24. Erpressung

16 3 0
                                    

Die Zeit verging schleichend langsam. Das Essen von Carol hatte ich fast aufgegessen. Dazu hatte sie mir einen Kakao gebracht. Der eignete sich perfekt für meinen Plan und ich rührte ihn nicht an. Jetzt kam es ganz auf mich an.
Mein Herz schlug rasend schnell, als ich den Schlüssel im Schloss klacken hörte. Es war soweit, jetzt musste ich mich zusammenreißen. Ich rollte mich auf dem Sofa zu einer Kugel zusammen und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Jetzt musste ich an etwas Trauriges denken; Katie, meine Mutter.
Irgendwann kamen mir die Tränen und ich ließ sie zu.
„Hey, Malina. Was ist denn los?", fragte Carol.
Ich hörte, wie sie die Tür hinter sich wieder verschloss. „Was glaubst du denn?!"
Ich spürte Carols Hände auf meiner Schulter. „Ach, Kindchen. Es wird alles gut werden, du musst daran glauben."
„Wie soll ich das denn? Ich habe so viel verloren! Wie kann ich da noch hoffen?"
Carol zog mich in eine Umarmung. Ich ließ es zu. „Das kannst du, weil du stark bist. So stark, wie deine Mutter es auch war!"
„Meine Mutter ist tot und hat mich in dieser Situation zurückgelassen!" Es tat mir weh, das zu sagen. Ich wusste, dass das meine Entscheidung war.
„Das darfst du nicht denken! Sie hätte dich niemals im Stich gelassen!" Carol schloss mich fester in ihre Umarmung. Das war meine Chance! Ich erwiderte die Umarmung und schluchzte.
Als Carol zum ersten Mal den Raum betreten hatte, hatte ich gesehen, wie sie den Schlüssel in die hintere Tasche ihrer Jeans gesteckt hatte. Ein kleiner Faden hing daran und hing nun heraus. Ich drückte Carol fester an mich und schluchzte so dramatisch wie möglich.
„Ist ja gut", flüsterte Carol und strich mir beruhigend über den Rücken. Ich nutzte den Moment und zog den Schlüssel aus ihrer Tasche. Dann ließ ich ihn so gut es ging in meinem Ärmel verschwinden. Carol schien nichts bemerkt zu haben. Ich schauspielerte noch ein bisschen, beruhigte mich dann aber wieder. Langsam löste ich mich von Carol und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Geht es wieder?"
Ich nickte.
„Brauchst du noch etwas?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Gut. Das Geschirr nehme ich besser mit. Und der Kakao ist ja mittlerweile auch kalt. Ich mache dir einen Neuen."
Halt, das durfte sie nicht! „Nein, nicht nötig! Ich hab ihn extra auskühlen lassen."
Carol lächelte. „Na gut, aber den Rest nehme ich schon mit."
Ich nickte wieder. Dann sammelte Carol das leere Geschirr zusammen und drehte sich zum Gehen um. Schnell zog ich den Schlüssel aus meinem Ärmel und ließ ihn in den Kakao fallen. Hoffentlich würde sie da nicht nachsehen.
Ich beobachtete, wie sie sich in ihre Tasche fasste und keinen Schlüssel vorfand. Mit einer schnellen Bewegung kontrollierte sie die andere Tasche.
„Wo ist er nur?", murmelte sie.
„Ist irgendwas?", fragte ich. Im nächsten Moment hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Auffälliger ging es ja wohl nicht!
„Malina, du hast nicht zufällig meinen Schlüssel gesehen?"
Ich schüttelte den Kopf und sah sie so unschuldig wie möglich an. Ich durfte nur nicht lachen oder grinsen. Meine Mutter! Ich musste an sie denken.
Carol klopfte nun gegen die Tür. „Dan, kommst du mal?", rief sie.
Kurz darauf waren schwere Schritte auf der Treppe vor dem Keller zu vernehmen. „Ist alles in Ordnung?" Das war Dans tiefe Stimme.
„Ich kann meinen Schlüssel nicht finden. Aber er muss hier irgendwo sein."
„Warte, ich komme rein."
Ich hörte, wie Dan die Tür aufschloss. Dann betrat er den Raum
„Hast du etwas damit zu tun?" Die Frage war an mich gerichtet. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Aufstehen!" Sein Befehl duldete keinen Widerspruch, also verschränkte ich die Arme wieder vor der Brust, warf Dan böse Blicke zu und erhob mich von dem Sessel. Dann musste ich mich von Carol abtasten lassen.
„Sie hat ihn nicht."
„Ach, welch Überraschung!" Hätte ich es gekonnt, hätte ich nun eine Augenbraue nach oben gezogen, doch da ich mit diesem Talent nicht gesegnet war, tat ich es mit beiden.
„Aber er muss hier irgendwo sein."
„Vielleicht hast du ihn verloren?", fragte ich trotzig.
Dan stellte sich nun demonstrativ neben mich und Carol begann damit, das Zimmer abzusuchen. Die Tür war nicht abgeschlossen und er wollte wohl verhindern, dass ich floh. Doch dazu sah ich keinen Grund. Es war schließlich viel schlauer, zu fliehen, wenn er nicht direkt neben mir stand. Nein, ich sollte nicht jetzt schon denken, dass es funktioniert hatte. Schließlich suchte Carol noch.
„Hier ist nirgends ein Schlüssel!" Sie klang panisch.
„Pass du mal auf Malina auf und ich sehe nach dem Schlüssel."
Carol nickte. Eine Weile ging das noch so hin und her, doch keiner von beiden kam auf die Idee, im Kakao nachzusehen. Ich hoffte, dass sich das auch nicht noch taten. Doch meine Zweifel waren unbegründet. Wer kam schon auf die Idee, dass ich den Schlüssel geklaut und in meinem Getränk versteckt haben könnte? Carol und Dan nicht. So gingen sie irgendwann wieder. Nicht, ohne mich noch einige Male zu warnen und mir misstrauische Blicke zuzuwerfen. Als ich Dans Schlüssel im Schloss klicken hörte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Erst als es spät in der Nacht war, traute ich mich, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Ich sammelte den Schlüssel wieder aus dem Kakao und schlich mich dann zur Kellertür. Im Haus war alles ruhig. Zumindest konnte ich keine Geräusche vernehmen. So leise wie möglich steckte ich den Schlüssel in das Schloss und entriegelte die Tür. Mein Herz schlug rasend schnell und mein Bauch kribbelte, als ich das leise Klicken hörte.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und sah mich um. Es war alles dunkel, ich würde das Licht aber auch nicht einschalten. Hoffentlich schliefen Dan und Carol wirklich. Leise tapste ich zur Haustür. Verdammt, sie war noch immer abgeschlossen. Doch ich erinnerte mich, dass Dan den Schlüssel in seine Hemdtasche gesteckt hatte. Vielleicht war er ja noch immer dort.
Ich überlegte, ob ich es wirklich wagen sollte, den Schlüssel zu suchen oder einfach ein Fenster einschlagen sollte. Es war riskant, erst den Schlüssel zu suchen, wer wusste, wie fest Dan schlief, aber wenn ich ein Fenster einschlug, würde man mich auf jeden Fall hören. Vielleicht würden Nachbarn die Polizei rufen. Nicht auszudenken, was geschah, wenn ich mich nicht rechtzeitig versteckte. Ich sollte es zuerst mit dem Schlüssel versuchen.
Leise sah ich mich im Untergeschoss um. Ich fand viele schön eingerichtete Zimmer vor, jedoch nicht das, was ich suchte. Weder mein Schwert noch ein Schlüssel war hier. Wäre ja auch zu schön gewesen. Vermutlich bewahrten sie sie in Reichweite auf. Ich musste also das Schlafzimmer der beiden suchen. Hoffentlich hatten sie einen festen Schlaf.
Ich hatte Glück, dass die Treppe nicht knarrte, denn als ich oben ankam, sah ich, dass aus einem Zimmer Licht drang. Natürlich musste Dan noch wach sein und arbeiten. Vorsichtig warf ich einen Blick in das Zimmer. Er saß vor seinem Computer. Das Hemd, in das ich ihn den Schlüssel stecken sehen hatte, hing über der Lehne seines Stuhls und mein Schwert und mein Dolch lagen direkt daneben.
Ich musste Dan irgendwie aus dem Zimmer lotsen. Wobei ihm dann auch auffallen würde, dass das Schwert weg war. Dann musste ich schnell genug verschwinden. So schnell, dass er oder Carol mich nicht finden würden.
Leise entfernte ich mich wieder von dem Zimmer und suchte nach dem Schlafzimmer. Es befand sich ebenfalls im Obergeschoss, fast direkt neben dem Arbeitszimmer. Carol lag friedlich in ihrem Bett und fast tat es mir leid, sie hintergehen zu müssen. Doch es ging nicht anders. Glücklicherweise steckte der Schlüssel fürs Schlafzimmer. Ich nahm ihn an mich und schloss die Tür ab. Selbst wenn Carol wach werden würde, konnte sie mir nicht folgen.
Leise schlich ich die Treppe wieder herunter und versteckte den Schlüssel im Keller, sodass Dan sie später befreien konnte. Nun kam der schwierigere Teil. Dan musste irgendwie in den Keller. Ich hoffte nur, dass er den Ersatzschlüssel nicht bei sich trug. Aber vielleicht konnte ich ja auch das herausfinden.
Ich schloss also die Tür von außen ab und versteckte mich in einem Zimmer direkt neben dem Keller. Dann rief ich nach Dan. Nur wenig später hörte ich seine Schritte auf der Treppe. Ein metallisches Klicken verriet mir, dass er gerade die Tür aufschloss.
„Malina?", hörte ich seine Stimme. Das war meine Chance. Leise öffnete ich die Tür. Dan war tatsächlich in den Keller gegangen und hatte den Schlüssel stecken gelassen. Am liebsten hätte ich ihm noch irgendwelche frechen Worte an den Kopf geknallt, doch ich wollte kein Risiko eingehen und riss mich zusammen. Stattdessen zog ich einfach die Tür zu und schloss so schnell wie möglich ab. Gerade rechtzeitig, dann hörte ich Dans Fäuste gegen die Tür schlagen.
„Malina! Mach sofort die Tür auf!"
Ich nahm auch den zweiten Schlüssel an mich. „Vergiss es."
„Malina, du bist doch ein vernünftiges Mädchen. Also..."
„Wenn ich so vernünftig wäre, hättet ihr mich ja nicht einsperren brauchen", unterbrach ich ihn. Dann ging ich einfach. Die Schlüssel legte ich auf die Treppe und holte dann mein Zeug von oben. Der Haustürschlüssel war zum Glück noch in der Hemdtasche.
Mit zittrigen Fingern schloss ich die Tür auf und war frei. Doch nun musste ich durch ein ganz anderes Problem lösen. Als ich hergekommen war, bin ich blind Nags Anweisungen gefolgt, doch nun kannte ich mich hier nicht aus. Und Nag würde ich nicht noch einmal vertrauen!
Da kam mir eine Idee. Ich zog das Handy aus der Jacke. Die Nachrichten hatte ich ja noch. Ich musste ihnen nur folgen. Und wenn ich erstmal wieder in der Stadt war, würde ich Nag anschreiben. Nicht nur das, ich selbst würde Anna und Aria befreien. Wenn Nag mir auch dabei helfen musste. Aber das würde er. Ich wusste auch schon, wie ich ihn dazu bekommen würde.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt