Chapter 19~Die letzte Hoffnung

5.2K 382 57
                                    

Obwohl ich am nächsten Morgen aussah wie eine lebendige Leiche, schaffte ich es, mich irgendwie soweit hinzukriegen, dass niemand mitbekam was in mir vorging.
Ausser vielleicht einige, besonders feinfühlige Leute.
Leena war es jedenfalls nicht, denn sie war immer noch nicht aufgetaucht. Was die Beiden sich wohl zu erzählen hatten dass es so lange ging...
Cole hatte schnell gemerkt dass es mir nicht sonderlich gut ging und hatte mich beim Frühstück mehrmals besorgt nach meinem Wohlergehen gefragt.
Seine purpur farbenen Augen die so voller ehrlicher Zuneigung waren, liessen mein schlechtes Gewissen beinahe explodieren.
Immer wieder hatte ich zu Hunter geschaut, dem es deutlich besser ging als gestern.
Kein Wunder, bei dem was abgegangen war.
Soran hatte uns einige aufmerksame Blicke zugeworfen, hatte sich aber zu meinem Glück nicht eingemischt.
Ab und zu fing ich die waldgrünen Augen des grossen Jungen auf, wenn wir beide gleichzeitig über den Tisch linsten.
Schlechtes Zeichen, denn es kribbelte wie verrückt.
Und das sollte so nicht sein.
Als ich mich schliesslich im Empfangssaal mit den vielen Stühlen daran machte, die Verfluchten zu heilen, wurde mir klar was zu tun war.
Ich sog die, mir fehlende Energie die ich gestern an Hunter gespendet hatte, aus dem Stein meiner Maske, die zum Glück meine Augenringe bedeckte.
Und hoffentlich auch meine Gedanken, die nämlich nicht bei den breit lächelnden Zwergen waren, die glücklich und geheilt wieder abzottelten.
Ich war zum Schluss gekommen dass ich Cole sowas nicht antun konnte. Hunter war nie so gut zu mir gewesen wie er und ausserdem wollte ich auch mich selbst nicht verletzen, indem ich es bei Cole tat.
Also würde ich es ihm nicht sagen.
Ich würde ihm nichts von dem gestrigen Kuss mit seinem verhassten Halbbruder erzählen und auch nicht was ich dabei gefühlt hatte.
Denn das war unwichtig und ich musste den Vorfall vergessen und begraben. Es war einmalig gewesen und ein Fehler.
Es dauerte die ganze Behandlung lang, bis ich mir das eingeredet hatte und halbwegs damit klar kam.
Als schliesslich der letzte Zwerg freudig zu seiner Familie rannte und ich mich nach tausend Danksagungen endlich hinsetzen konnte, war ich am Ende.
Meine Energiereserven waren aufgebraucht und die dunkle Masse besass gefühlte 70 Prozent meines Körpers.
Da halfen auch die Tonnen an Zucker nicht, die ich pur und als Danke von all den geheilten Zwergen und Zwergenfrauen geschenkt bekam.
Ich ruhte mich jetzt schon einige Stunden aus und es ging mir immer noch nicht super.
Alle meine Sorgen nagten an mir und ich wusste nicht ob ich das letzte Volk, die Dämonen auch noch versorgen konnte.
Denn lange machte mein Körper dieses Ungleichgewicht nicht mehr mit.
"Geht es dir besser?"
Cole kniete sich vor mich und strich mir sanft übers Knie.
Ich fuhr beinahe zusammen; so schlecht fühlte ich mich dass er sich nach meinem Betrug an ihm so besorgt zeigte. Naja, er konnte es ja auch nicht ahnen.
"Es geht. Ich bin ziemlich ausgelaugt, um ehrlich zu sein."
Gestand ich ihm halb grinsend und sah kurz zu Hunter zurück, dessen eisiger Blick auf Coles Hand lag.
Als würde er sie jederzeit abhacken.
Er sagte aber nichts und liess sich auch sonst nichts anmerken.
Ich schluckte und bewarf ihn mit strafenden Blicken; während mir Cole einen weiteren Kristall aus purem Zucker unter die Nase hielt.
Sehr verlockend.
"Du musst dich stärken. Sicher dass du die Dämonen auch noch schaffst? Die halten wahrscheinlich den Rekord im Verflucht werden."
Sein Blick wanderte an meinen müden Gesichtszügen entlang und ich zuckte die Schultern.
"Und wieso wohl Cole? Weil wir die einzigen sind die den Mut haben für unsere Sache einzustehen."
Blaffte Leena ihn an, die gerade mit ihrem geliebten Zwerg hinein spaziert gekommen war.
Cole verdrehte die Augen, schenkte seiner Halbschwester aber keine Beachtung und fuhr langsam mit dem Finger über mein Knie.
Eine beruhigende Bewegung, die mich tatsächlich etwas zurück aus meinen Gedanken und Ängsten holte.
Gerade als ich vorschlagen wollte, bald aufzubrechen um auch das letzte Volk zu befreien, bevor die Hexen sich noch Verstärkung holten, gingen die Tore auf.
Saron, der auf seinen Stab gestützt alles mitangesehen hatte und dessen Miene bei dem Glück seiner Mitzwergen ganz weich geworden war, richtete sich langsam auf, indem er sich am Holz hoch zog.
Hunters Schatten begann sich flackernd zu bewegen und Leena schob ihren Geliebten etwas hinter sich.
Cole stand auf und drehte sich zu den Zwergen; die hinein eilten und ich hob den Blick.
Ihren Gesichtern nach zu urteilen, ging es den schmutzig aussehenden und getarnten Zwergen niht sonderlich gut.
Überall sah ich getrocknetes Blut an ihren ledernen Rüstungen, ob es ihres war wusste ich nicht.
Ein Gestank machte sich in der Luft breit.
Nach Tod und schlechten Nachrichten.
"Igmur, Folan, wo sind die anderen?"
Saron musterte die beiden Zwerge besorgt, die keuchend inne hielten und die Köpfe schüttelten.
"Sie haben es nicht geschafft."
Teilte der eine mit und der andere biss die Zähne zusammen.
Bedauern machte sich auf den Gesichtern der umstehenden Heimischen aus, nur ich verstand nicht was hier ablief.
Als hätte Saron meine Gedanken gelesen, wandte er sich mir zu.
Unterdessen waren seine Gesichtszüge verspannt und beinahe gefährlich vor Wut.
"Sheya, ich habe mehrere Späher ausgesandt, nachdem ihr von den Hexen verfolgt worden seid, um eure nächste Rute sicher planen zu können.
Doch anscheinend ist etwas schief gelaufen. Und das bedeutet nichts gutes."
Ich nickte langsam und richtete mich auf.
Dass alles einige Momente lang Kopf stand, sagte ich nicht.
"Erzählt."
Forderte ich die verletzten Zwerge nun auf, die sich zu mir umgedreht hatten und respektvoll darauf warteten, reden zu können.
"Wir haben eines ihrer Lager bespitzelt.
Sie haben davon geredet, dass noch Morgen Abend ein Machtwechsel im Schloss stattfinden sollte. Sie hatten alles geplant; doch als sie mehr erzählen wollten, haben sie uns irgendwie bemerkt.
Wir sind die einzigen Überlebenden."
Niedergeschlagen trotteten die beiden Zwerge weg, als Saron sie liebevoll getröstet hatte, dass sie tapfer gekämpft hätten und dass sie ehrenhafte und gute Zwerge waren.
Dann drehte er sich zu uns.
Ich hatte die Hände in mein Kleid gekrallt und spielte mit dem harten Leder, an welches ich mich unterdessen gewöhnt hatte.
"Ihr wisst was das bedeutet. Jetzt wissen die Hexen dass wir Bescheid wissen."
Leena unterbrach ihn.
"Das heisst wir müssen so schnell es geht Reiter ins Schloss schicken, um den Verrat und die Meuterei zu melden."
Ich schüttelte langsam den Kopf.
"Wenn es ein Angriff aufs Schloss sein soll, werden die Hexen sich vorbereitet haben.
Ein Reiter wird da nicht durchkommen. Und wir dürfen nicht riskieren, den König zu verlieren."
Vor allem weil er mir noch so viel zu erzählen und beizubringen hat, fügte ich im Kopf noch dazu.
Cole nagte an seiner Unterlippe herum und Saron strich sich nachdenklich über den widerspenstigen Bart.
"Und was sollen wir dann tun?"
Leena klang ziemlich aufgewühlt; so wie wir alle es vermutlich waren.
Ich wusste dass die Hexen etwas planten, aber dass es solche Ausmasse angenommen hatte, hätte ich niemals erwartet.
"Wir gehen selbst zum Schloss.
Wir sind alle stark und schaffen es vielleicht noch, wenn wir jetzt losreiten."
Sofort schoss der Kopf meiner Freundin zu mir hinüber.
"Und was ist dann mit den Dämonen?"
Ich bewegte mich unbehaglich.
"Die werde ich dann erst heilen können, wenn das was die Hexen angezettelt haben, vorbei ist."
Sie verengte die schönen grünen Augen zu schmalen Schlitzen. Gerade erinnerte sie mich sehr an ihren Bruder.
"Du willst sie also als einziges Volk nicht behandeln? Ist dir klar was das für eine Beleidigung ist?"
Ich warf die Hände über den Kopf.
Das wusste ich doch auch, aber was hatte ich für eine Wahl?
"Wenn der König tot ist und die Hexen herrschen wird es gar keine Gelegenheit mehr geben sie zu heilen! Weil wir dann alle sterben werden!"
Leena schwieg und hatte die vollen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst.
"Sheya hat recht. Wir müssen losreiten, die Dämonen sind gerade nicht unser grösstes Problem. Aber eine Herrschaft von Hexenbiestern wäre unser aller Untergang."
Cole stellte sich nahe zu mir, als wolle er mir seine Verstärkung anbieten.
Wütend starrte Leena uns an.
"Sheya will doch nur ihre eigene Haut retten! Weil sie keine Kraft mehr hat, opfert sie lieber mein Volk um sich beim König verkriechen zu können."
Zischte sie und drehte sich um.
Dann rauschte sie aus dem Saal und die Türe knallte hallend hinter ihr zu.
Ihr Freund folgte ihr mit einem entschuldigenden Blick, aber ich stand wie vom Blitz getroffen da.
Dachte sie echt so von mir? Und war es nicht vielleicht auch ein Grund?
Dass ich so selbstsüchtig war und wollte dass ich mehr erfuhr und lernte? Und dass Hunter seinen Fluch los wurde?
Ich schluckte und Saron drehte sich zu uns um.
"Wir packen euch Waffen und Proviant ein.
Wenn ihr in Kürze aufbrecht und nur eine kurze Pause macht, schafft ihr es bis morgen Abend.
Hoffentlich noch früh genug."
Cole nickte und sah entschlossen aus, das Ziel auch zu erreichen.
Hunter hatte leise wie seine Schatten den Raum verlassen und ich sehnte mir ihn bereits herbei.
"Es tut mir leid Sheya dass ich euch keine Krieger mitgeben kann, aber wir müssen uns auf möglichem Krieg vorbereiten..."
Ich nickte langsam und verstehend.
"Natürlich, das werfe ich euch nicht vor."
Antwortete ich und versuchte, mich nicht so müde anzuhören wie ich mich fühlte.
Mit leidendem Blick bedachten mich die übrigen Zwerge.
Sie hatten wahrscheinlich schon länger befürchtet, dass nach den friedlichen Jahren die eingetreten waren, nachdem die Elafrÿs hier gewütet hatten, wieder ein Krieg kommen würden.
Die Stille und der Frieden waren zerbrechlich gewesen, jetzt wo die Schreckensherrschaft meiner Verwandten vorbei war, war klar gewesen dass nicht Jeder ruhig bleiben würde.
Vor allem nicht die Hexen; die ja mit dem König sowieso nicht einverstanden waren.
"Ihr reitet bei Sonnenhochstand los, unser aller Hoffnung liegt jetzt darin dass ihr das Schloss rechtzeitig erreicht."

Fluch der Küsse*beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt