23. Verbündete

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„Leg doch das Messer weg, Kindchen!", versuchte die Frau mich zu beruhigen.
„Erst will ich wissen, wer ihr seid! Und was soll ich hier? Ich verlange eine Erklärung!"
„Das meint sie doch nicht ernst!", behauptete der Mann und kam auf mich zu.
„Keinen Schritt näher!", rief ich und drückte das Messer etwas stärker auf mein Handgelenk. Der Mann schien noch nicht überzeugt.
„Ich sagte, bleiben Sie stehen!" Ich biss die Zähne zusammen und schnitt mir so tief in die Haut, dass einige Tropfen Blut daraus hervorquollen. Es brannte, aber ich ignorierte den Schmerz, denn es hatte funktioniert. Der Mann seufzte und blieb stehen.
„Was willst du wissen?"
Zufrieden nahm ich das Messer wieder ein Stück zurück. „Wer seid ihr?"
Nun übernahm die Frau das Reden. „Wir sind die Eltern von Aria."
Ich ließ das Messer sinken, erkannte jedoch schnell meinen Fehler und hob es wieder an. „Könnt ihr das auch beweisen?"
„Wenn du einen Moment hier wartest?"
Ich nickte, woraufhin die Frau in dem Raum verschwand, aus dem sie gekommen war. Nur einen Moment später kam sie wieder. Sie hatte ein Bild in der Hand. Langsam kam sie näher, legte es auf die Treppe und wich dann wieder zurück. Ich ging zu dem Bild und hob es auf, noch immer darauf achtend, dass der Mann und die Frau keinen Unsinn machten.
Dann betrachtete ich das Bild. Es war ein Familienfoto und zeigte den Mann, die Frau, Aria und Caleb. Es stimmte also wirklich. Das hier waren Arias Eltern.
„Wir haben ja Verständnis dafür, dass du misstrauisch sein musst, aber könntest du jetzt bitte das Messer weglegen?" Die Frau sah ehrlich besorgt aus.
Ich entspannte mich etwas und sah unschlüssig das Messer an. Die Frau wollte es mir aus der Hand nehmen, doch ich zog es an mich und warf ihr einen bösen Blick zu, woraufhin sie zurücktrat. Dann steckte ich das Messer in die Halterung unter meinem Kleid, drehte es ein wenig von ihnen weg und legte schützend meine Hand darauf. Niemals würde ich das Messer hergeben, doch der Frau schien es vorerst zu genügen. Sie atmete erleichtert aus. „Komm her und zeig mir mal den Schnitt. Dan, könntest du uns einen Kaffee machen? Oder hättest du lieber einen Kakao?"
Ich konnte nur nicken. Die Frau lächelte mir freundlich zu, während der Mann – Dan – in einen der Räume verschwand. „Ich bin übrigens Carol." Sie packte mich an den Schultern und führte mich in ein Bad. Dort wies sie mich an, mich auf eine Toilette zu setzten. Aus einem Badschrank holte sie einen Erste-Hilfe-Koffer. Dann versorgte sie den kleinen Schnitt. Erst als sie mich ins Wohnzimmer brachte und mir Kuchen anbot, erwachte ich aus meiner Starre.
„Das ist sehr lieb von Ihnen, aber ich kann eigentlich nicht bleiben."
„Doch, das kannst du."
„Nein, ich muss Aria und Anna befreien. Es ist wirklich wichtig!"
„Malina, mach dir keine Sorgen. Darum wird sich schon gekümmert."
„Aber..."
„Kein aber. Wir werden dich nicht fortlassen. Dan und ich wurden beauftragt, so lange auf dich aufzupassen, bis deine Freundin und unsere Tochter befreit wurden."
Das hatte keinen Sinn. Sie würden sich genauso wenig umstimmen lassen wie ich mich. Vorerst musste ich mitspielen. Und bei Gelegenheit fand ich vielleicht noch ein paar Dinge über UEC, meinen Vater oder alles andere, was damit zu tun hatte, heraus.
„Ich habe noch zu arbeiten. Carol, Liebling, du kommst doch klar, oder?", fragte Dan plötzlich.
„Selbstverständlich. Geh ruhig." Sie lächelte wieder freundlich. Dan lächelte mir ebenfalls zu, deutete eine Verbeugung an und ging.

„Ist das eine bestimmte Geste in UEC?", fragte ich.
„Ja. Es ist eine Art der Verabschiedung, die dem anderen Respekt entgegenbringen soll. Hier gilt es als wichtige Formalität."
Ich war froh, dass ich die Frau aus der Stadt so verabschiedet hatte. „Und ihr gehört dem Widerstand an?"
„Genau. Wir versuchen, dich zu unterstützen, sodass du deinem Vater das Handwerk legen kannst."
Ganz toll. „Und wieso unternehmt ihr selbst nichts?"
„Weil wir viel zu wenige sind. Zumal wir mit unserer Meinung sehr aufpassen müssen. Auf Verrat steht eine hohe Strafe. Je nach Schwere ist sogar der Tod möglich."
„Und warum habt ihr euch entschieden, gegen ihn zu arbeiten?"
„Weil wir seine Ansichten nicht teilen. Viele sind zu verblendet oder glauben immer noch daran, dass er eine gute neue Welt erschaffen will. Andere trauen sich nicht und wieder andere finden seine Ansichten gut. Aber ein paar haben sich eben doch gefunden, die Calina persönlich gekannt haben, und ihre Meinung unterstützen."
„Hast du sie auch gekannt?"
„Nicht persönlich. Aber ich habe sie einige Male gesehen und viele ihrer Reden gehört. Sie war eine ganz wundervolle Frau."
Wieder wurde ich traurig, dass ich sie nicht persönlich kennenlernen konnte. Ich wollte nicht weiter über sie reden! „Weißt du etwas über Nag?"
„Über wen?"
Erst jetzt fiel mir ein, dass das ja gar nicht sein richtiger Name war. „Meine Mutter hat mir ein Handy gegeben. Heute hat mich einer ihrer Freunde angeschrieben und mir geholfen. Weißt du, wer das ist?" Er würde noch etwas zu hören bekommen. Er hatte mich angelogen und einfach irgendwo anders hin gelotst.
„Ah. Ja, ich weiß, dass deine Mutter die Telefonnummer des Handys einem ihrer Vertrauten gegeben hat. Doch als dieser verdächtigt wurde, deinen Vater verraten zu haben, hat er die Nummer weitergegeben. Niemand so genau weiß, wer die Nummer hat, da sie nun regelmäßig weitergegeben wurde. Und du hast ihn Nag genannt?" Carol grinste.
„Es erschien mir passend." Nun lachte sie. Ich ließ mich anstecken.
Dann wurde ich wieder ernst. „Was passiert jetzt wegen Anna?"
„Du musst dir keine Sorgen machen. Caleb..."
„Was?! Caleb soll sie befreien?!" Ich sprang auf.
„Malina, be..."
„Caleb ist ein Verräter! Und ihm soll ich das Leben meiner Freundin anvertrauen?"
„Er..."
„Gib dir keine Mühe! Er hat mich verraten!"
„Hör mir doch zu!"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein! Ich werde selbst losgehen und Anna suchen!"
„Das wirst du nicht!" Ehe ich etwas dagegen unternehmen konnte, hielt Carol mich an den Handgelenken fest. Ich versuchte, mich loszureißen, doch sie war stärker, als ich gedacht hatte. Plötzlich erschien auch Dan.
„Halt sie mal fest und ich gucke, ob sie weitere Waffen besitzt", wies Carol an. Ich versuchte, mich zu wehren, doch es war zwecklos. Beide waren stärker als ich, ich hatte keine Chance.

Wenig später saß ich eingesperrt im Keller. Ich musste zugeben, es war kein Keller aus einem Horrorfilm. Er war liebevoll eingerichtet und diente vermutlich als Aufenthaltsraum. Das Messer und mein Schwert hatten sie gefunden und mir abgenommen. Meine restliche Ausrüstung war jedoch unentdeckt geblieben.
Frustriert ließ ich mich auf einem Sofa nieder. Vorerst konnte ich gar nichts ausrichten. Hoffentlich vergeigte Caleb nicht alles. Zuzutrauen war es ihm ja. Ich warf einen Blick auf mein Handy, doch Nag hatte nicht noch einmal geschrieben. Ich hoffte so sehr, dass es Anna und Aria gut ging.
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war jetzt später Nachmittag. Vielleicht konnte ich fliehen, wenn sie schliefen. Doch selbst dazu musste ich zuerst irgendwie hier rauskommen. Die Ausrüstung meiner Mutter konnte mir dabei nicht helfen. Aber vielleicht konnte ich andere Tricks verwenden.
Weder Dan noch Carol waren wirklich böse. Sie wollten mir helfen und verfehlten ihr Ziel. Also würden sie dafür sorgen, dass es mir gut ging. Ich klopfte gegen die Kellertür. „Carol?"

Wenig später hörte ich Schritte und trat von der Tür zurück. Ich hörte den Schlüssel im Schloss klicken und kurz darauf öffnete sich die Tür.
„Was ist los, Kindchen?"
„Habt ihr wenigstens was zu essen für mich?" Ich warf ihr böse Blicke zu.
„Selbstverständlich. Einen Moment."
Carol ging wieder und schloss die Tür hinter sich ab. Ich ging zur Tür und spähte durchs Schlüsselloch. Sie hatte den Türschlüssel mitgenommen. Wenn sie das immer tat, hatte ich vielleicht Glück.

Kurz darauf kam Carol wieder, schloss die Tür hinter sich ab und setzte sich zu mir gegenüber auf die Couch. Das Essen stellte sie auf den Tisch. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah demonstrativ weg.
„Ach, Malina. Versteh doch, es ist nur zu deinem Besten."
„Das kann ich wohl besser beurteilen als du!"
„In diesem Fall nicht. Du bist schließlich noch ein Kind!"
„Was soll das denn heißen? Vor allem ist dieses Argument völlig sinnlos! Wenn ich in euren Augen noch ein Kind wäre, dann würdet ihr mich nicht einfach losschicken, meinen Vater zu besiegen, obwohl ihr wisst, dass ich dabei draufgehen könnte!"
„Wir schicken dich nicht einfach los!"
„Doch, das tut ihr. Und wenn ihr mich wirklich unterstützen wollen würdet, dann würdet ihr mich nicht hier einsperren, sondern mir helfen, meine Freunde zu befreien."
„Es liegt ja gar nicht daran, dass wir dich nicht unterstützen würden. Aber du setzt falsche Prioritäten. Für UEC bist du wichtiger als deine Freundin und Aria zusammen."
„Willst du sie gar nicht befreien?" Fassungslos sah ich Carol an.
„Natürlich will ich das! Meine Familie ist mir das Wichtigste auf der Welt! Aber ich glaube daran, dass alles gut wird, wenn du erstmal die Anführerin bist. Wenn du jetzt in Gefangenschaft gerätst, um deine Freunde zu befreien, dann wird das niemals geschehen! Du musst versuchen, uns zu verstehen."
Ich schüttelte den Kopf. „Du solltest zuerst versuchen, mich zu verstehen."
Carol seufzte und senkte den Kopf. Dann stand sie wortlos auf und ging. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ruhig bleiben, Malina, ermahnte ich mich selbst. Wieder konzentrierte ich mich darauf, ruhig ein- und auszuatmen. Bald war ich frei und konnte endlich Anna helfen. Mein Plan würde aufgehen!

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt