~ Zweiunddreißig ~

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„Ali, kannst du bitte aufhören, dich zu bewegen. Ich kann sonst nicht arbeiten", sagte Ava gerade zum gefühltesten tausendsten Mal an diesem Tag.

Die „Arbeit", die sie verrichten musste, war natürlich ihre vollkommene Neugestaltung, angefangen bei dem Make - Up. Als Aleyna heute Mittag zum Ort des Konzertes kam, eine kleine Bar in der Stadtmitte, hatte Ava sie ohne große Umschweife in einen der hinteren Räume gezehrt, um sie fertig zu machen.
Sie hatte nicht einmal beim Soundcheck dabei sein können. Das hatte ihr nicht besonders geschmeichelt, denn entweder bedeutete es, dass es so schlimm um sie stand, dass Ava Stunden brauchen würde, sie zu einem normalen Menschen zu machen oder Aleyna sollte weiter unter Druck gesetzt werden, weil sie den Song erst ein einziges Mal mit der ganzen Band geprobt hatte.
Egal wie sie es drehte und wendete, es ging immer irgendwie darum ihr eins rein zu würgen.

„Es tut mir leid, Ava, aber ich kann nun mal nicht anders", antwortete Aleyna ihr, doch es klang nicht besonders bedauernd, im Gegenteil.
Sie war einfach so nervös, dass sie an nichts anderes denken konnte, als an den Auftritt.

Ihre Nerven spielten verrückt und beeinträchtigten ihre zurückhaltende Art, sodass sie schnell ausfallend wurde, ihr Blinzeln, war ein Dauer Warnsignal und ihre Beine, wie ein Rührstab immer in Bewegung.
Nicht einmal, als sie gestern Abend zu spät nach Hause kam, war ihre Angst nicht so groß gewesen.
Was im Nachhinein auch vollkommen unnötig gewesen war, denn als sie zu Hause eintrat, war ihre Mutter bereits auf dem Sofa eingeschlafen, sie hatte ihre Rückkehr also gar nicht bemerken können geschweige denn den Zeitpunkt ihrer Ankunft festzulegen.
Als sie sich dann heute kurz und schmerzlos voneinander verabschiedet hatten, hatte ihre Mutter sie auch gar nicht mehr danach gefragt und Aleyna hatte mit Schrecken festgestellt, dass sie unglaublich erleichtert war, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel auf dem Weg zum Auftrittsort.
Aber in gewisser Weise wurde ab Morgen auch alles einfacher.
Sie musste ihre Mutter nicht mehr belügen, konnte solange, wie sie musste, wegbleiben und damit weitere peinliche plötzliche Aufbrüche wie der gestern Abend vermeiden.

Niall hatte nun wahrscheinlich das bisschen Sympathie für sie, dass sie sich schwer erarbeitet hatte, sofort verloren, als er gesehen hat, dass sie wie ein kleines Kind schon um Zehn zu Hause sein musste.
Eigentlich konnte es ihr auch egal sein, was Niall von ihr dachte, trotzdem wollte sie wenigstens in gewisser Art und Weise ihm sympathisch sein, warum auch immer.

„Ali, Ali", riss Ava sie erneut aus ihrem Gedankengang. Sofort schrak Aleyna auf und fuhr hoch aus dem Sessel, in den Ava sie gesetzt hatte.
„Ali!", rief Ava nun wütend aus und griff zur Taschentuchbox zu ihrer Linken, die auf einem Tisch mit weiteren Schminkutensilien drapiert war und strich fest über ihr Gesicht. Anscheinend hatte sie mit ihrer plötzlichen Bewegung Avas Schminkbewegungen durcheinander gebracht.
„Jetzt muss ich schon wieder von vorne anfangen", klagte sie beleidigt.

Aleyna konnte nicht anders als zu lachen, schließlich war Ava von Anfang an Feuer und Flamme bei ihrem Umstyling gewesen und nun musste sie nun mal mit den Folgen klar kommen.

„Es tut mir leid", erwiderte Aleyna ihr trotzdem, doch es klang nicht wirklich ernst.
Nach dem fünfzigsten Mal entschuldigen nutze sich der Entschuldigungszauber einfach langsam ab, da ließ sich wohl nicht dran rütteln.

„Schon in Ordnung", entgegnete sie ihr trotzdem wie auch die letzten Male immer versöhnlich.
„Ich verstehe, dass du aufgeregt bist, aber du wirst das toll machen", redete sie nun wieder auf Aleyna ein, während sie erneut den Eyeliner ansetzte.

Aleyna schaltete währenddessen auf Durchzug, denn sie hatte in der letzten Stunde gelernt, dass Ava ab und zu dazu neigte nur zu reden, um irgendwie die Stille zu durchbrechen, die sie immer als angenehm empfunden hatte.
Einige Sekunden lang blieb es still, Ava war viel zu sehr damit beschäftigt Aleyna in Schach zu halten und sie nebenbei halbwegs vorzeigbar zu machen, dann fragte sie vorsichtig:
„Ali?"

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