~ Dreizehn ~

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Neben der unbekannten Adresse waren noch eine Uhrzeit und ein Tag angegeben. 
Nun stand Aleyna vor genau dieser Adresse, einem leicht schäbigen Backsteingebäude, mit einem nicht mehr zu identifizierbaren Schild auf dem platten Dach und in genau fünf Minuten könnte sie erfahren, was es damit auf sich hatte. 

Das hieß, wenn sie sich dazu entschied zu bleiben und nicht einen Rückzieher zu machen, und ihre Zeit weiterhin in einem CD - Laden verschwendete oder alleine zu Hause. 
Den ganzen letzten Tag über hatte sie Vor – und Nachteile abgewogen und versucht alle Faktoren in ihre Entscheidung mit einfließen zu lassen, aber sie war zu noch keiner wirklich zufriedenstellenden Antwort gelangt.

In ihrem Kopf hörte sie immer wieder Wortfetzen, Ornella, wie sie ihr sagte, dass Aleyna sich niemals trauen würde vor zu singen, 
Noah, der ihr sagte, dass sie gut sang, Niall, der ihr gesagt hatte, dass sie tun sollte, was immer sie will. 

Im Endeffekt hatte Niall Recht, und das gefiel  ihr überhaupt nicht, obwohl sie ihm vermutlich zustimmen musste, zumindest im Moment. 

Sie hatte schon oft in den letzten Tagen darüber nachgedacht, dass er sie auf den Arm nehmen könnte. Denn sie kannte weder das Gebäude noch sein Innenleben. 
Was würde sie vorfinden? Oder würde sie überhaupt etwas von dem Leben hier kennen lernen? Die Gegend hier war nicht unbedingt, das, was man als Herz einer Stadt bezeichnen würde. 

Die Gebäude waren aller sehr alt und runtergekommen. An den Hauswänden befand sich sehr viel Efeu, der vielleicht mal wieder gegossen werden müsste und die Straßen waren voller Schlaglöcher. 
Trotzdem war unglaublich viel in diesem Stadtteil los. All das hatte einen gewissen Charme, mehr sogar als all die schönen Häuser in ihrer Gegend.

Sie waren immer so perfekt, dass man sich kaum traute auf diesem Stück Erde zu leben. 
Hier allerdings schienen die Menschen sich diese Frage nicht zu stellen. Menschenmengen bewegten sich fort, von einem Geschäft zum Nächsten. 

Es fühlte sich so an, als ob man plötzlich einen Ort entdecken würde, der einen vollkommen fasziniert, weil er so anders ist, als das, was man immer kannte, aber schon immer existiert hatte. Nur eben nicht für einen selber.

Aleyna holte ihren iPod aus ihrer Jackentasche, dafür, dass eigentlich Sommer sein sollte, war es unerwartet kalt.  
Sie hatte sich für eine saloppe Kombination von verwaschener Jeans, türkisfarbenem T – Shirt und schwarze Strickjacke entschieden, da alles andere zu gezwungen aussah. 
Wie gewollt und nicht gekonnt. Außerdem war sie vollkommen auf der Nicht – Gewollt – Seite, also musste sie sich ja nicht bemühen. Das redete sie sich zumindest ein. Relativ ergolgreich bis jetzt.

Sie zog ihre Strickjacke enger um ihren Körper, da es immer windiger wurde und scrollte die Songtitel des iPods hinunter -bei über 1000 Titel dauerte das so seine Zeit-, doch sie fand keinen Song, der in irgendeiner Art und Weise ihre Laune wiedergespiegelt hätte oder ihr eine Antwort geben konnte. 

Deshalb drückte sie auf den zufällige Wiedergabe – Knopf und hörte die lauten E- Gitarren Töne von „Time To Say Goodbye“, Simple Plan. Das war ja schon mal eine Aussage, doch weiter kam sie gar nicht mehr, da sie der Song und seine Energie so aus dem Konzept warfen, dass sie nur mit wippen und stumm ihre Lippen zu den Worten bewegen konnte. 
Normalerweise war sie ja nicht der Typ dafür, aber es gab gewisse Songs, bei denen man nicht anders konnte und es war ihr in solchen Momenten auch egal, wer oder was sie dabei beobachtete.

“I just don't want to waste another day .I'm trying to make things right. But you shove it in my face.” 
Wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen, dachte Aleyna, während ihre Gedanken wieder zu all dem Mist kamen, den sie mal wieder verzapft hatte. 

Ihre Hoffnungsfunken waren manchmal wie eine Heuschreckenplage oder ähnliches.
Nicht zu bekämpfen. Wenn sie einmal Feuer gefangen hatte und das war hier definitiv der Fall, dann konnte man dieses Feuer auch nicht mehr im Zaun halten, geschweige denn davon es zu löschen.

In diesem Fall galten die Regeln um ein Feuer zu löschen einfach nicht, denn ihrs war unbesiegbar.
Eigentlich eine gute Eigenschaft, aber sie konnte einem auch zum Verhängnis werden, weil die Nebenwirkungen von unendlicher Hoffnung auch Naivität und Wunschdenken waren. 

Zwei Charaktereigenschaften ohne diese sie gerne hätte leben können und ihre Mitmenschen wohl auch. 
Ihre Finger trommelten auf ihrem linken Bein, das sie gegen eine Wand gelehnt hatte, um einen Halt zu finden. 

Und nachdem Pierre Charles Bouvier zum dritten Mal sehr eindrucksvoll die Zeilen „It's time to say goodbye. (I just don't want to waste another day). It's time to say goodbye. (Cause things will never be the same).It's time to say goodbye” zum Besten gegeben hatte, war Aleyna hundertprozentig sicher einen Fehler gemacht zu haben und zu gehen, doch gerade als sie sich umdrehen wollte und den ganzen Kram hinter sich lassen wollte, kam jemand aus einiger Entfernung auf sie zu gelaufen, der leider genauso aussah wie Niall. 

Die Zwillingsbrudertheorie schloss sie sofort aus, dass würde nicht gut enden. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf möglichst fasziniert von der Musik in ihren Ohren aus zu sehen, ob das in der Realität auch wirklich aussah, würde sie leider – oder ehr glücklicherweise – nicht erfahren. Doch ihr Körper schien sie nicht um Stich zu lassen, wenn es um die Ausführung peinlicher Aktionen ging, denn ihre Finger begannen wie von selbst wieder auf den Beinen zu trommeln und auch ihr Kopf war von seinen merkwürdigen Bewegungen nicht ab zu bringen. 

Urplötzlich stand Niall dann grinsend vor ihr und sagte, während er sie von oben bis unten beobachtete:
„On the first day that I met you. I should have known to walk away. I should have told you you were crazy. And disappear without a trace.”

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