46. Schweben

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Mir war so unglaublich heiß. Wo war die mir so bekannte Kälte geblieben? Meine Stirn war schon nass vom Schweiß. Ich wischte ihn mit einer Hand weg. Warte, ich konnte meine Hand bewegen? Ich war tatsächlich nicht mehr gefesselt. War mein Zustand so schlecht gewesen, dass Cameron mich hatte verlegen lassen?
Ich blinzelte. Das Licht brannte so hell, dass meine Augen zu tränen begannen. Nur langsam gewöhnte ich mich an die Helligkeit und erkannte die Schemen eines Raums. Neben mir saß jemand, ich konnte die Person jedoch nur verschwommen erkennen.
„Malina! Ein Glück, bist du wach!" Ich erkannte die Stimme.
„Caleb." Meine Stimme war nur noch ein flüstern. Wie lange hatte ich sie nicht mehr benutzt?
„Ja, Malina. Ich bin hier." Ich spürte, wie er mir übers Gesicht strich, doch schon bei der kleinsten Berührung zuckte ich zusammen, woraufhin Caleb die Hand zurückzog. Langsam wurde die Welt klarer und ich konnte sein Gesicht erkennen.
„Wo... bin ich?" Jedes Wort schien mir unglaublich viel Kraft zu kosten und ich merkte, wie mir langsam die Augen wieder zufielen.
„In Sicherheit", hörte ich Caleb sagen, bevor ich wieder wegdämmerte.

Ich blinzelte. Um mich herum war alles grell. Wo war ich? Ein Raum. Ein kleiner Raum. Es gab ein Fenster. Ich musste fliehen!
Wenn du fliehst, wird er dich wieder bestrafen!

Nein, er konnte mich nicht bestrafen. Ich war doch frei! Ich hatte Caleb gesehen! Oder hatte ich mir das nur eingebildet? War er gestorben und ich hatte ihn im Himmel wiedergesehen? Ich vertrieb den Gedanken. Caleb lebte und es ging ihm gut!
Ich mahnte mich, ruhig zu bleiben und setzte mich auf. Mein Kopf drohte zu explodieren. Ich massierte mir die Schläfen und stand auf. Meine Beine zitterten bedrohlich und ich musste mich wieder hinsetzen, da sie unter meinem Gewicht sonst ihren Dienst versagt hätten. Stattdessen versuchte ich herauszufinden, wo ich war.

Das Zimmer war klein. Es gab zwei Stockbetten, drei davon waren belegt, meins eingeschlossen. Es gab einen kleinen Schrank, zwei Türen und ein rundes Fenster. Ich überlegte. Camerons Anwesen hatte keine runden Fenster gehabt. War ich immer noch dort oder hatte man mich befreit?
Ich traute mich nicht, zu einer der Türen zu gehen. Zum einen würde ich nicht weit kommen, da meine Beine mich kaum einen Schritt weit trugen – die lange Unbeweglichkeit hinterließ ihre Spuren. Zum anderen wollte ich nicht erneut die Enttäuschung ertragen müssen, wenn dir Tür verschlossen war.

Ich kauerte mich in eine Ecke des Bettes, umschlang meine Knie mit den Armen. Vor meinem inneren Auge liefen die Erinnerungen wie ein Film in dauerschleife ab. War das wirklich passiert? Oder hatte ich mir das doch nur eingebildet? Nein, mein Körper, der noch immer von der Misshandlung schmerzte, zeugte von der Wahrheit dieser Erinnerungen. Wie hätte ich mir so etwas auch ausdenken können?
Plötzlich flog die Tür auf und Anna trat ein. Ich hätte erleichtert sein sollen, mich freuen, doch ich fühlte gar nichts. In mir war nichts als eine große Leere und ich fragte mich, ob ich überhaupt noch fühlen konnte. Ich spürte weder Trauer noch Freude, alles war fort. Nur der überwältigende Schmerz blieb und bewies, dass ich noch lebte.
„Malina! Du bist endlich wach!" Anna stürmte auf mich zu und schloss mich in ihre Arme. Ich machte mich von ihr los.
„Ist alles in Ordnung?" Sie musterte mich besorgt.
Ich nickte.
Anna sah misstrauisch aus. „Wirklich? Du siehst nicht so aus."
Ich fragte mich, wie ich reagieren sollte. Sollte ich weinen? Sollte ich mich freuen? Wahrscheinlich sollte ich mich freuen. Doch ich war wie betäubt. Nichts. Keine Freude, keine Trauer. Ich setzte ein Lächeln auf. „Es geht mir gut, wirklich."
Anna sah noch nicht überzeugt aus, doch sie nickte. „Willst du denn gar nicht wissen, was passiert ist?" Sie wirkte schon fast euphorisch und ich wusste, dass ich etwas mehr Enthusiasmus zeigen musste. Anna sollte sich keine Sorgen um mich machen.
„Natürlich will ich das! Erzähl!"
„Okay, also nachdem Caleb und ich geflohen sind, sind wir bei Widerständlern untergekommen. Wir mussten den Wohnort immer wieder wechseln, da wir gesucht wurden, aber wir haben es geschafft, uns zu verstecken. Dadurch wurde es aber auch schwerer, einen guten Plan zu entwickeln, um dich zu befreien. Es hat sich alles immer wieder und wieder verzögert, bis wir irgendwann nicht mehr warten konnten.
Dann haben wir dich befreit und sind wieder erst einmal zu den Widerständlern gegangen. Du wurdest notdürftig versorgt. Dein Zustand war kritisch und wir wollten eigentlich länger dort bleiben, aber Cameron hat begonnen, die Ausgänge abriegeln zu lassen. Unser ursprünglicher Plan war es, durch ein Tunnelsystem in UEC zu fliehen. Mir wurde erklärt, dass diese Tunnel zu allen Städten der Welt führen und man in wenigen Stunden von einem Ort zum anderen reisen kann.
Aber Cameron hat auch das schon abgeriegelt, weshalb wir erst einmal so fliehen mussten. Als wir nach draußen kamen, war es spät am Abend, weshalb wir uns ein Hotel gesucht haben. Zu diesem Zweck wurde uns in UEC ein ordentliches Budget gegeben. Ach, und neue Ausweise. Sie sind gefälscht, weshalb wir unser Glück nicht auf die Probe stellen sollten, aber vorerst sind sie perfekt.
Jedenfalls haben wir nach der Nacht noch eine weitere in Buffalo verbracht, bis wir alles geplant hatten und nach New York gereist sind; teils per Anhalter und teils mit dem Zug. Dort haben wir dann ein Frachtschiff gefunden, auf dem man uns für wenig Geld mitgenommen hat, wenn wir ein bisschen Helfen. Und da sind wir jetzt gerade. In etwa einer Woche sollten wir in Deutschland ankommen." Anna grinste von einem Ohr zum anderen.
„Ihr wart fleißig", stellte ich fest, noch immer nicht fähig, irgendetwas zu empfinden.
Anna sah etwas enttäuscht aus, als ich nicht angemessen reagierte. „Ja, wir reißen uns für deine Ziele ziemlich den Arsch auf. Wenn du es genau wissen willst, habe ich auch schon alle Verbindungen herausgesucht, die wir brauchen, um an unser Ziel zu kommen!" Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Leben war wie ein Film und ich nur ein Beobachter. Ich funktionierte zwar, fühlte mich aber nicht wirklich ins Geschehen involviert. „Das ist toll!" Mein Lächeln war wieder zusammengefallen und meine Stimme klang monoton. So sehr ich die Gedanken an die Vergangenheit auch zu verdrängen versuchte, waren sie allgegenwärtig und nahmen mir die Luft zu atmen. Ich glaubte, unter ihrem Gewicht erdrückt zu werden, doch niemand konnte mich davon befreien.
Wieder ging die Tür auf und Caleb trat ein. Als er mich sah, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Endlich bist du wach! Geht es dir gut?" Sein Blick fiel auf Anna und sein Lächeln erstarb. Er sah verwirrt zwischen Anna und mir hin und her. „Ist alles in Ordnung?"
Anna löste sich aus ihrer Starre und stemmte die Hände in die Hüften. „Alles bestens. Ich gehe Malina jetzt etwas zu essen hohlen." Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Zimmer.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt