27. Befreiung

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Mit dem Betäubungsmittel kam ich gut voran. Allerdings begegnete ich auch nicht mehr allzu vielen Wachen. Bis zu Annas und Arias Zelle war es nicht mehr weit. Sie beide wurden in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht.
Doch auch hier befanden sich nicht viel mehr Wachen als in den normalen Trakten. Mithilfe des Überraschungseffektes konnte ich die meisten Wachen überrumpeln, bevor sie in mir überhaupt eine Bedrohung sahen. Nag öffnete mir aus der Kommandozentrale die Türen und so kam ich einigermaßen gut zu der besagten Zelle.
Davor standen zwei Wachen. „Nag, das ist auch die Zelle?"
„Ja, wenn die Daten hier stimmen, dann sind Anna und Aria dort. Eine der beiden Wachen müsste einen Schlüssel haben. Aber das bekommst du hin, oder nicht?"
„Klar schaffe ich das! Gib mir nur einen Moment."
Gerade als ich angreifen wollte, hörte ich Stimmen. Zu den zwei Wachen waren noch zwei weitere hinzugekommen. Sie plauderten fröhlich und es sah nicht so aus, als würden sie allzu bald verschwinden.
„Na großartig", murmelte ich, nicht sicher, ob ich es mit drei bewaffneten Männern und einer bewaffneten Frau aufnehmen konnte. „Nag, kannst du da nicht etwas tun?"
„Tut mir Leid, Prinzessin, aber so weit reichen meine Fähigkeiten nicht."
„Ach, wieso denn nicht?"
„Weil ich den Wachen keine Befehle erteilen kann, ohne dass sie bemerken, dass etwas faul ist."
„Und du kannst nichts anderes tun?"
„Ich kann einen Alarm auslösen. Aber ich glaube nicht, dass uns das jetzt weiterhilft."
„Na gut. Ich finde schon eine Lösung." Ganz überzeugt war ich jedoch nicht.
„Ich glaube an dich. Und wenn es hart auf hart kommt, bin ich da, versprochen."
„Danke, Nag. Nochwas."
„Ja, was gibt's?"
„Nenn mich nie wieder Prinzessin!"
Ich konnte ein leises Lachen hören, dann Stille.

Ich konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe. Die Wachen befanden sich mitten in einem Gespräch. Ich musste sie ausschalten, bevor eine von ihnen Hilfe holen konnte. Plötzlich kitzelte es mir in der Nase und ich musste niesen.
„Habt ihr das gehört?", fragte eine der Wachen.
„Ja. Ich gehe mal nachsehen."
Vielleicht hatte ich jetzt einen Plan. Soweit ich konnte, zwängte ich mich in eine Nische und wartete auf die Wache. Sie musste jetzt gerade um die Ecke gekommen sein, denn ich hörte wieder Stimmen.
„Ist da was?"
„Nein hier ist nichts. Ich gehe noch ein Stück weiter, aber vielleicht habe ich mich auch getäuscht."
Das war es, worauf ich gewartet hatte. Der Mann war außer Sichtweite seiner Freunde und bevor er wusste, wie ihm geschah, hatte ich ihn betäubt. Mühsam zerrte ich ihn an die Seite, sodass man ihn nicht sofort sah, wenn man um die Ecke kam.
Als der Wachmann nicht zurück kam, wurden seine Kollegen unruhig. „Steve, hast du was gefunden?"
Er gab keine Antwort. Konnte er ja schlecht.
„Ich gehe nach ihm sehen", hörte ich einen weiteren Wachmann sagen.
Auch bei diesem nutzte ich den Überraschungseffekt, um ihn zu überwältigen. Waren noch zwei Wachen übrig. Ich glaubte, diese so bewältigen zu können und beschloss, zu ihnen zu gehen.
Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen und zusätzlich ging ich beabsichtigt etwas krumm. So trat ich um die Ecke. Die Wachen sahen mir entgegen. Der Mann kam auf mich zu. „Wer bist du denn? Und was machst du überhaupt hier?"
Die Frau musterte mich misstrauisch. Ich ließ meine Hände sinken und sah dem Mann in die Augen. Mit einer Hand suchte ich nach dem Betäubungsgerät. Der Mann sah mich ebenfalls an. Als ich das Betäubungsgerät gefunden hatte, wandte ich es mit einer schnellen Bewegung an und sah, wie der Mann zu Boden fiel.
Die Frau hatte bereits ihr Schwert gezogen und kam auf mich zu. Ich zog ebenfalls meine Waffe.
„Ich weiß ja nicht, wer du bist oder wie du hier reingekommen bist, aber raus kommst du auf keinen Fall."
Plötzlich musste ich lachen. Ich glaubte ja selbst kaum, dass ich in ein Gefängnis eingebrochen war und nur noch wieder herausmusste. Die ganze Situation erschien mir so unrealistisch. Wie ein schlechter Film oder ein Albtraum, aus dem ich jeden Moment erwachen konnte. Aber das tat ich nicht. Und jetzt gerade führte ich mich wahrscheinlich auf wie eine Irre. Naja, vielleicht war ich das ja auch.
Die Frau musterte mich verwirrt. Diesen Moment nutzte ich aus und ging in den Angriff über. Zunächst musste die Frau zurückweichen, doch als sie sich gefasst hatte, wurde ihre Abwehr besser und sie setzte ebenfalls zum Gegenangriff an. Zweifelsfrei war sie eine gute Schwertkämpferin und je länger der Kampf dauerte, desto schwächer wurde meine Abwehr. Sie war zweifelsfrei stärker und trainierter als ich und musste mir meine Erschöpfung ansehen, denn sie setzte nun in jeden Schlag mehr Kraft.
Ich versuchte einen letzten verzweifelten Gegenangriff, mit dem ich sie besiegen konnte – wenn der Angriff gut lief – doch er war zu schwach und sie parierte ihn und schlug mir dann das Schwert aus der Hand.
„So stark bist du wohl doch nicht. Ich wüsste gerne, wie du es so weit geschafft hast."
Mit erhobenen Händen stand ich ihr nun gegenüber. Ihr Schwert war auf meinen Hals gerichtet. Ich konnte nichts tun, ohne dass sie mich nicht lebensgefährlich verletzen konnte. Ich zuckte mit den Schultern.
„Eigentlich weiß ich das auch nicht so recht."
„Wie meinst du das?"
„Diese abstruse Situation hier, einfach alles! Eben war ich noch in einem Kinderheim und habe dort vor mich hin existiert und jetzt stehe ich in einem Gefängnis und versuche, meine unschuldige Freundin zu befreien."
„Warte, du bist diejenige, die der Anführer so dringend finden will?"
„Sieht so aus."
„Was machst du denn da?! Sag ihr nichts weiter!", hörte ich Nags Stimme im Ohr, doch ich ignorierte ihn und konzentrierte mich wieder auf die Frau. Sie hatte ihr Schwert so fest umklammert, das ihre Knöchel weiß hervortraten. Misstrauisch musterte sie mich.
„Jetzt hast du plötzlich Angst, oder was?", fragte ich.
Ungläubig starrte sie mich an. „Ich habe mir dich nur anders vorgestellt."
„Mit spitzen Zähnen und scharfen Klauen?" Spöttisch zog ich die Augenbrauen hoch.
Die Frau verdrehte die Augen. „Nein nicht so. Aber der Anführer hat uns Dinge erzählt..."
„Dass ich den Leuten die Kehlen aufreiße und ihr Blut trinke? Ihre Knochen als Zahnstocher verwende oder Augen als Trophäen sammle?"
„Nein, nicht ganz, aber du hast eine durchaus blühende Phantasie. Was hast du getan, dass er dich so dringend sucht?"
„Ach, das hat er verschwiegen? Ich habe gar nichts getan, außer das Pech zu haben, seine Tochter zu sein. Meine Mutter hat versucht, mich vor ihm zu beschützen und jetzt ist sie tot. Ich werde sie niemals treffen. Das Kinderheim, in dem ich gelebt habe, verbrannt. Die Leute, die ich kannte, tot. Sie sind alle tot! Und meine beste Freundin, die einzige, die ich noch habe, sitzt hier im Gefängnis. Dabei will ich doch nur mein Leben zurück!" Mittlerweile liefen mir wieder die Tränen über die Wangen und mit einem Ärmel wischte ich sie weg.
Die Frau ließ ihr Schwert ein Stück sinken. „Das wusste ich nicht. Wieso sollte er dir so etwas Schreckliches antun?"
Ich zuckte mit den Schultern, hatte ich doch wirklich keine richtige Antwort dafür. „Macht?", flüsterte ich.
Die Frau schüttelte den Kopf und sah für einen Moment betreten zu Boden. Diesen Moment nutzte ich aus und trat ihr das Schwert aus der Hand. Ich griff nach dem Betäubungsgerät und nach ihrem Arm, und drückte es darauf. Die Frau wehrte sich nicht, sie starrte mich nur an, dann sackte sie zu Boden. Ich sammelte mein Schwert auf und wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht.

„Beeindruckende Vorstellung, Prinzessin. Ich hätte nicht gedacht, dass das funktioniert."
„Danke für dein Vertrauen." Ich verdrehte die Augen.
„Immer gerne. Aber jetzt los. Es wird Zeit, unsere Aufgabe zu Ende zu bringen."
Ich nickte in die Kamera und durchsuchte dann die bewusstlosen Wachen nach einem Schlüssel. Bei einer von ihnen wurde ich fündig und schloss die Tür zur Zelle auf.
Mein Herz schlug rasend schnell, als ich die Tür aufdrückte. War Anna wirklich darin?
In der Zelle war es dunkel, doch als die Tür aufging, ging auch das Licht an. Tatsächlich waren Anna und Aria hier. Ich musste einen Freudenschrei unterdrücken. Anna und Aria sahen nicht so aus, als hätte man sie Nächte lang gefoltert. Ich hoffte, dass dem wirklich so war.
Sie beide lagen auf Pritschen und schliefen. Schnell ging ich zu Anna und rüttelte an ihr. Sie blinzelte ein paar Mal, doch als sie sah, wer vor ihr stand, riss sie die Augen auf und sprang von der Pritsche.
Ungläubig starrte sie mich an. Ich konnte nicht anders als zu grinsen.
„Malina bist du es wirklich?"
„Ja, wer sollte ich denn sonst sein."
Tränen schossen ihr in die Augen und sie fiel mir um den Hals. „Ich dachte, du wärest tot."
Da kamen auch mir die Tränen. „Das ist eine lange Geschichte, die ich dir gerne erzähle, wenn wir hier verschwunden sind."
Ich löste mich von Anna, sie sah mich an und nickte. Aria war von unserem Lärm auch aufgewacht und grinste mich an. „Ich wusste, dass du kommen würdest."
„Freu dich nicht zu früh, noch sind wir nicht frei."
Aria nickte und sprang auf. Jetzt war es wirklich Zeit zu fliehen.


Malina und AnnaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt