62. Briefe

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Im Nachhinein tat Caleb mir ein bisschen leid. Volle zwei Stunden musste er mein Training ertragen, wobei ich nicht sonderlich zimperlich war. Doch er ließ alles über sich ergehen, ohne sich zu beschweren. Irgendwann war ich so außer Atem, dass er von mir verlangte, für heute Schluss zu machen.
Ich wollte weiterkämpfen, aber gleichzeitig wusste ich, dass Caleb recht hatte. Mein Körper schmerzte und ich hatte meine Grenze bereits überschritten. Wenn ich weitermachte, würde ich wahrscheinlich einfach umkippen. Etwas widerwillig hörte ich letztendlich auf ihn und ließ mich noch zum Bogenschießen entführen.

Es war noch etwas Zeit bis wir uns zum Abendessen begeben sollten, weshalb wir so lange dort blieben wie möglich. Anschließend brauchte ich nur noch genug Zeit, um mich noch duschen zu können. Schließlich wollte ich nicht stinkend zum Essen erscheinen.

Beim Bogenschießen kam ich tatsächlich etwas zur Ruhe. Caleb versuchte, mir möglichst gut zu helfen. Anfangs war ich noch viel zu aufgedreht durch das Fechten, weshalb ich kaum still stehen konnte, doch ich wurde tatsächlich langsam ruhiger und die Pfeile kamen ihrem Ziel schon näher. Zwar traf ich es noch nicht, aber die Übung machte bekanntlich den Meister.
Caleb konnte jedoch nicht darauf verzichten, seine eigenen Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Im Bogenschießen war er wirklich unglaublich gut. Er traf fast jedes Ziel perfekt, nur die wenigsten Pfeile gingen daneben. Das stachelte mich an, mir noch mehr Mühe zu geben, um vielleicht doch mit ihm mithalten zu können. Es kam nicht überraschend, dass mir das nicht gelang.

Calina saß im Speisesaal bereits am Tisch und unterhielt sich mit Lucas, als ich hinzukam. Ich überlegte kurz, ob ich mich auf meinen gewohnten Platz direkt neben Lucas setzen, oder mir lieber einen anderen Platz suchen sollte. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, setzte ich mich auf meinen gewohnten Platz.
Lucas würde mich nicht aus meinem Gebiet vertreiben. Denn er war hier der Gast, nicht ich! Außerdem war ja alles in Ordnung. Das war Lucas und nicht Cameron, ich hatte also keinen Grund, mich überhaupt vor ihm zu fürchten. Er hatte recht, nur weil Cameron sein Bruder war, musste er nicht genauso böse sein. Und bisher hatte er sich auch nicht so verhalten. Wobei Cameron ein ganzes Volk glauben machen konnte, er sei der Gute. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und ließ mich auf den Stuhl fallen.
Ich wünschte mir wirklich, dass Lucas es ehrlich meinte. Von mir sollte er eine Chance bekommen, das zu beweisen.

Caleb trat in den Saal und unterbrach meine Gedanken. Schweigend nahm er neben mir Platz.
„Was passiert jetzt?", fragte ich Calina.
„Den ganzen Tag waren ich und mehrere meiner Vertrauten damit beschäftigt, Lucas' Geschichte zu beweisen. Wir haben nichts Verdächtiges gefunden, nur die Testergebnisse fehlen noch. Wenn du dein Einverständnis gibst, habe ich ihm erlaubt, vorerst mit seiner Tochter hier unterzukommen. Jedoch unter der Bedingung, dass er sich schnellstmöglich um einen neuen Beruf bemüht."
Als Calina eine Pause machte, ergriff Lucas das Wort. „Ich habe abgelehnt, dass deine Mutter mir Geld für ein neues Haus gibt, ich möchte keine Almosen. Und ich verspreche dir, dass ich so schnell es geht wieder von hier verschwinde."
Ich wollte ablehnen. Lucas sollte nicht länger hierbleiben! Trotzdem nickte ich. „In Ordnung."
Alles in mir wollte aufstehen und wegrennen. Weg, von diesem Mann. Doch ich rührte mich nicht vom Fleck.
„Ich danke dir, Malina."
Ich schauderte, als Lucas meinen Namen aussprach, jedoch ließ ich mir das nicht anmerken. Zumindest hoffte ich, dass niemand mein Unwohlsein bemerkte. Ich spürte Calebs und Calinas Blicke auf mir und sah hoch. „Können wir anfangen?", fragte ich und griff nach dem Brotkorb auf dem gedeckten Tisch. Nun erwachten auch die anderen aus ihrer Starre und begannen zu essen.

Niemand sagte etwas und die Stille wirkte nahezu bedrückend, als Caleb das Eis brach und eine lockere Konversation anfing. Calina stieg sofort ein und auch Lucas begann locker mit den beiden zu plaudern. Ich enthielt mich in dieser Konversation und antwortete nur, wenn ich gefragt wurde. Den Rest der Zeit konzentrierte ich mich auf mein Essen und darauf, dass man das Zittern meiner Hände nicht sehen konnte. Sobald es ging, verzog ich mich auf mein Zimmer mit der Begründung, etwas müde zu sein.

Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt