30. Gegenüberstellung

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Ich musste unbedingt noch einmal mit Caleb reden. Während Anna und ich planten, wie wir Caleb retten wollten, konnte ich an nichts anderes denken. Unsere letzten Begegnungen waren eher unerfreulich und das wollte ich unbedingt klarstellen. Ich brauchte die Gewissheit, ob Caleb uns nun verraten hatte oder nicht. Es gab schon genug Fragen in meinem Leben, diese musste nicht auch offen bleiben.
Zudem wollte ich mich bei Caleb entschuldigen. Immer wenn wir uns gesehen hatten, hatte ich nichts Besseres zu tun, als ihn anzuschnauzen. Ich gab ihm nicht einmal die Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Und wenn er tatsächlich unschuldig war, hatte ich ihn zu Unrecht beschuldigt und verstoßen. In diesem Fall wollte ich mich bei ihm entschuldigen. Hoffentlich würde er mir verzeihen.
„Hast du eine Idee?", fragte Anna mich.
Ich kaute eine Weile auf meiner Unterlippe herum, dann antwortete ich: „Noch nichts genaues. Aber wir sollten auf jeden Fall die Pergamentrolle verbrennen. Wir kennen ja die Lösung des Rätsels."
Anna sah mich zweifelnd an. „Was ist, wenn sich darauf noch ein weiteres Rätsel befindet, wir es nur nicht gesehen haben?"
„Dann ist es so. Aber ich will nicht riskieren, dass mein Vater sie in die Hände bekommt."
Anna nickte. „Okay, das kann ich verstehen. Sonst noch eine Idee? Meine Theorien enden immer mit dem Szenario, dass wir beide gefangen im Knast deines Vaters landen."
Ich musste schmunzeln. „Wie gesagt, ich habe nichts genaues. Aber mein Vater wollte ja am Eingang warten. Er wird Caleb ja irgendwie in seiner Gewalt haben und mehrere Wachen bei sich."
„Ja, aber wir wissen weder wie viele Wachen es sind, noch in welcher Formation sie deinen Vater bewachen. Außerdem muss er theoretisch nicht einmal anwesend sein."
„Doch, ich denke, er wird da sein." Ich schwieg kurz. „Anna, wie gut kannst du kämpfen?"
Sie lachte. „Ich und kämpfen? Vergiss es. Ich habe keinerlei Erfahrungen und werde es in der kurzen Zeit auch nicht lernen."
„Hast du schon einmal mit einem Schwert gekämpft?"
Sie schüttelte den Kopf.
Ich seufzte. „Okay, das macht die Sache nicht einfacher." Ich suchte angestrengt nach einer Lösung. Dann kam mir eine Idee. „Ich hab's!"
Neugierig sah Anna mich an.
„Also, ich lenke meinen Vater und seine Wachen ab. Du versteckst dich im Wald und versuchst dann, Caleb zu befreien. Ich gebe dir meinen Dolch, den du dann ihm gibst. Er kann kämpfen. Und dann müssen wir nur noch fliehen."
Wieder sah Anna mich zweifelnd an. „Das klingt so einfach, aber ich denke nicht, dass es auch so sein wird."
„Aber wir haben keine andere Wahl!"
Anna seufzte. „Du hast recht. Ich habe auch keine andere Idee. Und wenn du dich entschließen solltest, diesen Plan in die Tat umzusetzen, dann werde ich dir beistehen."
Ich lächelte. „Danke, Anna."
Sie zog mich in eine Umarmung. „Kein Problem. Wir sind doch für einander da." Sie löste sich wieder von mir. „Aber eine Frage noch."
Ich sah sie wartend an.
„Wo bitte hast du einen Dolch?"
Daraufhin brachen wir beide in Gelächter aus.

Als es sich dem Abend zuneigte, wurden wir immer nervöser. Da weder Anna, noch ich in letzter Zeit sonderlich viel geschlafen hatten, legten wir uns abwechselnd hin und versuchten zumindest, uns noch etwas auszuruhen. Kurz schafften wir es tatsächlich zu schlafen, die letzten Stunden blieben wir jedoch wach.
Ich hatte schon seit Stunden nichts mehr gegessen und sollte mich eigentlich noch etwas stärken, doch mein Magen rebellierte, wenn ich nur daran dachte, etwas zu essen. Wie immer wenn ich nervös war, kribbelte er wie verrückt.
Anna schien ebenfalls unruhig, denn sie sprach kaum noch und lief die ganze Zeit von einem Ende des Raumes zum Anderen. Zwischendurch setzte sie sich ab und zu hin. Jedoch blieb sie nicht lange an einem Ort und begann wieder damit, hin- und herzulaufen.

Etwa eine Stunde vor Mitternacht brachen wir auf. Die Pergamentrolle war verbrannt und wir waren bereit. Es war seltsam, als ich Anna den Dolch gab. Nachdem ich es anfangs noch befremdlich fand, ihn die ganze Zeit mit mir herumzuschleppen, so gab er mir mittlerweile doch etwas Sicherheit. Ohne ihn fühlte ich mich seltsam nackt.
Dabei hatte ich mein Schwert sicher auf dem Rücken und trotzdem kam es mir so vor. Ich musste einfach hoffen, dass mein Plan aufging und ich ihn nicht brauchte. Plötzlich legte Anna mir eine Hand auf die Schulter. Ich zuckte zusammen, beruhigte mich jedoch, als ich sie erkannte.
Zuversichtlich lächelte sie mir zu. „Es wird schon alles gut gehen."
„Na hoffentlich."
„Was auch passiert, wir finden eine Lösung aus jedem Schlamassel. Das haben wir bisher doch immer!"
Nun musste auch ich lächeln. „Stimmt." Dann wurde ich wieder ernst. „Hier müssen wir uns trennen, oder?"
Anna nickte. „Ich werde versuchen, mich von hinten an deinen Vater heranzuschleichen. Genau zehn Minuten vor Mitternacht werden wir zuschlagen."
Ich nickte.
„Es ist wichtig, dass keiner von uns zu früh eingreift. Die Zeit ist das einzige, auf das wir uns verlassen können. Wenn eine von uns nicht da ist, funktioniert der Plan nicht."
Ich nickte wieder. „Wir schaffen das schon."
Anna zog mich noch einmal in eine Umarmung. „Viel Glück!"
„Danke, dir auch. Und pass auf dich auf."
Anna nickte, dann schlich sie sich davon.

Mein Herz schlug rasend schnell und ich musste mich zwingen, ihr nicht hinterherzulaufen. Schon wieder war ich alleine. Doch nicht lange. Unser Plan würde aufgehen und ich würde Anna schon bald wiedersehen. Und Caleb noch dazu. Unwillkürlich musste ich lächeln. Hoffentlich hatte Anna recht und er war wirklich kein Verräter.
Gerade wollte ich noch einmal die Argument für und gegen ihn abwägen, da vertrieb ich die Gedanken und warf einen Blick auf die Uhr. Noch eine viertel Stunde. Ich musste mich auf unser Ziel konzentrieren.
Langsam schlich ich vorwärts, immer darauf bedacht, in Deckung der Büsche und Bäume um mich herum zu sein. Heute war der Himmel unbewölkt und durch den leuchtenden Vollmond konnte ich meine Umgebung gut erkennen. Leider kam dieser Vorteil auch meinem Vater zugute.

Nur wenig später konnte ich das Lager meines Vaters ausmachen. Er stand in der Mitte eines Kreises aus Wachen, die mit Taschenlampen den Wald erleuchteten. Neben ihm kniete Caleb, an Händen und Füßen gefesselt. Mein Vater hielt einen Dolch bereit.
„Sie wird nicht kommen!", spottete Caleb.
„Oh doch, das wird sie. Dazu ist sie ein zu herzensguter Mensch. Ganz nach ihrer Mutter."
„Ich habe ihr gesagt, sie solle nicht kommen."
Mein Vater lachte. „Als ob sie das tatsächlich davon abhalten könnte. Und soll ich dir was verraten?"
Caleb sah meinen Vater misstrauisch an.
„Sie ist schon hier."
Ich erstarrte, mein Vater lachte. Das Herz schlug mir bis zum Hals und mein Magen verkrampfte sich. Das konnte er nicht wissen! Er musste geraten haben!
„Ja, Malina, du hast richtig gehört, ich weiß, dass du da bist. Du kannst ruhig rauskommen."
Er lachte, doch ich blieb stumm.
Caleb starrte traurig zu Boden und versetzte meinem Herz einen Stich. Dann sah er auf und blickte direkt in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich, doch dann sah er sofort weg.
„Sie ist nicht hier. Malina wäre nicht so blöd, nicht zu erkennen, dass das eine Falle ist."
„Das Risiko hat sie für dich auf sich genommen. Meine Männer haben schon vor einiger Zeit ihre kleine Freundin im Wald aufgegriffen. Ihr könnt sie jetzt herbringen! Vielleicht kommt meine liebe Tochter dann ja heraus." Er grinste gehässig.
Ich verharrte. Er konnte Anna nicht haben! Das war doch nicht möglich! Doch just in diesem Moment schleiften zwei Wachen Anna her und ließen sie unsanft auf den Boden fallen. Ich konnte mich nur mit größter Körperbeherrschung zwingen, nicht aus meinem Versteck zu springen.
Caleb wollte aufspringen, doch da kamen schon zwei Wachen und drückten ihn wieder zu Boden. „Was hast du mit ihr gemacht?!"
Mein Vater lachte. „Ach, sorgst du dich etwa um sie?" Ich hasste dieses Lachen. „Brauchst du nicht, sie ist nur bewusstlos. Als man sie entdeckte, versuchte sie, sich mit einem kleinen Dolch zu wehren. Niedlich, nicht? Wir mussten sie... unschädlich machen."
Plötzlich verhärtete sich sein Blick. „Malina, komm jetzt raus! Du kannst mit dem Versteckspiel aufhören. Ich weiß genau, wo du bist!"
Nun sah er genau in meine Richtung. Ich musste in einem Sekundenbruchteil entscheiden, was ich nun tun wollte. Also zog ich mein Schwert und sprang auf die Lichtung.
Mein Vater grinste wieder. „Da wird das Mädchen endlich vernünftig."
Die Wärme in seinen Augen, die ich auf dem Bild in dem Medaillon so deutlich gesehen hatte, war verschwunden. „Woher wusstest du, wo wir sind?"
Er lachte. „Denkst du, ich bin blöd? Ich bin kein Bösewicht aus einem Cartoon, ich habe durchaus Hirn. Und deshalb habe ich den Bereich rund um den Eingang überwachen lassen. Wobei diese Sicherheitsmaßnahme schon seit Jahren besteht. Sobald Fremde sich Zugang zu UEC verschaffen wollen, geht ein Alarm an und wir können sie vertreiben. Bedauerlicherweise warst du bei deinem ersten Besuch in Begleitung von Caleb und der Alarm hat nicht funktioniert."
Ich war verwundert über seine Wort. Verunsichert sah ich zu Caleb. Dieser schien mir mit seinen Blicken etwas sagen zu wollen, ich verstand jedoch nicht, was. War das sein Plan? Hatte er meinem Vater aufgetischt, ich wäre mit ihm und nicht mit Aria hier gewesen? Aber wieso?
„Genug von den Erklärungen. Nehmt sie jetzt fest!"
Die Wachen kamen auf mich zu, ich bereitete mich auf einen Kampf vor. „Halt! Du hast gesagt, du würdest Caleb freilassen!"
„Stimmt, das habe ich gesagt. Aber ich bin der Böse. Ich darf meine Versprechen brechen. Und außerdem befindest du dich momentan nicht in der Position zu verhandeln." Er zog sein eigenes Schwert und legte es auf Annas Hals.
„Lass deine Waffen fallen oder deine Freundin wird den nächsten Tag nicht überleben!"
Ich zögerte kurz, doch dann fügte ich mich seinem Wort. Mit hasserfülltem Blick beobachtete ich jede seiner Bewegungen, währen zwei Wachen mich zu Boden warfen und mich unsanft fesselten.
Ich hatte verloren.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt