~ Vier ~

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„Numb“. Einer der besten Songs, die je geschrieben wurde. Es gab keinen Song auf der Welt, den ihn auf diese Weise berührt hatte, wie dieser. Er war einmalig, und Niall würde ihn gleich wieder singen dürfen. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, und Adrenalin durch seinen Körper stoß. Es war ein so befreiendes, aber gleichzeitig auch unglaublich unpassendes Gefühl für diesen Song. Schließlich ging es darum gefühlsstarr zu werden, sich danach zu sehnen wieder irgendetwas zu fühlen, müde und erschöpft von dieser Leere zu sein, die einen umgab. Hier wurden jegliche Emotionen herausgeschrien, die ein Mensch besaß. Und dieser Schrei nach Hilfe machte ihn glücklich? Es sah ganz danach aus.

„I'm tired of being what you want me to be, Feeling so faithless, lost under the surface I don't know what you're expecting of me ,Put under the pressure of walking in your shoes...” 

Niall liebte diese ersten Zeilen, all die Spannung, die sich während des Vorspiels aufgebaut hatte, wurden nun gelöst. Es war ein großartiges Gefühl. Niall versuchte nicht Chester Bennington zu imitieren, oder gar Linkin Parks vollkommen Stil zu übernehmen, das würde ihm nie gelingen, obwohl schon ein Reiz in der Versuchung lag. 
Aber er hatte sich geschworen, sich von nichts und niemandem beeinflussen zu lassen und seinen eigenen Stil beizubehalten. Er verlor sich in Gedanken über Musik und seine Definition davon, dass er seinen Gesang beinahe vergaß, weil er sich so eingehüllt in die Szenerie fühlte, sodass seinen Gedanken ohne großes zutun abschweiften.  

Der Song erinnerte ihn an seine Eltern, wie sie ihn angesehen hatten, als er gesagt hatte, dass er mit der Musik sein Lebensunterhalt verdienen wollte, dass Musik sein Leben war. 

Die Begeisterung, die es in ihnen auslöste musste er wohl nicht beschreiben, das war klar. Er war ihr Sohn, ihr Sohn, der gerade so den Realschulabschluss gemacht hatte, weil er die ganze Zeit nur in Clubs abgehangen hatte und lieber Lyrics vor sich hinsagte, als Formeln und Gesetze zu lernen. 

Mal abgesehen davon hatte er da noch ein paar andere Dinge getan, die sie nicht unbedingt glücklicher gemacht hatten.
Und die Tatsache, dass gerade die Musik seine Berufung war, war für sie ein weiteres Ausschlusskriterium. Sie hatten schließlich nichts mit Musik zu tun, für sie war es wie der Dreck unter ihren Fingernägeln, wie die Fliege, die ihre Ruhe störte. Etwas Unnützes, dass weder praktisch war noch in sonst irgendeiner Art und Weise hilfreich.  

Niall wollte es ihnen nicht vorhalten, sie hatten schwere Zeiten hinter sich und mussten immer hart für ihr Leben arbeiten, aber das musste er auch. Irgendwann hatte er einfach aufgegeben sie verändern zu wollen; sie hatten einfach andere Werte und Traditionen, aber sie hätten wenigstens seine Wünsche tolerieren können.  

Er verscheuchte seine dunklen Gedanken, es brachte nichts über seine Vergangenheit nachzudenken, nur das hier und jetzt zählte und was er am meisten hasste war Selbstmitleid. 
Nur weil man schlechte Zeiten hinter sich hatte, hieß das noch lange nicht, dass man sich deswegen selbst leidtun durfte. Niall hasste es ,wenn er irgendeine dieser Reality Shows sehen musste, oder noch schlimmer Casting Shows, bei denen die Menschen versuchten durch ein paar Tränen und die ein oder andere traurige Geschichte sich durchs Leben zu mogeln. 
Wir hatten schließlich jeder unsere Leichen im Keller. 

Er drehte sich wieder zu dem Mädchen um. Sie funkelte ihn wütend aus ihren verträumten Augen an, aber es sah ganz danach aus, dass sie ihren angeblich „bösen Blick“ vor dem Spiegel geübt hatte.
Niall warf ihr einen abwertenden Blick zu, versuchte ihre selbstsichere Fassade zum Stürzen zu bringen, aber diesmal blieb sie standhaft, während des gesamten Songs. 

Er konnte hinter dieser Selbstsicherheit auch etwas anderes als Durchhaltevermögen sehen: Wut.
Das konnte ja witzig werden, dachte er und überlegte sich schon wie lange er schon nicht mehr so richtig diskutiert hatte. Es fehlte ihm, denn mit seinen Kumpels zu diskutieren war genauso sinnlos wie mit seinen Ex – Freundinnen, sie gaben zu schnell nach und brachen in Tränen aus. 

Die Kleine hier vor ihm würde wahrscheinlich nicht anders reagieren, auch wenn sie so aussehen wollte, als ob nichts und niemand ihr etwas anhaben konnte. 

„I've become so numb. I can't feel you there. I've become so tired, so much more aware. I'm becoming this. All I want to do, is be more like me, and be less like you”

Der Refrain, dachte Niall, während er sang und sein Herz für einen Augenblick einen Aussetzer hatte. Er hatte das Gefühl die Worte in die ganze Stadt zu schreien. Sie klangen engstirnig, wütend und einsichtig und er wollte, dass sie genauso klangen.  Sein Blick haftete währenddessen die ganze Zeit auf der Kleinen, die selbst bei seinen lautstarkem Gesang und seinem gefährlichen Funkel in seinem Augen, welches ihr galt, nicht zusammenzuckte oder ihren Blick senkte.

Sie hielt der Welle aus Wut stand, mit der Niall sie überflutete und das, obwohl sie noch nicht einmal für sie bestimmt war. Niall, der sich durch Harrys Schlagzeug, dass immer lauter zu werden schien, gestützt fühlte, legte noch einmal an Lautstärke zu. Es fühlte sich so unheimlich gut an, loszulassen und seinen Affekten freien Lauf zu lassen. Er war wütend und dieser Song unterstützte seine Wut so wunderbar, dass er nicht anders konnte, als sie nicht mehr zu unterdrücken.

Vielleicht wirkte er in diesem Augenblick tatsächlich beängstigend, geradezu schrecklich, aber es war ihm egal. Er wollte es genau so.
Als der Song sich schließlich dem Ende näherte, spürte Niall, dass ihn die Müdigkeit überkam. Es fühlte sich auf einmal unmöglich an noch länger seine Worte so laut durch den Raum klingen zu lassen. Die Wut verraucht langsam und es kam ihm so vor, als ob er wenige Sekunden später schon nicht mehr wusste, was ihn so erzürnt hatte. 

„I've become so numb, I can't feel you there”, sang Niall die letzten Zeilen des Songs und bemerkte, dass die Zeilen auch auf ihn zu trafen. Er fühlte sich leer, aber war da nicht mehr die Enttäuschung, die ihn gerade noch bei dem Gedanken an seine Eltern überflutet hatte. 

Er war leer.

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So viele Emotionen die ein Lied bei Niall hervorrufen.

Kennt ihr dieses Gefühl?

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