~ Sechsundfünfzig ~

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Als Aleyna nach dem Konzert wieder in einem der Backstage Räumen in der Bar war, ließ sie sich erschöpft gegen die geschlossene Tür sinken. 
Sie hatte niemals erwartet, dass diese Sache so anstrengend werden und solch große Dimensionen annehmen würde. Manche Leute im Publikum kannten mittlerweile sogar ihren Namen, wollten sich mit ihr unterhalten und Songwünsche äußern. Es war vollkommen verrückt. 
Es fühlte sich auch vollkommen verrückt an, eine Mischung aus dem Gefühl des Schwebens und das wieder Hinunterkommen auf den Erdboden. 
Wenn sie sang, wenn sie wusste, dass sie gut sang, ihr Bestes gab, das Publikum mitfieberte und Niall und der Rest der Band mit ihr harmonierten, dann fühlte sie sich wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie hätte keine Zeit nennen können, in der sie glücklicher war, das musste sie zugeben. 

Alles fühlte sich so falsch und richtig auf einmal an, dachte sie zwiegespalten und fuhr sich durch das, sowieso durcheinander gebrachte Haar.
Aber wenn sie wieder zurückdachte an diesen Moment vor einer halben Stunde auf der Bühne mit Niall, würde sie am liebsten wieder im Erdboden versinken und sich wünschen, nie bei dieser Bandsache mitgemacht zu haben. 
Sie hatte wirklich gedacht, dass es besser zwischen ihnen laufen, dass sich sogar etwas wie eine echte Freundschaft zwischen ihnen entwickeln würde, aber anscheinend lag sie falsch. 
Niall war Niall und sie war nun mal Aleyna. Nur Aleyna. Sie waren vollkommen verschieden, gingen einander täglich an die Gurgel und hatten nur selten den gleichen Musikgeschmack. 
Wie konnte sie denken, dass sie Freunde werden konnten? 
Niall hielt sie immer noch für das dumme Mädchen von nebenan, dass Einzige, was er ihr zu Gute hielt war, dass sie singen konnte und ihre Stimmen miteinander harmonierten. Aber wie konnten ihre Stimmen sich so perfekt komplementieren, wenn sie doch charakterlich so verschieden waren? 
Aleyna schüttelte den Kopf um ihre Gedanken zu vertreiben. Es hatte keinen Sinn.
 
Wieder einmal war sie froh ein paar Minuten allein sein zu können, um einen klaren Kopf zu bekommen. 
Die Jungs waren schon wieder dabei etwas zu feiern und wollten, wenn Aleyna wiederkam, zusammen weiterziehen. Aber wollte sie das überhaupt? Sie wusste es nicht. 
Seufzend stand sie langsam auf und sah sich in dem Raum um, denn man eigentlich nur als Abstellkammer bezeichnen konnte.
Überall waren Regale platziert, in denen sich Getränke und Gläser in verschiedenen Kisten und jeder Sorte stapelten. Eine große Staubschicht lag auf den Regalböden und das verschlissene Sofa in der Ecke hatte bestimmt auch schon bessere Zeiten gehabt. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Tisch mit Spiegel und Sessel, in den Ava sie wieder vor dem Konzert hineingedrückt hatte, um sie fertig zu machen.
Ali musste lachen, als sie sich durch ihre wilden Locken fuhr, für die Ava eine ganze Stunde und jede Menge Nerven ihrerseits gebraucht hatte. Auch wegen des Outfits wäre sie Ava gerne an die Gurgel gesprungen, es war eine Qual gewesen in einem Hemd bei 30 Grad im Schatten zu performen. Dummerweise hatte sie vergessen ein anderes Outfit einzupacken, das sie nach dem Konzert anziehen konnte. Pech gehabt. 
Jetzt musste sie wohl weiter schwitzen. 

Gerade wollte sie sich wieder auf den Weg nach draußen zu den Anderen machen, da fiel ihr Blick wieder zum Tisch, auf dem ein türkisfarbendes, luftiges Sommerkleid,über die Tischkante gelegt, befand.
Ali trat ein paar Schritte näher, bis ihr Blick auf ein weißes Blattpapier neben dem Kleid fiel. 
Verwundert faltete sie es auseinander und ließ neugierig: „Wehe, du ziehst es nicht an. Nach deiner Aktion von eben mit Niall, würde ich mir keine weiteren Späße mit mir leisten wollen.“ 
Ava, dachte Aleyna assoziativ, als sie die Nachricht sorgfältig zusammenfaltete und auf den Tisch legte. 
Nur sie konnte eine Drohung so geschickt hinter einem Geschenk verstecken, dachte sie lächelnd. 
Vorsichtig nahm sie das Kleid in die Hand und begutachtete es. Für eine größere Person würde es wohl sehr kurz sein, zu kurz, aber ihr musste es passen. Außerdem war es leicht und der Stoff fühlte sich gut unter ihren Händen. 
Es war zwar nicht zu vergleichen mit ein paar bequemen Jeans, einem T – Shirt und Turnschuhen, aber besser als gar nichts. 
Schnell schloss sie die Tür zur Abstellkammer ab und schlüpfte in das Kleid. Als sie es schließlich anhatte und vor dem Spiegel stand, stellte sie fest, dass Ava ein wirklich gutes Augenmaß besaß. Es saß wie angegossen. 
Aber was hatte sie auch Anderes von ihr erwartet? 
Sie war die Meisterin, was Mode und die Vermarktung von neuen Bands anging. Trotzdem fühlte Aleyna sich in ihrer Nähe immer wie ein Kind, was sie im Vergleich zu Ava auch war. 

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