57. Schlussstrich

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Wir beschlossen, diesen Abend noch im Hotel zu verbringen. Am späten Abend gingen wir gemeinsam in die Stadt, um noch einige Dinge zu besorgen und danach in einem Restaurant zu essen. Wir wussten schon jetzt, dass es einige Zeit dauern würde, unseren Plan in die Tat umzusetzen. Um die Leute wirklich zu überzeugen, brauchten wir genug Beweise und ein wirklich gutes Video. Zur Sicherheit besorgten wir uns Schlafsäcke und genug Verpflegung für mehrere Tage.

Am nächsten Morgen war es dann soweit. Caleb hatte beobachtet, wann die Frühschicht der Wachen die Nachtschicht ablöste und zu diesem Zeitpunkt schlichen wir uns hinein. Dadurch, dass wir Calina an unserer Seite hatten und sie sich im Schloss auskannte, kamen wir viel besser voran und brauchten kaum Wachen zu beseitigen. Denn Calina kannte auch viele Verstecke.

Erstaunlicherweise kamen wir gut im Kontrollraum an. Dort verriegelte Calina sofort die schwere Stahltür.
„Und du bist sicher, dass man die nicht von draußen öffnen kann?", fragte Anna.
„Das kann man nicht. Es ist das Kontrollzentrum. Wenn irgendetwas passiert, sollte man hier drin sicher sein. Die Tür ist verschlossen."
Plötzlich vibrierte etwas in meiner Jacke. Ich öffnete die Tasche und stellte fest, dass es das Handy war, das ich in UEC von Calina bekommen hatte.
„Ist irgendetwas?", fragte Anna.
Ich antwortete nicht, denn ich kannte nur eine Person, die mich – mit Ausnahme von Caleb – auf diesem Handy erreicht hatte: Cameron.
„Ich habe eine Nachricht bekommen."
Caleb kam zu mir und legte eine Hand auf meine Schulter. „Du musst dir das nicht allein ansehen." Er lächelte mich an.
Schwach lächelte ich zurück. Dann sah ich nach, was ich erhalten hatte. Es war ein Video von einer unbekannten Nummer. „Ich will nicht wissen, was da drauf ist!", rief ich und drückte das Video von mir weg.
„Du musst es dir nicht angucken", antwortete Caleb, doch ich schüttelte den Kopf und drückte auf ‚Play'.
Natürlich war das Video von Cameron. Er grinste in die Kamera. „Malina, meine liebe Tochter. Glaub mir, ich war nicht sehr erfreut zu hören, dass du mich nicht einmal begrüßt hast. Dafür hast du deine ätzende Mutter gefunden."
Er seufzte. „Welche der Wachen war auch so dämlich, dich mit ihr in eine Zelle zu sperren? Es war doch klar, dass ihr mir gemeinsam noch mehr ärger macht als einzeln. Wobei du mir in den letzten Monaten mehr ärger gemacht hast als deine Mutter in allen Jahren unserer Ehe zusammen." Grimmig sah er mich direkt an.
Doch schlagartig änderte sich sein Gesichtsausdruck wieder und er lächelte finster. „Dafür wird es mir umso mehr Spaß machen, dir die Konsequenzen zu zeigen. Und nicht nur dir, auch deiner Mutter." Er lachte. Schon wieder spielten meine Beine verrückt und begannen zu zittern. Es konnte nichts Gutes dabei rauskommen.
Cameron ging mit der Kamera ein Stück durch einen Raum. Ich glaubte, das Gefängnis zu erkennen. „Ich weiß, dass ihr schon Bekanntschaft mit Emily gemacht habt." Es war tatsächlich das Gefängnis, denn Cameron filmte nun durch das Gitter der Zelle hindurch, wo Emily gefesselt am Boden lag. Ich sog scharf Luft ein.
Cameron wandte sich nun ihr zu. „Emily, sag deiner Freundin Malina hallo. Sie ist übrigens schuld daran, dass du nun hier bist."
Emily schluchzte und weinte. Mein Herz zog sich zusammen. „Ich kenne keine Malina!", brachte sie hervor und ich konnte sehen, dass sie zitterte.
Nun war nur Camerons Stimme zu hören. „Natürlich kennst du sie! Du hast sie ins Schloss geführt!"
„N-nein! Das war Mary. Vielleicht verwechseln Sie jemanden? Es tut mir wirklich sehr leid, sollte ich..."
„Sei still!" Nun richtete er die Kamera wieder auf sich. „Siehst du, was du getan hast? Die süße kleine Emily wird dafür bezahlen." Er lachte finster, als er plötzlich eine Pistole in der Hand hielt.
„Emily, willst du noch etwas sagen?"
Sie starrte mit geöffnetem Mund und vor Angst geweiteten Augen auf die Pistole, als ein Schuss viel. Emily sackte in sich zusammen und rotes Blut verteilte sich auf dem Boden. Ausdruckslose, tote Augen starrten mich an, als das Video endete.
Meine Beine gaben unter mir nach. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
„Nein." Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
„Malina!" Caleb hockte sich vor mich. „Sieh mich an!"
Ich schüttelte wieder den Kopf. „Sie kann nicht tot sein!" Nun sah ich zu Caleb auf. „Wie konnte er das tun? Er hat ein unschuldiges Kind ermordet!" Ich ballte meine Hände zu Fäusten.
„Cameron ist ein Monster, das weißt du. Und sie ist nicht die Erste. Erinnere dich an Katie." Caleb sah mich ernst an.
„Das tue ich!" Ich sprang auf. „Und langsam reicht es mir! Ich will das jetzt beenden! Ein für alle Mal! Cameron soll nie wieder jemandem etwas antun können!" Ich lief zur Tür und versuchte, sie zu öffnen, doch Calina hatte sie fest verschlossen. Mit Fäusten hämmerte ich dagegen. „Lasst mich raus!"
„Malina, hör auf." Caleb stand schon wieder neben mir.
„Nein, ich muss da raus. Ich muss doch... Ich... Emily..."
Caleb schüttelte den Kopf. „Das ist nicht der richtige Weg."
„Das mag sein, aber ich werde so nicht weiter machen! Wir tun gar nichts! Wir rennen die ganze Zeit vor Cameron davon und hoffen das Beste, aber wie du siehst, funktioniert das nicht. Wir können froh sein, dass es nicht noch mehr Tote gibt! Ich kann so nicht weitermachen! Wer weiß, wer als nächstes dran ist?"
„Du hast recht, aber..."
„Nein, sie hat recht", fiel Calina ihm ins Wort. „Es gibt kein Aber. Und wir können aufhören."
„Was? Wir sind doch nicht so weit gekommen, um..." Setzte Anna an, doch Calina brachte sie mit einer Geste zum Schweigen.
„Cameron hat genug Leben zerstört. Aber mit diesem Video ist er zu weit gegangen. Und er hat einen Fehler gemacht. Bisher haben sich seine Taten zu sehr mit UEC beschäftigt, als dass wir hätten zur Polizei gehen können. Doch dieser Mord hat damit nichts zu tun. Wir können zur Polizei gehen, ohne UEC da reinzuziehen. Und genau das habe ich vor."

Ich wusste nicht mehr, wie wir aus dem Schloss gekommen waren, doch irgendwann standen wir in einem Polizeirevier. Calina redete, doch ich konnte sie nicht verstehen. Die Momente zogen an mir vorbei. Caleb hatte mich in den Arm genommen und ich weinte, während die Polizisten unsere Aussage aufnahmen. Sie wollten mich befragen und ich antwortete.
Die ganze Zeit wich Caleb nicht von meiner Seite. Ich war ihm dankbar dafür. Denn plötzlich ging alles ganz schnell. Wir blieben auf dem Revier sitzen, doch kaum hatten wir alle unsere Aussagen fertig getätigt, bekamen wir die Nachricht, dass Cameron verhaftet worden war. Die Polizisten hatten Emilys Leiche gefunden und bereits ihre Mutter verständigt.
Auf dem Revier begegneten wir Frau Schmidt. Sie weinte. Und sie beschimpfte uns, doch ich nahm sie kaum wahr. Caleb führte mich fort von ihr, aus dem Revier. Wir fuhren mit einem Taxi in das Hotel, in dem wir zurzeit wohnten. Dort brachte Caleb mich in mein Bett. Calina setzte sich zu mir und strich mir über den Arm. Irgendwann schlief ich ein.

Als ich erwachte, war ich mir nicht sicher, ob ich das alles nur geträumt hatte, oder ob das wirklich geschehen war. Ich rieb mir die Augen. Caleb, Anna und Calina saßen vor dem Fernseher. Ich stand auf und ging zu ihnen.
Es lief gerade ein Bericht. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Tatsächlich waren das Bilder, wie Cameron abgeführt wurde. Mein Herz verkrampfte sich, als sie auch ein Bild von Emily zeigten.
„Na du, hast du ausgeschlafen?", fragte Anna.
Ich nickte. „Was machen wir jetzt?"
„Cameron wird verklagt werden, was heißt, dass wir aussagen müssen. Aber die Polizei wird uns später noch Bescheid sagen. Da das alles noch eine Weile dauern kann, werden wir nach UEC gehen und da Cameron nicht mehr da ist, wird es nicht schwer, UEC wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und dann werde ich mir etwas einfallen lassen, wie wir dafür sorgen können, dass das, was Cameron getan hat, nie wieder geschieht."
„Und was willst du den Leuten sagen?"
Calina lächelte traurig. „Ich werde ihnen die Wahrheit sagen. Auf der Fahrt dorthin werde ich mir ein paar Worte überlegen."
„Du wirst eine Rede halten", stellte Caleb fest.
Calina nickte. „Korrekt. Ich denke, anders wird es nicht funktionieren. Anders kann ich nicht weitermachen."
Caleb nickte. „Ich denke, das ist eine gute Entscheidung. Die Leute haben die Wahrheit verdient."
„Und dann wird hoffentlich alles wieder gut."
„Es kann nie wieder alles gut werden", warf ich ein. „Emily ist tot. Für ihre Mutter wird nie wieder alles gut werden. Ich weiß nicht, was die Leute in UEC erleiden mussten, aber ich bin sicher, es sind ebenfalls Leute gestorben. Denk nur an das Kinderheim. Cameron hat Leben beendet. Das kann niemals wieder gut gemacht werden."
„Aber wir können dafür sorgen, dass sich das nicht wiederholt." Calina lächelte mir zu.
„Wie kann Emilys Tod euch alle so völlig kalt lassen?"
„Das tut er doch gar nicht. Aber wenn ich mich zu sehr auf das Negative konzentriere, vergesse ich, was wir Gutes erreicht haben. Das darfst du auch nicht vergessen."
Ich seufzte. „Wann wollen wir los?"


Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt