50. Weiterreise

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Es dauerte noch eine ganze Weile bis wir loskonnten. Als wir unser gesamtes Zeug sortiert uns gepackt hatten, war es fast Mittag. Anna drängelte schon seit Ewigkeiten und schimpfte über unsere Verplantheit. Selbst machte sie aber keinen Finger krumm, um uns zu helfen. Schließlich hatte sie ihre Sachen schon fertig gehabt.

Dann kamen wir jedoch los und fuhren mit dem Bus nach Glücksburg. Anna hatte selbstverständlich die Zeiten perfekt recherchiert, sodass wir, als wir an der Haltestelle ankamen, fast sofort in den Bus einsteigen konnten. In Glücksburg war es dann schon so spät, dass wir zuerst ein Restaurant suchten, um etwas zu essen. Und wo wir schon einmal die Gelegenheit hatten, machten wir noch einen kleinen Abstecher zum Strand.

Am späten Nachmittag gingen wir dann tatsächlich zum Schloss. Groß und weiß ragte es vor uns auf und ich konnte schon von weitem erkennen, dass das Tor bewacht wurde.
„Was machen wir denn jetzt?", fragte ich. „Einfach reingehen geht wohl schlecht."
„Die zwei Wachen sollten kein Problem darstellen", warf Caleb ein und knackte mit den Fingern.
Anna boxte ihn dafür gegen den Arm. „Es geht darum, nicht aufzufallen. Wir sollten ein bisschen was über das Schloss herausfinden."
„Und wo bitteschön, Miss Oberschlau?"
„Wir könnten die Anwohner befragen."
„Und mit welcher Begründung willst du das erklären?"
Anna überlegte kurz. „Ganz klar, es ist ein Schulprojekt. Vertrau mir, das klappt immer!"
Caleb sah nicht sehr überzeugt aus. „Ein Schulprojekt. Ich bin gespannt."
Nun schaltete ich mich ein. „Eine Befragung kann aber ewig dauern. Wir könnten uns für heute und morgen doch ein Hotel suchen. Dann könnten wir bis spät abends Leute befragen und dann hier die Informationen auswerten. Vielleicht können wir dann schon morgen irgendetwas unternehmen."
Caleb nickte. „Das klingt nach einem Plan."
Anna streckte ihm die Zunge raus.
Ich schüttelte grinsend den Kopf. „Kommt, es ist schon spät. Hoffentlich finden wir noch ein Hotel."

Wir fanden eins. Es war nicht sehr gut, dafür aber ziemlich günstig. Für unsere Zwecke reichte es. Wir verstauten nur schnell unser Zeug, dann gingen wir zurück in die Stadt. Anna besorgte sich in einem Laden noch ein Notizbuch und einen Stift, dann machten wir uns daran, die Leute zu befragen. Caleb war noch immer nicht überzeugt von Annas Idee. Diese ging geradewegs auf eine ältere Frau zu. Wir hatten vereinbart, dass sie die Gespräche führte, während wir uns im Hintergrund hielten. Und das tat sie jetzt auch. „Entschuldigen Sie, hätten Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für uns?"
Die Frau lächelte Anna freundlich an. „Worum geht es denn, Kindchen?"
„In der Schule sollen wir eine Präsentation über das Schloss hier halten. Nun möchten wir herausfinden, wie viel die Anwohner hier darüber wissen."
Die Frau runzelte die Stirn. „Sind denn nicht gerade Ferien?"
Anna kratzte sich am Kopf, dann seufzte sie und sah sehr frustriert aus. „Unser Lehrer glaubt, wir hätten zu viel Freizeit."
Die Frau schlug sich die Hand vor den Mund. „Selbst in den Sommerferien?"
Anna nickte. „Es ist ein Jahrgangsübergreifendes Projekt."
Die Frau schüttelte den Kopf. „Die Jugend heutzutage hat so viel Stress. Als ich noch jung war, war die Schule hart, aber wir hatten auch Freizeit. Schließlich mussten wir ja unseren Eltern helfen. Hach, die guten alten Zeiten." Verträumt starrte sie in die Luft.
Anna räusperte sich. „Helfen Sie uns nun?"
„Selbstverständlich. Was möchtet ihr denn wissen?"
„Nun ja, die Befragung geht darum herauszufinden, wie viel die Anwohner über das Schloss wissen. Also erzählen Sie uns am besten alles, was sie wissen."

Nach der Frau befragten wir noch viele andere Leute. Wir waren tatsächlich den ganzen Tag beschäftigt. Letztendlich teilten wir uns sogar auf, um mehr Leute befragen zu können. Zurück im Hotel trugen wir unsere Ergebnisse zusammen. Doch wir alle hatten ähnliche Dinge erfahren.
Viele der Befragten wussten fast gar nichts. Einige konnten uns ein paar historische Fakten nennen, nur wenige wussten Genaues. Manchmal unterschieden sich die Fakten der Leute, doch das interessierte uns nur wenig, da wir mit den historischen Daten kaum etwas anfangen konnten.
Um dem Hinweis meiner Mutter folgen zu können, brauchten wir entweder Hinweise darüber, ob mein Vater in dem Schloss wohnte, wie es aufgebaut war oder ob es irgendwelche Besonderheiten daran gab. Denn wir wussten zwar, dass der Hinweis meiner Mutter sich in dem Schloss befand, doch sie hatte nicht erwähnt, wo genau er sich befinden sollte.
„Und was machen wir jetzt?", fragte Caleb.
„Malina, funktioniert dein Medaillon noch?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht mehr seitdem ich es in das Grabmal meiner Mutter gelegt habe."
„Dann vermute ich, dass es nun etwas anderes kann." Caleb seufzte. „Nur wissen wir nicht, was."
„Wie kommst du darauf?"
„Weil deine Mutter ein Faible für Rätsel hat und das Medaillon jetzt nicht einfach nutzlos ist. Das ist rein logisches Denken."
Anna nickte. „Ich würde auch darauf tippen, dass es nun etwas anderes kann. Hat Calina dir irgendeinen Hinweis gegeben?"
Ich seufzte. Wie sollte ich mich an einen Nebensatz erinnern, in dem sie sicherlich den Hinweis versteckt hatte? „Ich weiß es nicht, sie hat so viel gesagt."
Caleb legte mir eine Hand auf die Schulter. „Wir finden es schon heraus." Er lächelte mich zuversichtlich an.
Ein warmes Kribbeln machte sich in mir breit und breitete sich in meinem ganzen Körper aus.
„Hey, ihr!" Anna schnipste mit den Fingern. „Wir brauchen noch immer einen Plan."
Caleb nahm seine Hand wieder von meiner Schulter. Ich wünschte, er hätte sie dort gelassen. „Ist doch ganz einfach, wir müssen selbst ins Schloss gehen und uns umsehen!"
Anna verdrehte die Augen. „Ernsthafte Pläne."
Caleb sah sie empört an. „Das ist ein ernsthafter Plan!"
Anna stemmte die Hände in die Hüften. „Wir werden auf keinen Fall dort einbrechen, ohne zu wissen, was uns erwartet. Stell dir vor, was passiert, wenn wir erwischt werden! Das hatten wir doch gerade erst. Und diesmal wird Cameron nicht mehr so freundlich sein. Uns wird er ohne zu zögern umbringen und Malina wird er wieder in diesem grauenhaften Keller einsperren. Also nein, wir werden dort nicht einbrechen!" Ihre Augen glänzten feucht.
Ich konnte nicht anders, als Anna in eine Umarmung zu ziehen. „Es ist doch noch gar nichts beschlossen."
Sie löste sich von mir und sah mir in die Augen. „Aber ich sehe doch, dass du von dem Plan nicht abgeneigt bist. Malina, ich will das nicht noch einmal durchmachen. Und du sicher auch nicht. Bitte, sei vernünftig."
Caleb schüttelte den Kopf. „Anna, was denkst du bitte von mir? Ja, ich will in das Schloss einbrechen. Aber hältst du mich wirklich für so dumm, einfach dort hereinzuspazieren?"
Anna zog die Augenbrauen hoch, woraufhin Caleb abwehrend die Hände hob. „Alles klar, du hältst mich für so dumm. Okay, dann lass mich dir sagen, dass ich es nicht bin. Und momentan habe ich keine Alternative. Jetzt beruhig dich erst einmal und dann überlegen wir gemeinsam. Ich verspreche dir, dass wir nichts tun, womit du nicht auch einverstanden bist."
Anna nickte.
„Sehr gut, dann sollten wir zunächst das Schloss ausspionieren. Also herausfinden, wer wann und wo ein- und ausgeht, wo sich Kameras befinden, wer wo wache steht und wo es Eingänge und Fenster gibt."
Ich stimmte Caleb zu. „Wir könnten sicherheitshalber unsere falschen Identitäten annehmen."
„Das stimmt. Ich weiß nicht, ob es viel bringt, aber wenigstens an den Namen wird man uns nicht erkennen."
„Wie hießen wir nochmal?", fragte Anna.
Caleb kratzte sich am Kopf und suchte dann unsere Ausweise in der Tasche. „Malina heißt laut den Ausweisen Mary, du bist Anastasia und ich bin... Nag..." Er seufzte.
Anna und ich mussten lachen.
„Jaja, lacht ihr nur. Irgendwann bekommt ihr das zurück!"
„Natürlich, Nag, natürlich." Anna streckte ihm die Zunge raus.
Ich fing mich als Erste wieder. „Okay, was machen wir jetzt?"
„Ich bin dafür, dass wir ab morgen das Schloss überwachen."
Anna nickte. „Klingt vorerst nach einem Plan."
„Wenn du einen besseren hast, darfst du ihn uns gerne mitteilen."
Anna hatte keinen besseren Plan. Darum wechselten wir das Thema und begannen eine unverfängliche Plauderei über die Befragungen. Wir alle hatten es mit unterschiedlichen Leuten zu tun gehabt und so gab es eine Menge zu erzählen.
Als es spät wurde, legten wir uns schlafen.

Der nächste Tag wurde ziemlich langweilig. Ich hatte es mir spannender vorgestellt, ein Schloss auszuspionieren. Aber eigentlich zogen wir immer wieder die gleichen Kreise, während Caleb sich Notizen machte.
Obwohl ich schon nicht mehr damit rechnete, passierte am Abend doch noch etwas Interessanteres. Caleb tippte mich aufgeregt an. „Malina, siehst du, wer da das Schloss verlässt?"
„Das Mädchen?" Er nickte. „Ja, das sehe ich. Kennst du sie etwa?"
Er schüttelte den Kopf. „Aber ich habe sie heute Morgen schon gesehen."
„Und was ist daran so interessant?"
Anna grinste. „Sie arbeitet hier. Und vielleicht ist sie unser Ticket ins Schloss.
Caleb nickte. „Ganz genau. Malina, willst du sie ansprechen?"
„Kann ich machen, aber warum gehen wir nicht alle zusammen zu ihr?"
„Wir müssen sie nicht so überrumpeln."
Das klang logisch.
„Aber vergiss nicht, du bist Mary und nicht Malina."
Ich nickte. „Wie viel kann ich ihr erzählen?"
Caleb schielte zu dem Mädchen. „Verlass dich auf dein Gefühl. Und jetzt geh, sie hat ihr Fahrrad gleich aufgeschlossen und ist über alle Berge."

Caleb hatte recht. Also beeilte ich mich ein wenig, als ich zu dem Mädchen ging.
„Entschuldigung!"
Es drehte sich zu mir um, wobei seine blonden Haare im Licht glänzten. „Kann ich dir helfen?"
„Ich weiß nicht. Weißt du, ich wohne hier noch nicht so lange und wollte heute die Gegend etwas erkunden. Dabei muss ich mein Handy verloren haben. Hast du es vielleicht gesehen?"
Es schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid. Aber ich kann dir suchen helfen. Ich habe es nicht eilig."
„Oh, das wäre super!" Ich lächelte.
„Ich bin übrigens Emily, und du?"
„Mary. Das Schloss ist wirklich beeindruckend."
„Ja, nicht? Umso besser, dass ich dort jeden Tag sein kann." Emily grinste stolz.
„Wie kommt das?"
„Ich arbeite hier. Sag mal, weißt du noch, wo du entlanggelaufen bist?"
Ich nickte und wies auf den Weg. Wir setzten uns in Bewegung. „Du arbeitest hier? Wie alt bist du?"
„Dreizehn. Aber meine Mutter hat hier schon gearbeitet, es ist wie eine Familientradition."
„Und gehst du gar nicht zur Schule?"
„Doch, doch. Aber nicht in den Ferien."
Stimmt, das hatte ich vergessen. „Denkst du, es wäre möglich, dass du mir das Schloss einmal zeigst?" Mein Bauch kribbelte vor Nervosität. Jetzt wurde es ernst.
„Ich weiß nicht. Also ich würde dir das Schloss liebend gerne zeigen, aber eigentlich sind Führungen streng verboten."
„Gibt es nicht sonst in jedem Schloss Führungen."
Emily lachte. „Ja, kann schon sein. Aber das Schloss hier befindet sich in Privatbesitz. Der Eigentümer wohnt hier auch und will nicht, dass ständig fremde Leute ein- und ausgehen."
„Jemand kann in einem Schloss wohnen? Das ist wohl der Traum eines jeden Mädchens."
Wir lachten.
„Ehrlich gesagt ist er nicht oft hier. Seine Bediensteten wohnen hier."
Ich spielte mit meinen Händen an einer Haarsträhnen. „Dann könntest du mir doch theoretisch einen Teil zeigen."
Sie seufzte. „Okay, ich will sehen, was ich tun kann."
Ich lächelte. „Danke, du bist großartig! Und du hast gesagt, deine Mutter arbeitet auch dort?"
„Arbeitete."
„Oh, ist sie..." Ich schlug die Hände vor den Mund und war erleichtert, als Emily lachte.
„Nein, nein, sie lebt und ist gesund. Meine Mutter war die persönliche Bedienstete der Eigentümerin. Als diese verstarb, gab es für meine Mutter nichts mehr zu tun."
Sie hatte meine Mutter gekannt.
„Mary, ist alles in Ordnung? Du bist plötzlich so blass!"
Ich versuchte zu lächeln. „Ja, alles bestens."
Emily zog die Augenbrauen hoch. „Und das soll ich dir glauben? Kanntest du die Eigentümerin?" Ihr Blick wurde weich.
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht persönlich."
„Woher dann?"
„Das ist eine lange Geschichte." Ich lächelte schwach.
Plötzlich sah Emily sich suchend um. Dann trat sie näher an mich ran. „Bist du etwa von dort?"
„Was genau meinst du mit ‚von dort'?"
„Na, aus UEC."
Sie wusste also davon. Zögernd nickte ich.
„Dann bist du nicht nur hier, weil du das Schloss sehen willst", stellte sich nüchtern fest.
„Nein, tut mir leid. Meine Freunde und ich müssen... einiges klären."
Sie nickte. „Ich kenne die politische Situation in UEC. Meine Mutter hat mir davon erzählt."
„Denkst du, es wäre möglich, deine Mutter einmal zu treffen?"
Emily nickte wieder. „Ich kann sie euch vorstellen. Morgen habe ich ab Mittag frei. Wollen wir uns vor dem Tor treffen? Dann nehme ich euch mit."
Nun lächelte ich wirklich. „Danke, Emily, das wäre super."
„Gut, dann sehen wir uns morgen!" Emily grinste mich an, dann stockte sie. „Ach, das Handy. Das hast du nicht wirklich verloren, oder?"

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt