~ Sechsundzwanzig ~

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„Ich bin wieder zu Hause“, rief Aleyna fröhlich, als sie die Tür zu ihrem zu Hause ins Schloss fallen ließ.

Sie wusste noch nicht einmal, wieso sie so froh war, eigentlich hatte sie nicht wirklich einen Grund dazu, aber die Freude überkam sie einfach ohne Warnung und Aleyna konnte sie einfach nicht zurückhalten.
Louis hielt sie zwar immer noch für dumm und kindisch, aber er hatte gesagt, dass sie singen konnte.
Auch wenn Aleyna ihn für die vorherigen Aussagen gerne gelyncht hätte, die letzte Bemerkung hatte zwar nicht alles wieder weg gemacht, aber zumindest besser. 

Wenn Louis, als ihr größer Kritiker 
– mal von Niall, der definitiv für sie gestorben war absah – ihr sagte, dass sie singen konnte – okay,  der genaue Wortlaut war „wenigstens singen“ , dann konnte sie sich darauf doch etwas einbilden? 
Und selbst wenn nicht, sie hatte die Übungsstunde, vor der sie sich am Meisten gefürchtet hatte, hinter sich gebracht. 

Jetzt fiel einfach eine unheimlich große Last von ihr ab und Aleyna spürte wie der große Klotz, der die ganze Zeit über auf ihrem Herzen gelastet hatte, wie in Anker auf dem Meeresboden, von ihr abfiel.
Natürlich waren dort noch genug andere Steine, die diesen einen mehr oder weniger gut ersetzen würden, aber diese eine Hürde hatte sie erfolgreich überwunden.

Aleyna trat ins Wohnzimmer und zum ersten Mal seit langer Zeit, gefror ihr nicht mehr das Blut in den Adern, als sie in das gefühlskalte Gesicht ihrer Mutter sah.
Ihre überschwängliche Freude wurde von dem Gesichtsausdruck zwar gebremst, aber nicht vollkommen ausgelöscht und das war ein noch viel größerer Erfolg. 

„Hey Mama“, begrüßte Aleyna ihre Mutter glücklich und blieb ein paar Meter von ihr unschlüssig stehen. 
Sie hätte ihre Mutter jetzt gerne umarmt, wusste aber nicht, wie sie reagieren würde, oder ob sie überhaupt eine Geste oder Bewegung machte. 

Aleyna entschied sich es lieber sein zu lassen, sie hatte ihre Mutter sicherlich schon durch ihre übersteigert fröhliche Begrüßung aus der Bahn geworfen und argwöhnisch gemacht. Sie hatte immer noch einen Schein vor ihrer Mutter zu bewahren und nach einem zweistündigen Unterricht mit ihrem Gitarrenlehrer Noah, denn sie als Alibi für ihre Abwesenheit vorgeschoben hatte, sollte sie eigentlich vollkommen ausgelaugt und müde sein. 

„Wie war dein Unterricht mit Noah?“, fragte ihre Mutter sie gerade, während sie die Hände in den Schoß legte und sich aufrichtete. 

Das tat ihre Mutter immer, wenn  sie sich mit ihr unterhielt und auch mit Jedem anderen, Aleyna erschien es als ob ihre Mutter sich durch diese Bewegung für das nachfolgende Gespräch wappnen würde. 
Und wenn Aleyna endlich mal die Augen öffnen würde, würde sie erkennen, dass sie goldrichtig mit ihrer Vermutung lag, denn jedes Gespräch, jeder Wortwechsel, jede kurze, flüchtige Begrüßung fiel ihrer Mutter schwer. 
Denn jedes Mal musste sie eine fröhliche Maske aufsetzen um ihrem Gegenüber vorzuspielen, dass sie wirklich interessiert an der Unterhaltung war, sich wirklich von Worten berühren lassen würde.

„Es war gut, anstrengend aber gut“, beeilte sich Aleyna zu sagen, sie hatte sich nicht wirklich überlegt, was sie auf solche Fragen antworten sollte. 

„Was hast du da in der Hand?“, fragte ihr Mutter plötzlich nachdem sie eine ganze Weile lang geschwiegen hatten und zeigte auf die Tüte in der Hand.

Aleyna sah erschrocken zu der Einkaufstüte in ihrer Hand, die sie vergessen hatte, im Proberaum zu verstauen, auch wenn dann sicherlich die Jungs darauf aufmerksam geworden wären und sie ausgefragt hätten. 
Diese Situation hier war natürlich nicht besser, aber es war sinnlos sich jetzt darüber Gedanken zu machen, es war zu spät.

„Ach das?“, sagte Aleyna und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, um sofort einen kurzen Schmerzenslaut von sich zu geben, weil ihr Schlag etwas zu fest war und nicht mehr metaphorisch, so wie anfangs geplant. 

„Das sind Ornellas Klamotten. Sie war heute shoppen, während ich beim Gitarrenunterricht war. 
Danach habe ich sie zufällig getroffen und sie hatte so viele Taschen in der Hand, dass ich ihr eine abgenommen habe. Ich hab sie wohl vergessen sie ihr wieder zurück zu geben“, log Aleyna nicht besonders gut, aber sie musste sich zumindest anrechnen, dass ihr auf die Schnelle etwas eingefallen war. 

Es hätte auch durchaus anders laufen können. 
Ihre Mutter sah sie abschätzend an, während Aleyna aufseufzte und die Klamotten aus der Tasche herausholte und sie so versuchte zu betrachten, als ob ich sie nie zuvor gesehen hatte. 
Ihre Mutter verzog sofort das Gesicht, als sie die Kleidung sah.

„Überhaupt nicht mein Stil, aber ihr gefällt es“, sagte Aleyna achselzuckend. 

Sie war eine so schlechte Lügnerin.

„Also ich würde dich nie mit solchen Klamotten herumlaufen lassen, Aleyna“, erwiderte ihre Mutter und verzog das Gesicht beinahe angewidert. 

„Sagt ihre Mutter denn gar nicht zu so einem gewagten Outfit?“ Sie  schien regelrecht empört, während Aleyna nichts anders übrig blieb, als weiter die Achseln zu zucken.

Aleynas schlechtes Gewissen wurde immer schlimmer. Sie war die schlechteste Tochter auf der ganzen Welt, wo war nur ihre Schelte? 
Vielleicht würde sie auf dem Weg zum „Gitarrenunterricht“ ja ein Klavier begraben oder ähnliches, das war dann wenigstens ein durch und durch musikalischer und vollkommen sinnloser Tod. 

„Ich glaube gar nicht, dass ihre Mutter Bescheid weiß“, sagte sie in dem Versuch ihre Farce weiterhin aufrecht zu erhalten.

Ihre  Mutter wandte erneut den Blick auf, sie hielt sich normalerweise nicht lange mit überflüssigem Smalltalk auf. Aus einem spontanen Gedanken heraus und dem Wunsch die Aufmerksamkeit ihrer Mutter in dem Hier und Jetzt zu halten und nicht schon wieder in eine andere Welt driften zu sehen, rief Aleyna aus:
„Soll ich dir vielleicht ein Stück vorspielen. Wir haben uns heute mit Bachs Suite in E – Minor beschäftigt. Sie würde dir sicherlich gefallen.“

Der Blick ihrer Mutter fokussierte sich wieder, es erschien Aleyna fast so, als ob sie sie gerade kurz vor dem Wechseln in ihre Welt abgehalten hätte, doch ihre Gesichtszüge wurden sofort wieder hart, während sie ihr einen feindseligen Blick zu warf.

„Du weißt doch, dass ich Kopfschmerzen von Musik bekomme, Aleyna“, belehrte sie sie, während sie Aleyna mit einem wirklich missbilligenden Blick bedachte.

Fast zwei Jahre, sagte Aleyna sich immer wieder, war nicht irgendwann genug?
Aber für ihre Mutter würde es nie ein „Genug“ geben, sie war für immer gebrochen. 
Aber sie konnte das Gleiche nicht von ihr erwarten. 
Sie würde nicht einfach mit dem Leben aufhören und einfach so vor sich hin vegetieren.
Dafür war sie viel zu ehrgeizig. 
Aleyna nickte ihrer Mutter zu und wollte sich schon nach oben in ihr Zimmer verziehen, als ihre Mutter ihr noch sagte: 

„Aleyna, ich bin ab Sonntagmorgen auf einer Geschäftsreise, sie wird vermutlich zwei Wochen dauern. Vielleicht auch länger. Schaffst du es allein zu Hause klar zu kommen? 
Scott kommt auch alle paar Tage mal vorbei, um nach dir zu sehen und bringt dir die Einkäufe vorbei.“ 

Aleyna blieb erschrocken auf der ersten Treppenstufe stehen und musterte ihre Mutter stillschweigend, bis ihr bewusst wurde, was es mit ihrer Geschäftsreise wirklich auf sich hatte. 
Es war wieder so weit, dachte Aleyna ernüchternd, während sie ihre Mutter unglaublich gerne bitten würde zu bleiben, sie nicht wieder allein zu lassen.
Aber Aleyna wusste, dass die Arbeit ihrer Mutter und die sich durch diese bietende Ausflüchte, alles war, was sie noch wirklich gerne machte. 
Sie konnte sie einfach nicht bitten zu bleiben.

„Ist in Ordnung“, entgegnete sie ihr. „Ich komme schon klar. Aber ich bin den ganzen Samstag bei Ornella und übernachte auch bei ihr, ist doch okay oder?“

Meine Mutter zuckte kurz zusammen und sah sie erstaunt an, dann nickte sie steif.

„Natürlich, wir verabschieden uns dann einfach Freitagabend“, sagte sie und Aleyna nickte. 

Wenigstens musste sie ihre Mutter nicht mehr belügen.

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Wird es irgendwann mal auffliegen mit ihren Lügen?
Und wenn, wie würde ihre Mutter reagieren?

Was hat es mit der "Geschäftsreise" zu tun?

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