Es war kurz vor vier, und noch immer war kein Mensch zu sehen.
Die Musikschule wirkte wie ausgestorben, die Gänge waren leer, das Büro war scheinbar nicht besetzt - wenn Niall nicht die vielen leisen Melodien von den unterschiedlichen Instrumenten in den geschlossenen Räumen hören würde, hätte er denken können, dass die Musikschule heute geschlossen hatte.Aber so lief das vermutlich in solchen Elite - Musikschulen ab, dachte Niall bitter und schüttelte abgeneigt den Kopf, während er auf seine abgewetzten Schuhe sah, die so vollkommen im Kontrast zu der sterilen Umgebung standen.
Die Leute hier spielten Musik, um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Oder auch einfach nur, um zu zeigen, dass sie etwas taten, egal was. Die Beherrschung eines Instrumentes war für die Eltern der Musikschüler eine Information, mit der sie angeben konnten, nicht mehr und nicht weniger. Und für die Schüler gehörte es zu ihrem guten Lebensstandard, ein Instrument zu spielen.
Niall hatte sich früher oft gewünscht, zur Musikschule gehen zu können, aber seine Eltern wollten für so etwas niemals Geld ausgeben. Es war immer etwas gewesen, dass sie nicht verstanden.
Wenn er sich gewünscht hätte, im Fußballverein zu spielen, wären sie wohl eher einverstanden gewesen. Obwohl sie nicht viel verdienten, hätten sie ihm erlaubt, jedem Sportverein der Stadt beizutreten, aber das wollte er nie. Nein, er wollte zur Musikschule.Wenn er das nicht konnte, dann wollte er gar nichts mehr machen. Zumindest hatte er das seinen Eltern in einer ihrer diversen Diskussionen wutentbrannt mitgeteilt.
Heute hatte er eine ähnliche Meinung, aber vielleicht hätte er sich mit seinem jetzigen Wissen über das Leben, in einer langweiligen Kleinstand doch für den Fußballverein entschieden, nur um dem immer gleichen Alltag zu entkommen, den seine Eltern über die Jahre liebgewonnen hatten.
Sie waren schlichtergreifend in einer anderen Zeit aufgewachsen, in der harte körperliche Arbeit noch zählte und anerkannt wurde, weil sie einen Zweck erfüllte.Musik gehörte zu den wenigen Dingen im Leben, die keinen Zweck erfüllte, sondern nur für ihre Schönheit existierte. Trotzdem hatte die Musik ihn stärker prägen können, als seine Eltern es jemals tun würden.
Die Musik machte aus ihm einen besseren und manchmal auch einen schlechteren Menschen, sie belehrte ihn, wenn er einen Fehler machte, ließ ihn schweben, wenn er eine richtige Entscheidung getroffen hatte und unterstützte ihn, wenn es sonst keiner tat.Sie war eine Tätigkeit für brotlose Künstler und genau so einer war Niall in den letzten Jahren geworden.
Die Erziehungsabsicht seiner Eltern, einen hart arbeitenden, erwachsenen Mann aus ihm zu machen, war wohl mehr als gescheitert.Niall blickte sich im Flur um, um sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken.
Er war vollkommen in Weiß gehalten, lediglich der helle Laminat -Boden stellte eine Abwechslung in dem eingängigen Farbschema dar.
In einer Ecke standen eine schmale Bank und ein Regal mit Broschüren für Workshops, Universitäten und Unterrichtszeiten.
Bisher hatte Niall bereits ein paar Klaviere hören können, ein Kontrabass, ein nicht zu identifizierendes Holzblasinstrument und einige Gitarren.Er hatte sich das spielen selbst beigebracht und nachdem er genug Geld zusammengekratzt hatte, konnte er sich auch vereinzelt Unterrichtsstunden leisten, um seine Fähigkeiten zu erweitern.
Auf einem Konzert hatte er dann, nachdem er von zu Hause weg und in die Stadt gezogen war, Ava kennengelernt - sie fing zu der Zeit gerade an, in einem aufsteigenden Plattenlabel zu arbeiten - und sie half ihm dabei, in der Großstadt als Musiker Fuß zu fassen, und gab ihm ihr musikalisches Insiderwissen weiter.Trotzdem durfte seine Band nie eine Platte aufnehmen.
Ava und er hatten sich deshalb schon oft in den Haaren gehabt, aber so wie sie sich gern auszudrücken pflegte, fehlte seiner Band das gewisse „Etwas“, was immer das auch sein mochte.Niall, der von solch unpräzisen Aussagen nicht viel hielt, stellte sie zu Rede und verlangte Antworten von ihr, doch sie flüchtete sich immer in wage und träumerische Aussagen wie: „Deine Band ist gut, Niall, aber euch fehlt einfach etwas, dass sie auch einzigartig macht.“
Gelegentlich ersetzte sie diese floskelartige Wendung durch eine ähnlich undurchsichtige Aussage wie:
„Eure Zeit wird noch kommen, da bin ich mir ganz sicher.“Dabei hatte ihr Label schon deutlich schlechtere Bands und Interpreten unter Vertrag genommen, auch Coverbands.
Nialls Frage, ob sie seine Musik nicht produzieren wollte, weil sie befreundet waren, verneinte sie vehement. Er hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, ob er sie womöglich zu forsch behandelt hatte – schließlich war sie eine Frau und bei denen wiegte jedes Wort mehr als ein Zentner-, und sie deswegen die Band nicht unterstützten wollte.
Aber auch das war nicht ihr Problem gewesen, ebenso nicht, die Manieren der Jungs, die Covers oder die Tatsache, dass Rockmusik nicht das bevorzugte Genre des Labels war.Irgendwann hatte Niall aufgegeben, nach Antworten zu suchen, sondern ihre Entscheidung einfach akzeptiert. Obwohl Akzeptanz vielleicht das falsche Wort war, denn noch immer nutzte Niall jede Gelegenheit, um Ava doch noch zu überzeugen, seine Band zu fördern.
Genervt sah er schließlich wieder auf die Uhr- es war Punkt vier Uhr. Niall war es wirklich leid zu warten - wenn es wirklich etwas Wichtiges gewesen wäre, auf das, er hätte warten sollen, würde es sicher nicht so lange auf sich warten lassen. Er sollte gehen.
Es war sowieso von vornherein eine Schnapsidee gewesen, dachte Niall ernüchternd und aufgebracht zugleich. Die Freundin der Kleinen hatte Niall doch tatsächlich aufs Ohr hauen können. Und das wirklich Schlimme an der ganzen Sache war, dass Niall von Anfang an wusste, dass sie im Grunde ein typisches, intrigantes und oberflächliches Mädchen war, dem niemand trauen konnte.Und trotzdem hatte er sich auf ihre fixe Idee eingelassen. Wenn Dummheit wehtun würde, dann wäre Niall schon lange seiner mangelnden Intelligenz erlegen.
Aber wie hieß es so schön? Auch Enttäuschungen gehörten zum Leben.Niall drehte sich gerade um, um das Gebäude zu verlassen, als er plötzlich eilige Schritte auf dem Gang hörte, die sich ihm zu nähern schienen.
Schnell verzog er sich in den nächsten Gang, um die Person, deren Schritte er gehört hatte, erst einmal aus der Distanz beobachten zu können, bevor er sich ihr zeigte.
Höchstwahrscheinlich war es sowieso nur ein Musikschüler oder ein Lehrer.Wen sollte man auch sonst in einer Musikschule erwarten?
Was er aber dann sah, wäre ihm sicherlich nicht in seinen wildesten Träumen eingefallen.
Oder vielleicht doch. Nur hatte er sich diesen Gedanken verboten und das aus gutem Grund: Weil er sich in einer idealisierten Vorstellung verlor die niemals, unter gar keinen Umständen, wahr sein konnte.Schwer atmend, lief ein Mädchen mit einer nicht zu identifizierende Haarfarbe, hochgebundenen Haaren, weißen Kopfhörern in den Ohren, aus denen leise Musik klang und einer dunkelblauen Gitarrentasche, die ihr halb über die Schulter hing, an ihm vorbei, und steuerte zielstrebig einen der Räume auf der rechten Seite an.
Schnurstracks verschwand sie hinter einer der Türen, ohne sich noch einmal um zu sehen.Niall blickte erneut auf seine Uhr. Es war kurz nach vier.
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Ich glaube ihr könnt euch denken wer das ist?
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Sheet Music
FanfictionAleynas Leidenschaft ist die Musik. Sie spielt schon jahrelang Gitarre, doch sie hat sich nie getraut ihr Können unter Beweis zu stellen und sich ihrer größten Hürde und zugleich auch größtem Traum zu widmen: Dem Singen. Auf einem Konzert lernt sie...