52. Unerwartete Wendungen

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Emily und ich kamen tatsächlich problemlos ins Schloss. Die Wachen grüßten uns freundlich und ab und zu wurde Emily kurz angehalten, um etwas zu plaudern.
„Was hast du denen gesagt?", fragte ich sie leise.
„Du willst vielleicht auch hier zu arbeiten anfangen und dir das Schloss deshalb einmal ansehen. Es wird gerade jemand gesucht."
Ich lächelte. „Praktisch!"

Emily machte ihren Job sehr gut. Sie zeigte mir die verschiedenen Abschnitte des Schlosses und sagte immer etwas dazu. Sie hätte eine prima Touristenführerin abgegeben.
„Bald sind wir...", setzte sie an, als plötzlich ihre Mutter zu uns stieß.
„Frau Schmidt, was machen Sie denn hier?"
„Ich wollte sichergehen, dass alles gut läuft und habe den Wachen gesagt, ich wollte mal wieder zu Besuch kommen. Ich bin hier immer gerne eingeladen. Emily, du kannst an deine Arbeit gehen, ich führe Mary weiter herum."
Emily lächelte und nickte brav. Im nächsten Moment war sie schon verschwunden. Frau Schmidt wies mir den Weg durch einige Gänge.
„Es tut mir leid, dass wir etwas von unserem ursprünglichen Plan abweichen müssen, aber es war besser so."
„Kein Problem."

Dann blieb Frau Schmidt vor einer Tür stehen. „Hier ist sein Büro. Wir sollten also lieber reingehen, bevor uns jemand sieht."
Ich nickte. Frau Schmidt öffnete mir die Tür und ich schlüpfte schnell hinein. Der Raum war nicht groß und komplett weiß. An einer Wand befand sich ein großer Bildschirm, sonst war der Raum leer. Meine Beine zitterten. Frau Schmidt musste einen Fehler gemacht haben! Suchend drehte ich mich nach ihr um.
Doch die Tür, durch die ich gekommen war, war geschlossen. Eine miese Vorahnung beschlich mich.
„Frau Schmidt?" Ich versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen.
„Frau Schmidt? Machen sie auf!" Ich hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür.
„Malina. Hör mir zu, es tut mir leid. Dein Vorhaben ist sehr nobel, aber unerreichbar. Calina hat alles getan, um ihre Tochter zu beschützen und ich habe es nicht verstanden. Nun habe ich selbst eine Tochter und ich kann nicht zulassen, dass sie ihr etwas passiert. Bitte vergib mir."
Dann verschwand sie.

Meine Beine gaben unter mir nach und ich sank zu Boden. Ich zitterte unkontrolliert am ganzen Körper. Mühsam schluckte ich die Tränen runter. Ich war stark, ich schaffte das. Alles würde gut werden. Jetzt musste ich nur die Ruhe bewahren.
Ich atmete tief durch und bemühte mich dann, wieder auf die Beine zu kommen. Plötzlich ging der Bildschirm an und das Gesicht meines Vaters erschien. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, um zu verbergen, wie sehr sie zitterten.
„Hallo, Malina, meine liebe Tochter. Schön, dich wiederzusehen! Ich war ehrlich gesagt etwas enttäuscht, dass du letztes Mal gegangen bist, ohne dich zu verabschieden!"
„Hör endlich auf, mich deine Tochter zu nennen! Du bist nicht mein Vater. Biologisch vielleicht, aber das heißt gar nichts!"
„Oh, wenn man die Nachfolgerin eines großen Anführers ist, heißt das sehr viel!"
„Mir wird schlecht davon, wie du dich selbst lobst, obwohl du so viel Unglück über UEC gebracht hast."
Cameron seufzte. „Ich lasse dir einen Eimer bringen. Und sei bitte vorsichtig mit den antiken Möbelstücken. Warte – die wirst du nie zu Gesicht bekommen." Er lachte.
Ich biss die Zähne aufeinander. „Das werden wir noch sehen."
„Soll das etwa eine Herausforderung sein?"
„Immer doch!" Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Gut, dann lass mich dir demonstrieren, wie viel Macht ich habe!" Er nahm eine kleine Fernbedienung in die Hand. „Wenn ich diesen Knopf hier drücke, strömt Gas in den Raum, in dem du dich gerade befindest und setzt dich für einige Stunden außer Gefecht. Meine Wachen bringen dich dann in dein neues Zuhause. Und bald bin ich da, um dir ganz viel Zeit zu widmen, so wie Väter das eben machen. Leider habe ich momentan noch geschäftliche Angelegenheiten in UEC zu klären. Ich wäre wirklich zu gerne persönlich da gewesen."
Ich hoffte, dass Cameron nicht bemerkte, wie sehr meine Beine zitterten. „Was auch immer du tust, ich werde niemals aufhören, Widerstand zu leisten und meiner Mutter den letzten Wunsch zu erfüllen." Für einen kurzen Moment genoss ich Camerons hasserfüllten Blick. Dann legte ich mich auf den Boden.
„Was machst du da?", keifte er.
„Denkst du, ich will mir blaue Flecken holen, wenn du mich betäubst? Denn das wirst du so oder so tun."
„Oh, Malina, da hast du ganz recht. Und wenn ich bei dir bin, dann wirst du mehr als ein paar blaue Flecken zu beklagen haben."
Ich hörte ein zischendes Geräusch. Cameron musste auf den Knopf gedrückt haben. Da ich mich jetzt nicht mehr auf ein Gespräch konzentrieren musste, verwendete ich all meine Anstrengungen, um nicht in Panik auszubrechen. Doch plötzlich verschwand die Panik. Ich wusste, dass das das Gas sein musste. Und nur wenige Sekunden später fielen mir die Augen zu.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt