~ Neunundzwanzig ~

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Es gab einfach Songs, die ihr lagen, die sie singen konnte, weil sie das Gefühl hatte, es würde sich gut anhören. 
Und dann gibt es Songs, die sie unglaublich gerne mochte, die sie verstand und deren Inhalt Aleyna etwas abgewinnen konnte, aber deren Wiedergabe für sie unmöglich war, weil es einfach nicht passte. 
Das war doch nur logisch, oder? 
Da gab es keine Grauenzone, entweder der Song passte oder nicht. 
Und wenn er nicht passte, wenn es einfach unmöglich war ihn zu singen, dann sollte man die Finger von ihm lassen. 
Das war doch nicht so schwer nachzuvollziehen, oder? Zumindest für normale Menschen, aber wer sagte denn schon, dass Niall normal war. 

Jedes Mal, wenn Aleyna die Strophen von Jar Of Hearts sang, unterbrach er sie mindestens zehnmal, dabei gab es nur 7 Verse, dann begann bereits der Refrain.
Das bedeutete, dass er sie nicht nur nach einem Vers unterbrach und zurechtwies, sondern auch dazwischen und das war besonders demütigend, wenn man einen Ton gerade vollkommen vermasselt hatte. 
Hätte er sie einfach weiter singen lassen, hätte Aleyna diesen schlechten Eindruck wieder revidieren können, sie hätte ihn zumindest bei dem etwas höheren Refrain verändern können, aber so weit kam sie einfach nicht. 
Und was das Schlimmste an ihrem Versagen war, war das Niall ihr gerade bewiesen hatte, dass er Millionen Mal besser als sie war und das nagte an ihrem Selbstbewusstsein. 
Er hatte sie durchschaut, ihre Schwachstelle erkannt und sie einfach bloßgestellt. 

„You lost the love I loved the most“, sang sie gerade die Stelle, die nach und nach für sie zur schlimmsten Stelle des Songs wurde, weil sie es hier nicht schaffte eine Oktave höher zu singen, sondern in ein Brummen glitt. 

Aleyna würde sich nichts vormachen, die anderen Passagen waren auch nicht besser, aber diese hier war einfach besonders schlimm.

„Ali, jetzt vergesse​ doch bitte einfach mal den originalen Song, vergesse​ seine Melodie, vergesse​ alles. Du machst jetzt deine eigene Version daraus“, instruierte sie Niall gerade.

Auch wenn seine Worte freundlich gewählt waren und er nur zuvorkommend erscheinen wollte, für Aleyna würden sie immer einen besserwisserischen Klang haben. 
Trotzdem nickte sie ihm einfach zu und sang weiter, sie schaffte es sogar die Strophe ohne eine Zwischenbemerkung von Niall zu beenden. 

„And I learned to live half a life. And now you want me one more time“, sang sie die letzen Verse der Strophe, die ihr deutlich besser gelangen, denn sie konnte Niall leise nicken sehen. 

Doch er zeigte wieder mit dem Finger nach oben, um ihr zu bedeuten noch etwas höher zu singen und murmelte irgendetwas von „Spannung erhalten und lösen.“

„And who do you think you are“, sang sie nun, während sie auf die kahlen Wände des Proberaums sah. 

Sie wusste einfach nicht, wohin sie ihren Blick richten sollte. Schon allein bei dem Gedanken, Niall dabei anzusehen und ihn als Mittel zum Zweck zu benutzen, so wie er es getan hatte, stieg ihr die Röte ins Gesicht. 
Deshalb versuchte sie einfach jegliche Gedanken und Empfindungen auszuschalten und einfach zu singen, denn selbst das war noch ein Problem für sie.
Einfach den Mund zu öffnen und Töne zu erzeugen, denn Nialls Anwesenheit schüchterte sie immer noch ein wenig ein, dieses Gefühl würde wohl nie verschwinden. 

„Runnin' round leaving scars. Collecting your jar of Hearts .And tearing love apart”, sang sie die nächsten Zeilen, die sicherlich einen vorwurfsvollen, verbittern Beigeschmack haben sollten, doch bei Aleyna klangen sie nur verstört und verängstigt. Warum konnte sie es denn nicht? 
Und die noch viel wichtigere Frage war: Warum konnte sie vor allem vor Niall nicht? 

Niall bedeutet ihr aufzuhören und sie konnte sich selbst leise seufzen hören. 
Auch Niall schien nicht unbedingt hoffnungsfroh, denn er fuhr sich durchs Haar, brachte es durcheinander und legte dann den Zettel mit den Lyrics weg.

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