindest irgendwie zu wehren, Widerstand zu leisten, zwang ich mich, ruhig zu bleiben. Ich brauchte einen Plan. Hier würde es mir nichts bringen, einfach mit dem Kopf durch die Wand zu rennen.
Stattdessen ballte ich die Hände zu Fäusten und konzentrierte mich auf meine Atmung. Langsam beruhigte ich mich wieder, auch wenn es mich kirre machte, nicht zu wissen, wo ich mich befand oder was um mich herum geschah.
Ich wurde noch mehrfach um eine Ecke geführt und musste einige Male Treppen steigen. Ab und zu hörte ich Türen auf- und zugehen. Irgendwann veränderte sich die Luft und ich glaubte, nun nicht mehr in einem Gebäude zu sein. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass UEC tatsächlich so wirkte, als sei es an der Oberfläche. Der einzige Unterschied war, dass es hier keinen Wind gab und die Luft nicht ganz so frisch. Doch ansonsten war die Illusion perfekt.

Plötzlich wurde ich an den Oberarmen gepackt und hochgehoben. Dann wurde ich wieder abgesetzt. Mein jetziger Untergrund wackelte ein wenig und hallte leise, wenn ich einen Schritt machte. Vielleicht war es ein Podest? Doch warum sollte man mich auf ein Podest stellen?
Ich musste nicht lange auf eine Antwort warten, denn nur kurz darauf wurde mir die Augenbinde abgenommen. Ich stand nicht auf einem Podest. Es war eher ein riesiger Anhänger, wie man ihn bei Festumzügen sah. Normalerweise waren sie bunt verziert und Menschen in Kostümen verbreiteten gute Laune. Doch ich bezweifelte, dass mein Vater ebenfalls dieses Ziel hatte.
Nein, er wollte nur seine Macht demonstrieren; seinen Sieg über mich. Er wollte den Leuten, die noch Widerstand gegen ihn leisteten, zeigen, dass selbst ich, die große Hoffnung dieser Leute, nicht unbesiegbar war und dass er mich besiegt hatte.
Mein gesamter Körper zitterte vor Wut und wieder ballte ich meine Hände zu Fäusten. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handinnenflächen, doch ich nahm den Schmerz kaum wahr. Das würde ich nicht auf mir sitzen lassen! Momentan mochte ich zwar die Gefangene meines Vaters sein, doch besiegt hatte er mich nicht. Und das würde ich ihm und allen anderen auch zeigen!

Ich musste nicht lange auf Cameron warten. Mit einem gehässigen Grinsen kam er auf mich zu.
„Malina, schön, dich zu sehen."
„Deine Freude kann ich nicht erwidern."
Er lachte. „Das wirst du noch. Bist du bereit für deinen großen Auftritt?"
Nein, war ich nicht! Doch würde ich das vor Cameron niemals zugeben. Stattdessen sah ich ihm in die Augen. „Ich bin immer bereit."
Cameron starrte mich lange an und schwieg. Ich wandte den Blick nicht ab, da ich nicht zuerst wegsehen wollte. Das hätte er als Zeichen der Schwäche sehen können. „Es ist wirklich ganz erstaunlich, dass du unterschiedliche Augenfarben hast. Woher du das nur hast?" Dann wandte er sich von mir ab.
Kurz war ich verwundert, da ich ja gar nicht zwei verschiedene Augenfarben hatte, doch dann fiel mir ein, dass ich auf der einen Station meiner Mutter blaue Kontaktlinsen genommen hatte. Während den Kämpfen muss eine davon verloren gegangen sein. Ich beschloss, meinen Vater in dem Glauben zu lassen, ich hätte unterschiedliche Augenfarben.
Dann fuhr das Gefährt plötzlich los. Ich stolperte, fing mich jedoch gleich wieder. Möglichst schnell versuchte ich herauszufinden, wo wir hinfuhren. Doch dazu kannte ich UEC nicht gut genug. Ich konnte nur vermuten, dass Cameron zu einem gut besuchten Ort fahren wollte, damit er mich auch möglichst vielen Leuten präsentieren konnte.
Da ich sonst nichts tun konnte, stellte ich mich so aufrecht wie möglich hin und versuchte, so stark und stolz auszusehen wie möglich. Die Leute hatten mich als ihre Hoffnung auserwählt, nun wollte ich dem gerecht werden. Und vor allem wollte ich meiner Mutter gerecht werden. Sie war für ihren Glauben gestorben und musste dafür sogar ihr Kind weggeben. Sie war so stark gewesen, jetzt wollte ich genauso sein. Auch wenn mein Vater mich dafür ebenfalls umbrachte.
Wenn ich nicht mehr war, dann wäre Anna in Sicherheit. Sie hatte keine Bedeutung für meinen Vater. Ich hoffte einfach, dass er sie wieder gehen lassen würde. Caleb würde vermutlich nicht ungestraft davonkommen. Aber ich musste das Beste hoffen. Nur hätte der Widerstand ohne mich seine Hoffnung verloren. Nein, das musste ich verhindern! Vielleicht konnte ich den Leuten eine Nachricht hinterlassen. Wie es aussah, hatte mein Vater ja nicht sofort vor, mich zu töten. Noch hatte ich Zeit.

Ehe ich mich versah, hielt das Gefährt wieder an und ich erkannte, wo wir waren. Es war das Stadtzentrum mit dem großen Monitor, auf dem ich die Nachrichten zum ersten Mal gesehen und so erfahren hatte, dass sich Anna und Aria in der Gefangenschaft meines Vaters befanden. Heute waren viele Leute unterwegs. Der Wagen erregte Aufmerksamkeit, so waren schon nach wenigen Minuten mehrere Hundert Leute um den Wagen versammelt und starrten uns an. Sie warteten, was passieren würde.
Ich hütete mich davor, den Leuten direkt ins Gesicht zu sehen. Lieber hatte ich mir einen Punkt an dem gegenüberliegenden Gebäude gesucht und fixierte ihn nun mit meinen Blicken. Aus den Augenwinkeln konnte ich trotzdem erkennen, wie die Traube aus Leuten immer größer und größer wurde, bis der gesamte Platz voll war.
Plötzlich erschienen Leute mit Kameras und dieBildschirme gingen an. Mit Schrecken musste ich erkennen, dass Cameron und ichgroß darauf zu sehen waren. Nun ging es los - meine öffentliche Demütigung.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt