11. Erkenntnisse

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Als ich aufwachte, schien die Sonne durch Ritzen in den zugenagelten Fenstern. Caleb war schon wach. Durch sein eng anliegendes T-Shirt zeichneten sich seine Muskeln ab und ließ mich staunen. Als er bemerkte, wohin ich starrte, grinste er. Ich wandte schnell den Blick ab.
„Seit wann bist du schon wach?"
„Seit einer Weile."
„Wie spät ist es überhaupt?"
„Früher Nachmittag."
„Wow, wie präzise."
Caleb verdrehte die Augen, musste dann jedoch schmunzeln.
Dann unterbrach das Knurren meines Magens die Stille. „Du weißt nicht zufällig, wo wir etwas zu essen herbekommen?"
„Ich könnte uns etwas besorgen", schlug Caleb vor. So wie er das sagte, klang das nicht sehr legal. Ich beäugte ihn misstrauisch.
„Hat jemand was von Essen gesagt?", murmelte Anna und setzte sich auf.
„Ja, wir überlegen gerade, wie wir an etwas herankommen", erklärte ich.
Anna begann zu grinsen. „Also ein paar Brote habe ich eingepackt, allerdings nicht sehr viele. Dafür habe ich aber Geld dabei." Triumphierend hielt sie eine Geldkarte in die Höhe.
„Du weißt schon, dass wir die nicht verwenden können?" Caleb sah sie herausfordernd an.
„Was? Wieso denn nicht?"
„Es wäre töricht, wenn du jetzt in die Stadt gehst. Deine Eltern suchen dich bestimmt schon und Buffalo ist wahrscheinlich eins ihrer ersten Ziele. Außerdem kann man Geldkarten zurückverfolgen. Und ich weiß, wovon ich rede."
Anna verschränkte die Arme vor der Brust. „Gut, Mr. Neunmalklug. Was schlägst du also vor zu tun?"
„Ich gehe los, um Essen zu kaufen."
„Was soll das bringen? Die Karte können sie doch trotzdem orten", mischte ich mich ein.
„Stimmt, aber sie suchen ja nicht mich, sondern Anna – vorausgesetzt sie versuchen tatsächlich die Karte zurückzuverfolgen. Ich muss mich eben beeilen, dann bin ich da weg, bevor sie überhaupt etwas bemerken."
„Aber sie wissen trotzdem, dass wir in Buffalo sind."
„Dann müssen wir jetzt eben alles kaufen, was wir brauchen, so viel Geld abheben wie möglich und die Karte nie wieder verwenden. Nach dem Rätsel verschwinden wir dann von hier und lassen uns nie wieder blicken."
Anna überlegte und kaute unschlüssig auf ihrer Unterlippe herum. „Na gut, einverstanden. Du musst uns aber etwas mehr als nur Essen mitbringen. Und heb nicht das ganze Geld ab! 200 Dollar reichen."
„Gut, was haben wir und was brauchen wir noch?"
„Im Rucksack haben wir ein Taschenmesser, zwei Brötchen, zwei Flaschen Wasser, die Decke und eben meine Karte."
„Du hast schon einen Rucksack und hast nur das mitgenommen?" Caleb warf ihr vorwurfsvolle Blicke entgegen.
„Entschuldigung, aber ich war ein wenig im Stress!"
Er seufzte. „Gut, dann hole ich etwas zu Essen, einen Erste-Hilfe-Koffer, eine weitere Flasche und ein Seil. Brauchen wir noch etwas?"
„Dann wird der Rucksack aber so schwer!"
Caleb verdrehte die Augen. „Dann trage ich ihn eben. Also, noch was?"
„Eine Taschenlampe wäre vielleicht hilfreich. Oder ein Feuerzeug. Oder einfach beides." Ich lächelte.
Caleb nickte. Anna verriet ihm dann noch ihre Pin und wie viel Geld er maximal ausgeben durfte.
„Und wehe du kommst nicht zurück, dann lasse ich die Karte sperren!", drohte sie ihm.
Er verdrehte nur wieder die Augen und ging dann.

Anna und ich versuchten, es uns in diesem Haus gemütlich zu machen. Tatsächlich fiel durch die Ritzen in den Fenstern nun ein bisschen Licht, sodass man etwas sehen konnte. Jedoch konnte das auch schlecht sein. Denn nun konnten wir erkennen, wie viele Spinnenweben hier tatsächlich waren. Und ich wollte gar nicht wissen, wie viele Spinnen dazugehörten.
„Das ist jetzt also so eine Art Hauptquartier", sagte Anna plötzlich.
„Ja, so sieht es aus. Zumindest bis wir das Rätsel gelöst haben."
„Was wollte dein Medaillon uns damit sagen? Ich meine, es hat doch genau in den Wasserfall gezeigt, oder?"
„Ja, nur ich weiß nicht, was wir tun sollen! Ich habe keine Ahnung von dieser seltsamen Magie und Caleb scheinbar auch nicht!" Frustriert seufzte ich und fuhr mir durch die Haare.
„Warum hilft er uns überhaupt?"
„Was weiß ich? Er wird schon seine Gründe haben."
„Denkst du, dass wir zaubern können?"
„Selbst wenn, habe ich keine Ahnung, wie."
„Mann, Malina, sei nicht so frustriert. Wir finden die Lösung schon."
„Wie kannst du dir da so sicher sein? Was, wenn das alles umsonst war?" Ich wich Annas Blick aus.
Sie legte mir eine Hand auf die Schulter. „Das ist Schwachsinn und das weißt du genauso gut wie ich. Wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt aufzugeben. Ich meine, es muss doch Schicksal gewesen sein, dass man dich nach Buffalo gebracht hat und du laut dem Medaillon genau hier hin solltest."
„Stimmt. Vielleicht weiß Caleb ja doch noch etwas."
„Ich würde mich nicht zu sehr auf ihn verlassen."
„Fang nicht schon wieder damit an! Caleb gehört jetzt zu unserem Team!"
„Wieso bist du dir da so sicher?"
„Anna, er weiß etwas über meine Eltern!"
„Und warum hat er dir das bisher nicht erzählt?"
Ja, das war eine gute Frage. „Er hatte bestimmt Gründe." Mit diesen Worten wandte ich mich von Anna ab und beendete das Gespräch.

Anna und ich räumten nun tatsächlich etwas auf. Mit einem Stock entfernte sie einen Großteil der Spinnenweben, während ich die Spinnen darin mit einem Schuh jagte. Wir brachten den ganzen Müll und Schutt in einen Nebenraum und ließen noch brauchbare Möbel hier. Das waren nur zwei Sessel und ein Tisch mit nur drei Beinen. Wir improvisierten jedoch und stellten ihn so in eine Ecke, dass er nicht mehr umfallen konnte. Als wir damit einigermaßen fertig waren, kam Caleb zurück.
„Und, hast du alles?", fragte Anna statt einer Begrüßung.
„Ja, hab ich. Hier ist deine Karte." Er reichte sie ihr. Dann holte er eine Tüte hervor. „Ich hab uns Chinesisch mitgebracht."
Er stellte das Essen auf den Boden und wir fielen wie hungrige Tiere über die gebratenen Nudeln her.
Als wir fertig waren, begann es auch schon wieder zu dämmern. Doch wir wollten erst gehen, wenn es auch ganz dunkel war.
„Lasst uns über die Aufgabe sprechen", beschloss Anna. „Gibt es irgendeinen Zauber, der uns da helfen könnte?"
„Vielleicht das mit dem Blut?", überlegte ich.
„Stopp, das geht doch nicht immer!" Caleb seufzte.
„Und warum nicht?", fragte Anna.
„Weil das ein spezieller Zauber war. Aber ich bezweifle, dass jemand den Niagara verzaubert hat."
„Vielleicht etwas dahinter?" Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dort etwas sein sollte.
„Wie sollen wir denn dahin kommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter dich in eine solche Gefahr bringen würde."
„Gut, Caleb, dann schlag etwas anderes vor!", giftete Anna.
„Ich bin doch schon die ganze Zeit am Überlegen! Aber so viel, wie ihr denkt, dass ich weiß, weiß ich nicht!"
„Was weißt du denn dann?"
„Nicht viel, aber genau das reicht den Typen schon, um mich loswerden zu wollen!" Kurz sah er aus, als hätte er schon zu viel gesagt, dann erlangte er die Fassung wieder.
„Von welchen Typen wirst du verfolgt?", fragte ich.
Caleb zögerte.
„Von welchen Typen wirst du verfolgt?", wiederholte ich meine Frage, diesmal mit etwas mehr Nachdruck.
„Es ist eine Organisation. Ich denke, sie nennt sich UEC. Sie haben auch von der Existenz von Magie erfahren. Ich weiß nicht sehr viel von ihren weiteren Plänen, aber es reicht ihnen, um mich als Gefahr anzusehen. Diese Leute haben herausgefunden, dass es ein Tor gibt, welches in ein magisches Land führt. Der Name des Landes ist mir unbekannt. Doch sie suchen nach dem Tor."
„Und warum genau ist das so schlimm?" Anna musterte Caleb misstrauisch. „Lass sie doch suchen, wenn sie unbedingt wollen!"
„Ihr Plan ist es, sich die Geheimnisse der Magie anzueignen und dann die Weltherrschaft zu übernehmen."
„Ach, ein geringeres Ziel konnten sie sich wohl nicht aussuchen."
Ich verstand noch immer nicht. Mit dieser Sache hatte ich doch gar nichts am Hut, oder? „Und was habe ich bitte damit zu tun?"
„Deine Mutter weiß, wo sich das Tor befindet."
Ich hatte das Gefühl, mein Herz würde einen Moment stehen bleiben. Meine Mutter wurde von einer gemeingefährlichen Organisation festgehalten und wenn sie mich fanden, würde ich nichts weiter als ein Druckmittel sein. Was sollte ich schon dagegen tun? Ich würde meine Mutter wohl doch nie wiedersehen.
„Anna, du solltest nach Hause fahren."
„Was? Was redest du da? Was ist mit dir? Und Caleb?"
„Sieh es doch mal realistisch. Was sollen wir schon gegen eine ganze Organisation unternehmen? Meine Mutter hat wahrscheinlich keine Mühen gescheut, um mich zu verstecken, ich kann ihr jetzt nicht in den Rücken fallen, indem ich mich von diesen Leuten fangen lasse. Caleb und ich verstecken uns. Was bleibt uns schon anderes übrig?"
„War redest du denn da? Wo bleibt dein Kampfgeist? Wir finden und befreien deine Mutter. Und dann versteckt ihr euch gemeinsam!"
„Ausnahmsweise muss ich Anna da recht geben. Wir können uns nicht ewig verstecken. Früher oder später wird man uns finden. Ich meine, dich hat man schon gefunden!"

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt