35. Verhandlungen

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Ich fühlte mich, als wäre ich von einem Bus überfahren worden. Mir tat alles weh. Ich blinzelte und sah mich um, wo ich diesmal gelandet war. Wieder lag ich in einem Bett. Diesmal war es kein Himmelbett, es erinnerte eher an eine einfache Pritsche. Das Zimmer war wieder komplett weiß, ebenso wie das Nachthemd, das ich trug. Kein einziger Blutfleck war zu sehen. Ich war definitiv in einem anderen Zimmer, man hatte nicht nur umgeräumt.
Nein, die Fenster waren viel kleiner und es waren Gitter davor, keine Vorhänge mehr. Zudem war der Raum sonst komplett leer. Ein Schrank stand noch darin und eine Tür gab es. Sonst war alles weiß. Ich sollte meinen Vater darauf hinweisen, dass er sich einen neuen Innenarchitekten zulegen sollte.
Doch jetzt setzte ich mich erstmal auf. Meine Wunden waren versorgt worden. Wunden? Woher hatte ich die? Meine Erinnerung erschien mir schwammig. Doch, ich war in diesem weißen Raum aufgewacht und hatte mich bei der Flucht durch das Fenster verletzt. Und dann? Dann war ich in diesem Innenhof gewesen. War ich erwischt worden? Ja, irgendwie mussten sie mich bemerkt und betäubt haben. Ich erinnerte mich an einen langen Flur, der kein Ende zu nehmen schien. Hatte man mich dort entlang gebracht? War ich selbst diesen Weg gegangen? Ich konnte es nicht sagen. Wütend schlug ich auf mein Bein.
Kurz zuckte ich zusammen, da es die verletzte Hand war, dann schlug ich gleich nochmal zu. Wieso konnte ich mich nicht erinnern? Bevor ich mich weiter darüber ärgerte, schob ich die Gedanken zur Seite und konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt. Noch immer musste ich hier irgendwie wegkommen.

Doch bevor ich irgendetwas tun konnte, flog die Tür auf. Wachen traten zu mir in den Raum. Es waren vier an der Zahl, vor der Tür warteten sicherlich noch mehr. Selbst wenn ich nicht verletzt gewesen wäre, hätte ich keine Chance gegen sie gehabt.
„Kommst du freiwillig mit oder müssen wir mit Gewalt dafür sorgen?" Der Mann, der zu mir sprach, grinste höhnisch.
Ich warf ihm finstere Blicke zu. Ich würde nicht antworten und einfach mitgehen. Doch mein Fuß machte meinem möglichst stolzen Auftreten einen Strich durch die Rechnung. Ich war auf den Schmerz nicht vorbereitet und stürzte vor den Wachen auf den Boden. Doch bevor sie mich anfassen konnten, rappelte ich mich selbst wieder auf und humpelte mit gesenktem Blick auf sie zu. Meine Wangen glühten.
Die Wachen schoben mich aus dem Raum. Ich war erleichtert zu sehen, dass außerhalb dieses Gefängnisses nicht alles weiß war. Es war ziemlich rustikal eingerichtet und seltsamerweise gefiel mir der Stil sogar. Ich war noch dabei, ein Gemälde zu betrachten, als ich von hinten angeschoben wurde.
„Setz dich!", befahl eine der Wachen in strengem Ton. Vor mir stand ein Rollstuhl. Ich erinnerte mich dunkel, dass ich schon einmal geschoben wurde.
Ich wich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vergiss es! Ich kann selbst laufen!"
Ich wurde geschubst und musste mir Mühe geben, nicht aufzuschreien, als ich meinen verletzten Fuß belastete, um mich abzufangen. Wütend funkelte ich die Wache an, die das getan hatte.
„Du setzt dich jetzt!"
Ich richtete mich wieder auf. „Nein! Ich werde euch ohne Widerstand folgen, aber ihr werdet mich nicht in diesen Rollstuhl bekommen!"
Zwei der Wachen warfen sich verschwörerisch Blicke zu und grinsten. Ich wusste, dass das kein gutes Zeichen sein konnte. Außer den vier Wachen, die mich aus dem Raum begleitet hatten, waren noch drei weitere hinzugekommen. Zwei von ihnen packten mich wieder an den Oberarmen und versuchten, mich unsanft auf den Stuhl zu drücken. Als das nicht sofort klappte, spürte ich, wie mir jemand in die Kniekehlen trat, woraufhin meine Beine nachgaben und sie mich auf den Stuhl drücken konnten.
Immer wieder gelang es mir, Arme und Beine den Schlingen zu entreißen. Als jedoch noch die anderen Wachen hinzukamen, konnte ich nur zusehen, wie ich immer bewegungsunfähiger wurde. Anschließend durfte ich noch beobachten, wie die Wachen selbstgefällig einklatschten und mich dann zufrieden angrinsten.

Dann wurde ich durch die Gänge geschoben. Sie kamen mir seltsam bekannt vor. War ich doch hier gewesen? Ich konnte es einfach nicht sagen!
Ich wurde in ein Büro gebracht. Doch, ich war sicher, dass ich hier schon einmal gewesen war. Vielleicht hatte man mich, nachdem man mich betäubt hatte, auch hierher gebracht. Ich hörte schwere Schritte. Aus einer weiteren Tür in dem Büro trat mein Vater. Natürlich. Ich war ja noch immer seine Gefangene. Mit einem Handzeichen schickte er die Wachen fort. Sie gehorchten sofort und ich war mit ihm allein.
„Malina, schön dich wieder bei Bewusstsein zu erleben." Sein falsches Lächeln verursachte Zuckungen in meiner Hand. Wäre sie nicht gefesselt, würde sie jetzt in seiner heuchlerischen Visage landen.
„Leider bist du ebenfalls bei Bewusstsein", entgegnete ich.
Augenblicklich verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht. „Ich glaube nicht, dass du es dir erlauben kannst, frech zu werden. Zumindest ist das ziemlich dumm."
Wahrscheinlich hatte er recht und ich sollte versuchen, mich mit ihm gut zu stellen, doch ich konnte mich nicht dazu durchringen. Nachdem er mich so gedemütigt hatte, wollte ich nicht nett zu ihm sein, nicht einmal so tun.
„Wie dem auch sei. Malina, ich biete dir an, mit mir zusammenzuarbeiten."
„Und du glaubst, ich stimme jetzt zu?" Fast wäre ich in lautes Gelächter ausgebrochen.
„Nein, das glaube ich nicht. Aber wenn du die Schreie deiner Freunde hörst, änderst du deine Meinung vielleicht."
Ich ballte die Hände zu Fäusten und funkelte Cameron an. „Ich warne dich, wenn du ihnen auch nur ein Haar krümmst."
Er lachte. „Dafür ist es schon zu spät."
Ich zerrte an den Fesseln, was Cameron nur noch lauter lachen ließ. „Da kommst du nicht raus. Aber ich will dich beruhigen. Noch geht es ihnen ganz gut."
„Ich will sie sehen!"
„Wieso sollte ich das zulassen?"
Ich überlegte. „Wenn du mich sie so oft sehen lässt, wie ich will, dann werde ich fügsam sein."
Cameron lachte wieder. Dieser Mann brachte mich zur Weißglut! „Malina, du bist nicht in der Position zu verhandeln. Verstehst du das nicht?"
Ich wusste nicht, was es nicht zu verstehen gab. Wenn er Anna oder Caleb etwas tat, würde ich ihm nicht helfen, so einfach war das.
„Ich brauche dich nicht. Wenn du nicht kooperierst, kann ich dich wegsperren oder umbringen und niemand würde es kümmern. Ich habe das Volk auf meiner Seite. Sie glauben, was ich ihnen erzähle. Und du bist dabei die Böse. Nun ja, streng genommen ist deine Mutter die Böse. Welche Rolle du dabei spielst, entscheidest du."
„Wieso sollte ich dir glauben? Wieso solltest du mir plötzlich helfen wollen?"
„Weißt du, Malina. Wir hatten einen sehr schlechten Start. Du bist meine Tochter. Wenn es sich vermeiden lässt, will ich dich nicht umbringen. Aber ich werde nicht zögern, wenn du meine Pläne zerstörst."
„Und das soll ich dir jetzt glauben?"
„Hör zu, Malina. Lebend könntest du mir viel mehr wert sein. Ich weiß, dass deine Mutter dir Hinweise hinterlassen hat. Zusammen könnten wir diese geheime Welt viel schneller finden und..."
„Darum geht es dir also. Und wenn du dieses magische Land gefunden hast, bin ich überflüssig und nur noch Ballast für dich."
„Nein, nein! Das hängt ganz von dir ab. Wenn du dich würdig erweist, bist du die rechtmäßige Nachfolgering und kannst es übernehmen, wenn ich zu alt bin."
Ich lachte auf. „Du – gerade du – würdest deinen Posten an mich abgeben? Das ich nicht lache! Dabei hast du mir letztens noch gezeigt, dass du nicht zögerst zu lügen, um deine Ziele zu erreichen."
„Malina. Wenn du mir zeigst, dass ich dir vertrauen kann, dann besteht kein Grund, dir diesen Posten nicht zu überlassen."
„Du vertraust mir ja nicht einmal genug, alleine einen Flur entlanglaufen zu können. Du musstest mich erst an diesen verdammten Stuhl fesseln lassen!"
Cameron grinste und schien seine Position zu genießen. „Du hast mir genug Anlass dafür gegeben. Also, was sagst du? Eine Zusammenarbeit kann nur von Vorteil für dich sein. Ich meine, du wirst so oder so kooperieren, wenn du nicht willst, dass deiner Freundin und diesem Caleb etwas passiert."
„Halt die beiden da raus!"
Cameron lehnte sich an seinen Schreibtisch. „Malina, das geht nicht. Deine Mutter ist für ihre Ziele gestorben, doch sie hätte nie zugelassen, dass ihretwegen jemand anderem etwas passiert. Ich traue dir zu, dass ich dich nicht einmal mit Folter davon überzeugen könnte, mir zu folgen. Deinen Freunden jedoch so etwas anzudrohen... Mit diesen Schuldgefühlen könntest du doch nicht leben."
Ich wusste, dass er recht hatte. Doch irgendwie musste ich doch einen Vorteil oder zumindest einen kleinen Teilerfolg für mich rausschlagen können! „Okay, ich stimme der Zusammenarbeit zu." Cameron zog die Augenbrauen hoch. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. „Aber nur, wenn du mir beweist, dass du bereit bist, mir zu vertrauen."
„Malina, wie sollte ich dir das bitte beweisen?"
„Binde mich los! Binde mich los und lass mir Bewegungsfreiheit im Haus. Und ich will mich selbst davon überzeugen, dass es Anna und Caleb gut geht!"
Cameron schüttelte den Kopf. „Stopp, stopp. Malina, findest du nicht, dass das etwas viele Forderungen sind?"
„Das sind meine Bedingungen!"
„Okay, ich bin bereit dir entgegenzukommen. Ich binde dich los und du darfst selbstständig durch das Anwesen gehen. Ob du dich frei bewegen darfst, wird die Zeit zeigen, je nachdem, wie du dich benimmst. Vorerst bleibst du auf deinem Zimmer. Und du darfst deine Freunde einmal in der Woche für eine Stunde sehen."
Das war doch ein Fortschritt. Ich musste mir mehr Vertrauen erarbeiten, sodass ich einen Fluchtplan schmieden konnte. Und gleichzeitig musste ich auch Anna und Caleb befreien, sonst hatte mein Vater noch immer sein Druckmittel. Okay, vorerst musste ich mich wohl tatsächlich mit Cameron gut stellen.
„Einverstanden!", antwortete ich.
Cameron grinste. „Gut, dann beweise mir jetzt, dass ich dir vertrauen kann und gib mir den letzten Hinweis deiner Mutter!"
Wenn ich nicht schon gesessen hätte, hätten meine Beine in diesem Moment versagt. Es war, als hätte Cameron mir mit diesen Worten die Luft zum Atmen genommen und mir einen Doch in den Rücken gerammt. Damit machte er meinen kleinen Erfolg komplett zunichte.
„Warum so blass, Malina? Du wusstest doch, was auf die zukommt."
Verdammt, ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich konnte meine Mutter nicht verraten! Das ging einfach nicht! Aber ich musste doch auch meinen Teil der Vereinbarung einhalten. Wenn ich das nicht tat, konnte ich meinen Plan vergessen.
„Wir mussten den letzten Hinweis verbrennen."
„Ihr habt was getan?!"
„Bevor wir Caleb befreien wollten, haben wir ihn verbrannt. Ich habe den Hinweis nicht mehr!"
„Aber ihr habt ihn vorher entschlüsselt. Sonst hättest du ihn niemals verbrannt."
„Woher willst du das wissen?"
Cameron grinste gehässig und ich wusste, dass ich ihm diesbezüglich nichts vormachen konnte. „Ja, wir haben ihn entschlüsselt. Er hat uns den Weg gewiesen. Zu unserem nächsten Ziel und somit dem nächsten Hinweis."
„Gut, und wohin führt er dich?"
„Nach Osten."
„Mehr stand da nicht?"
Ich versuchte erst gar nicht, ihn anzulügen. Die Chance, dabei aufzufliegen, war zu groß. „Doch, da stand mehr. Aber ich erzähle dir erst Genaueres, wenn ich mir sicher sein kann, dass du deinen Teil der Vereinbarung einhältst!"
„Ich sehe schon, du kommst ganz nach mir. Jetzt guck doch nicht so angeekelt!"
Ich riss mich zusammen und beschloss, schnell das Thema zu wechseln. „Binde mich jetzt los!"

Cameron nickte und tatsächlich befreite er eine meiner Hände und wich dann zurück. Fragend sah ich ihn an. „Ich riskiere nicht, hinterrücks von dir angefallen zu werden."
Ich verdrehte die Augen und befreite mich aus dem Rollstuhl. Endlich konnte ich mich frei bewegen! Als ich aufstand, bemühte ich mich, nicht zusammenzuzucken, als ich mit meinem verletzten Fuß auftrat. Dann hielt ich Cameron die Hand hin und er ergriff sie. Dann wandte er sich von mir ab und öffnete die andere Tür. „Wachen!"
Kurz darauf wurde die Tür hinter mir geöffnet und die Wachen, die mich hergebracht hatten, traten ein. Nachdem sie festgestellt hatten, dass ich nicht gefesselt war, musterten sie mich misstrauisch.
„Geleitet meine liebe Tochter doch bitte wieder auf ihr Zimmer und stellt sicher, dass sie nicht erneut abhauen kann. Lasst sie selbst laufen, aber zögert nicht einzuschreiten, sobald sie versuchen sollte, sich vom Staub zu machen. Unter diesen Umständen will ich sofort benachrichtigt werden. Und, Malina, ich rate dir, auf meine Wachen zu hören."
Nur mit Mühe konnte ich dem Drang widerstehen, Cameron die Zunge rauszustecken und rang mir ein „Wie du wünschst, Vater!" ab.
Er verließ sein Büro und auch ich ging. Bereitwillig ließ ich mich von den Wachen führen. Vorerst würde ich keinen Ärger machen – Vorerst.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt