~ Sechzig ~

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Wo war er? Wieso nahm er keinen einzigen Anruf von ihr war? Wieso war er nicht hier? Was war ihm dazwischen gekommen? War ihm überhaupt etwas dazwischen gekommen oder wollte er sie einfach nicht sehen?

Niall war mittlerweile beinahe eine ganze Stunde zu spät, das war ein neuer Rekord, selbst für ihn, dachte Aleyna wütend und gleichzeitig verzweifelt. 
War sie ihm so unwichtig, dass er sie einfach vergaß? Waren seine Nerven nach dem Feuer des letzten Abends, der widerspenstigen Hoffnung, der unverständlichen Verzweiflung nicht auch zum Zerreißen gespannt, so wie ihre?
Wollte er denn auch nichts anderes als diese Gefühl der Anspannung endlich zu lösen, um zu sehen, was wirklich dahinter steckte? 
Anscheinend nicht, dachte Aleyna ernüchternd und stand von der Bank auf, auf die sie sich gesetzt hatte. Sie würde nicht weiter auf ihn warten, es war sinnlos. 
Und sie verlor nebenbei das bisschen Würde, was ihr nach dem letzten Abend geblieben war. Sie würde nicht wie ein dummes naives Mädchen auf ihn warten. 
Wenn er etwas Besseres vorhatte, dann konnte sie das ebenso gut auch haben.
Nur was?
Aleyna hatte kein Leben außer dem mit Niall und den Jungs. Das was sie vorher hatte konnte man vielleicht als Zweckleben bezeichnen, aber mehr war es auch nie gewesen. Es war ein verzweifelter Versuch gewesen, ein aus den Fugen geratenes Leben, irgendwie zu ordnen.
Stumpfsinnig zu ordnen und in Schubladen zu stecken, nur um wieder von einer Ordnung sprechen zu können. 

Das Leben mit No Name dagegen… tja es war so wandelbar wie das Wetter gewesen. 
Mal war es der strahlende Sonnenschein, wenn sie zusammen harmonierten, lachten und einfach Zeit miteinander verbrachten. Dann war es wieder bewölkt gewesen, wenn Aleyna einen Ton nicht hatte singen können, die Jungs an ihr zweifelten oder auch nur sie selbst ihr Feind gewesen war. Und dann waren da auch ein paar Regentropfen gewesen, die sich zu Regenschauern und Stürmen gesteigert hatten, wenn sie mit Niall stritt, ihre Fassung verlor oder irgendetwas anderes Dummes anstellte. 
Aber sie hätte es niemals eintauschen wollen, gegen nichts auf der Welt. Kein Reichtum, kein Erfolg konnte ihr jemals das Gefühl geben, angekommen zu sein. Einen kleinen Platz im Leben gefunden zu haben. 
Vielleicht war ihm etwas wirklich Wichtiges dazwischengekommen, versuchte sie sich zu beruhigen. Vielleicht gab es Problem im Studium mit Ava, mit den Jungs oder sogar mit seinen Eltern. Vielleicht hatte sein Fehlen einen guten Grund. Aber wieso hatte er sie dann nicht erreichen können?

Er hätte ihr doch einfach eine Nachricht hinterlassen können, er musste noch nicht einmal anrufen. Eine kleine Nachricht hätte gereicht, aber nicht mal das hatte er auf die Reihe bekommen. 
Vielleicht hatte er sein Handy zu Hause liegen gelassen, versuchte das naive Mädchen in ihr, Entschuldigungen für Niall zu erfinden. 
Oder sein Akku war leer…oder er wurde ausgeraubt und hatte nun kein Handy mehr…Natürlich. 
Kein Räuber würde sich jemals freiwillig mit Niall anlegen, nach spätestens fünf Minuten hätte er ihn todgequatscht und er würde ihn schleunigst laufen lassen. 
Sie sollte nach Hause gehen, sofort. 
Bevor sie sich noch weitere dumme Schauergeschichten ausdenken konnte, um Nialls Fehlen zu rechtfertigen. 
Er hatte Mist gebaut, mehr gab es da nicht zu sagen. 
Und dabei hatte sie echt gedacht, dass es noch ein schöner Tag werden würde. Aber dieser Tag würde wohl für immer verdammt sein, danke. 

Schleppend bewegte sie sich nach Hause, sie wollte dort nicht wieder hin. Nicht jetzt. Sie wollte nicht die Stille hören, die sie umgab wie ein Dichter Schleier aus Trauer und Enttäuschung. Sie wollte nicht all diese Ordnung sehen, die ihr nicht mehr das Gefühl gab alles im Griff zu haben, sondern nur noch einen Kontrast zu ihrem wüsten Inneren darstellte. 
Sie wollte nicht, dass all die Erinnerungen wie Speere auf sie einschlugen. Aber wohin sollte sie sonst?
Glücklicherweise war der Weg vom Park bis zu ihrem zu Hause nicht besonders weit, sonst hätte sie Niall im Nachhinein noch eine Blase am Fuß verdanken können. Binnen 10 Minuten war sie zu Hause angekommen und erschrak, als sie das Auto ihres Onkels vor der Haustür stehen sah.
Er hatte es sich doch nicht nehmen lassen, nochmal nach ihr zu sehen.
Seufzend stieg sie die Treppen hinauf, sie war es leid mit ihm zu diskutieren, es würde nichts an ihrer Einstellung ändern. 

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