Chapter 4~Der verlorene Freund

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Ich machte mich unverzüglich auf den Weg zu meinem Zimmer.
Ich wollte weg von den Wesen, die mich anstarrten, sei es nun ehrfurchtsvoll oder halb hasserfüllt halb verängstigt.
Es war mir egal ob sie mich noch mehr verabscheuten oder was auch immer.
Ich wollte nur noch in den einzigen Raum, in welchem nur die Leute waren, die ich dort haben wollte.
„Sheya.."
Hunter stand neben mir und hielt mühelos Schritt.
„Was war das gerade?"
Er zupfte an einer meiner Strähnen, als ich nicht antwortete.
„Ich bin nicht schuld daran! Ich habe immer nur versucht zu helfen und jetzt werde ich dafür auch noch bestraft!"
Ich warf die Fäuste frustriert in die Luft.
„Und jetzt fühle ich mich...so hilflos, argh."
Hunter schob sich vor mein Zimmertüre, sodass ich gegen seinen muskulösen Oberkörper stiess.
„Du bist ganz und gar nicht hilflos, Wölfchen."
Murmelte er und seine Lippen streiften meine Wangen, die sofort zu brennen begannen.
„Aber du sollst jetzt aufhören zu denken. Heute Abend jedenfalls."
Er wackelte mit den Brauen und zeigte die strahlend weissen Zähne.
Verschmitzt blitzte er mich aus seinen flaschengrünen Augen an.
Er war wirklich alles was man sich wünschen konnte..
„Du hast Recht."
Ich atmete tief und hörbar ein, bevor ich nickte und versuchte, die Anspannung etwas von mir weg zu schieben.
Es war noch Zeit bis Morgen. Und diese wollte ich in vollen Zügen geniessen.
„Lass uns bis Morgen einfach den ganzen Scheiss hier vergessen."
Ich versuchte zu lächeln und er legte die Hand an meinen Nacken, um mich in eine feste Umarmung zu ziehen.
Ich legte den Kopf an seine Schulter und atmete seinen herben Geruch ein, der ihn so unverwechselbar machte.
„Ich liebe dich."
Nuschelte ich leise und er schauderte.
„Sag das nochmal."
„Nein." ich grinste in seinen Pulli und als er lachte, vibrierte seine Brust leicht.
„Ich liebe dich auch, Wölfchen."
Dann drückte ich mit teuflischem Hintergedanken die Tür und Hunter fiel nach hinten in mein Zimmer.
Ich landete mit einem hörbaren „Plumps" auf ihm und lachte, als er kurz das Gesicht verzog.
„Wenn du mich umhauen willst, kannst du dich auch einfach ausziehen...das hier wäre nicht nötig gewesen."
Ich schmunzelte und küsste den Jungen mit den zerzausten Haaren auf die Lippen.
Dann griff ich nach dem Saum meines Oberteils, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen, als ich abrupt aufsah.
„Ace."
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden.
„Sheya..."
Knurrte Hunter und wirkte verärgert.
„Wie ich es hasse."
Er schob mich beiseite, während ich keinen Zentimeter meines Körpers zu bewegen in der Lage war.
„Ace. Was tust du da."
Flüsterte ich. Meine Stimme war nicht mehr als ein kraftloses hauchen.
Mir war eiskalt und gleichzeitig schwitzte ich.
Angst, ich konnte mein eigene Angst riechen.
Der Junge mit dem matten Haar und den zersplitterten eisigen Augen stand einfach nur da und sah mich an.
Neben ihm flatterten die schweren Vorhänge des Zimmers, das Fenster stand weit offen, sodass die dunkle Nacht ihren Weg in mein gewärmtes Zimmer fand.
Die Sterne standen am Himmel und der Mond leuchtete hell. In der Ferne bellte ein Hund und Menschenstimmen ertönten vom Hof weit unterhalb des Fensters.
„Verdammte Scheisse."
Murmelte Hunter und trat etwas zurück. Ace würde auf ihn nicht gut reagieren, das wusste er.
Doch mir ging es in diesem Moment nicht um Hunter.
Mein Seelengefährte stand einen winzigen Schritt vom Abgrund entfernt da und sah mich nur an.
Ich sah den Schmerz in seinen Augen. Die Angst vor all den Dingen die er nicht verstand.
Die so neu und ungewohnt war.
Dinge wie er, der er nun in einem wildfremden Körper steckte. Einem menschlichen Körper.
„Bleib da stehen, hast du mich verstanden?"
Ich machte langsam einen Schritt nach vorne, meine Füsse fühlten sich klamm an.
Meine Unterlippe zitterte, so wie der Rest meines Körpers.
Die Angst lähmte meinen Verstand.
Verzweifelt versuchte ich, mich auf das Fenster zu konzentrieren, damit es sich schloss.
Doch es klappte nich.
Ace blockierte mein Kräfte...ich wusste nicht, dass er das konnte.
„Hör auf damit. Bitte Ace, ich werde mehr für dich da sein. Ich gehe nicht mehr weg!"
Flehte ich und machte noch einen Schritt.
Immer näher kam ich meinem geliebten Freund, der sich auf der Kante des Todes befand.
„N..."
Er öffnete den Mund und einige unverständliche Laute entrannen ihm.
Dann sagte er tatsächlich etwas.
„Nein!"
Er streckte die Hand nach vorne und sofort blieb ich stehen, die Hände flehend erhoben.
„Bitte Ace, wir kriegen das hin. Weisst du nicht mehr? Du und ich."
Er verzog den Mund, als könnte er sich genau daran erinnern, was ich ihm immer ins Ohr geflüstert hatte, wenn wir uns schlafen gelegt hatten.
„Nur wir zwei."
Meine Stimme klang schrill, ganz und gar nicht beruhigend.
Eine Weile sah er mich sanft an und ich erkannte den alten Ace aufblitzen.
Meinen Gefährten, der mich durch die Welt getragen hatte und mich bis aufs Blut verteidigt hatte.
Oh wie oft hatte ich mich in seinem Fell vergraben und geweint.
Und wie oft hatte er mich mit seiner kalten Schnauze angestupst, sodass ich wieder lächeln musste.
Er erinnerte sich an diese Momente und er liess sie mich auch sehen.
Tränen rannen mir aus den Augen, während die Bilder langsam verschwammen.
„Wieso tust du das..."
Schluchzte ich und schüttelte den Kopf.
„Liebe."
Ace nickte fest mit dem Kopf und deutete auf mich.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund um mein Schluchzen zu ersticken.
Dann lächelte ich verzerrt und nickte, während ich meine salzigen Tränen auf den Lippen schmecken konnte.
„Ja. Ich liebe dich auch, Ace. Immer."
Er nickte heftig und kurz flammte das alte Leben in seinen Augen auf.
„Lass mich sterben."
Ich riss die Augen auf und in diesem Moment liess er sich fallen.
Ich schoss vor streckte die Hand nach ihm aus.
Meine Finger streiften die seinen, sie waren warm.
Dann prallte ich gegen den Fensterrahmen und mir wurde jegliche Luft aus dem Leib gepresst.
Ich sah ihm nach, wie er die Augen schloss und wie sein Gewand in der Luft flatterte, als er auf den Boden zuschoss.
Unaufhaltsam.
Dann knallte es laut, und bevor ich ihn dort unten sehen konnte, zog mich Hunter vom Fenster weg.
„Nein!"
Brüllte ich und strampelte in der Luft, während er mich fest an sich drückte.
Er sagte kein Wort, doch liess mich nicht gehen.
„Lass mich los! Ich will zu ihm!"
„Sheya.."
Ich hörte Trauer in seiner Stimme.
„Nein!"
Kreischte ich.
Ace war mein Freund gewesen, mein ein und alles.
„Lass mich los!"
Schrie ich und eine gewaltige Druckwelle rauschte aus dem Nichts aus mir hinaus.
Hunter knallte gegen die Wand, das Bett wurde zusammengedrückt wie ein Auto, das mit Vollgas in eine Wand raste und die Stühle klappten in sich zusammen.
Mit verschleierter Sicht rannte ich aus dem Zimmer und durch den Gang.
Ich achtete nicht auf die Wesen, die mir verdutzt oder erschrocken nachsahen.
Sie existierten gar nicht mehr in meiner Wahrnehmung.
Ich hielt mich nur an dem einen Gefühl fest, welches ich immer hatte, seit ich meine Verbindung mit Ace eingegangen war.
Das Gefühl unserer Verbindung.
Sie wurde immer schwächer und drohte mehrmals, sich mir zu entreissen.
Mit allem was ich hatt hielt ich sie fest, weinte und rannte so schnell dass meine Knochen knacksten.
Ich rauschte auf den Hof, wo sich eine Menge aus Neugierigen gesammelt hatte.
„Weg!"
Meine Stimme triefte vor Trauer und mit einer Handbewegung flogen alle die mir im Weg standen zur Seite.
Keine Ahnung, ob ich jemanden verletzte.
Es war mir auch egal.
Ich stürzte zu Ace.
Sein Gewand hatte sich um seinen verrenkten Körper gewickelt und aus seinem Schädel rann rotes, glänzendes Blut.
Mit einem lautlosen Schrei sank ich neben ihm auf den Boden und schüttelte immer wieder den Kopf, während ich ihn abtastete.
„Nein...bitte Ace.."
Wimmerte ich und fühlte, wie die Verbindung langsam abriss.
„Ich heile dich, du musst nur noch durchhalten."
Seine Lieder zuckten und ich hörte, wie er langsam und rasselnd einatmete.
Dann hustete er und stiess die Luft mit einem Schwall Blut aus seinem Mund wieder aus.
Verzweifelt wartete ich auf einen nächsten Atemzug, doch sein Kopf kippte zur Seite und in diesem Moment traf mich ein unbekannter Schmerz.
Der schmale Faden, der uns zusammengehalten hatte, riss.
Und damit starb Ace. Und ein Teil von mir starb mit ihm.
Vor Schmerz schrie ich auf und krümmte mich.
Mein Inneres zog sich zusammen und ich liess mich neben ihn auf den Rücken fallen.
Sein Blut war überall, klebte an meinen Haaren und Armen.
Ich spürte wie dieser Teil in mir starb und wie das Glück in meinem Innern mit ihm zerfloss.
Dann drehte sich der Himmel und ich schloss die Augen.
Dann fiel ich in ein tiefes Schwarz hinein.

Es tat gut, einfach nur dazustehen.
Zwischen den tief grünen Blättern der Bäume, die sich um uns herum aufgestellt hatten.
Es tat auch gut, zuzusehen wie Ace beerdigt wurde.
Die Wölfe sassen im Kreis um den Scheiterhaufen herum und heulten, sodass es einem durch Mark und Bein ging.
Die Elafrÿs standen mit gesenkten Köpfen um sie herum. Eine kleine Gemeinschaft, die um ein verlorenes Mitglied trauerte.
Ich stand neben Frieda und Sebastian.
Beide schwiegen und waren so konzentriert wie der Rest.
Ich beobachtete den Rauch, der von den nach oben leckenden Flammen aufstieg. Er war schwarz und vermischte sich mit der Dunkelheit des Himmels.
Es roch nach Holz, und nach Fleisch.
Ich beobachtete stumm die Funken, die sich vom Holz lösten und wie kleine Glühwürmchen in der Luft herum schwirrten, bevor sie erloschen.
Doch abgesehen davon, spürte ich nichts.
Es hatte damit angefangen, als ich in einem anderen Zimmer aufgewacht war.
Lexa auf dem Stuhl neben mir und Hunter an der Wand lehnend.
Ich hatte mich aufgesetzt und leer gefühlt.
Als ich es ausgesprochen hatte wurde mir gesagt das sei normal.
So trauere man, das gehe vorüber.
Und es stimmte, am Abend darauf, meine Reise zu den Dämonen wurde um
Zwei Tage verschoben, lag ich neben Hunter im Bett und er hielt mich einfach nur fest.
Da fühlte ich wieder etwas. Fühlte mich wieder lebendig.
Doch dann war ich auf dem Rücken von einem schwarzen Pferd, welches den Wagen von Aces zugedecktem Leichnam zog, zu meinem Volk geritten, um ihn bei seinesgleichen zu beerdigen.
Hunter hatte mich begleiten wollen, doch ich wollte das nicht.
Kaum hatte ich mich von der Blutstadt entfernt, und somit auch von Hunter, hatte es wieder begonnen.
Es schien, als würden langsam immer mehr Gefühle in mir einfach absterbn.
War ich vor kurzem noch aufbrausend und impulsiv, so war ich jetzt ruhig und stumpf.
Neben diesen Momenten in denen Hunter bei mir war, fühlte ich nur noch eines.
Dunkelheit. Sie nagte unaufhörlich an mir. Tag und Nacht kämpfte mein inneres Licht gegen sie an und ich verdrängte den Gedanken daran, dass sie da war.
Dass sie es war, die die Lücke füllte, welche Ace hinterlassen hatte.
„Sheya."
Ich wandte den Blick vom Himmel ab.
Das Feuer war erloschen, nur noch Asche und einige Holzscheite lagen auf einem schwarzen Fleck auf der Wiese.
Langsam verwehte der Nachtwind alles und trug meinen alten Freund mit sich fort in die weite Welt.
Alle anderen waren bereits bei den Feuern und assen oder erzählten sich Geschichten.
Einige Wölfe lagen noch bei der warmen Asche und schliefen entspannt.
Ich hatte mich also seit Stunden nicht von der Stelle bewegt.
Frieda berührte meinen Arm und mein Blick richtete sich auf sie.
„Du solltest zu deinem Volk sprechen Sheya. Eine schwache Anführerin, geplagt von Trauer, löst Uneinigkeiten aus."
Ich legte langsam den Kopf schief.
Ich hatte die letzten zwei Tage so viel geweint, dass ich schlicht und einfach keine Kraft mehr hatte, erneut in Tränen auszubrechen.
„ich bin nicht schwach."
Meinte ich mit leichter Stimme.
Frieda nickte, betrachtete mich aber besorgt.
„Das weiss ich. Doch das musst du auch den anderen mitteilen."
Das würde ich tun. Und zwar gleich jetzt.
Ich marschierte mit schlendernden Armen direkt zwischen die drei Feuer, auf denen Hasen brutzelten und die Gespräche verstummten.
Das Licht der Flammen spiegelte sich in meinem Gesicht und strahlte Wärme von allen Seiten ab.
„Einige von euch werden denken, dass ich nach meinem Verlust geschwächt bin. Einige werden vielleicht denken die Zeit sei reif für einen Machtwechsel in unserer Führung."
Kein Mucks war zu hören, doch ich wusste, dass jeder diesen Gedanken innerlich in sich trug.
Wir waren alle Machthungrige Wesen und griffen danach, wenn sich uns die Gelegenheit bot.
„Lasst euch gesagt sein, dass diese Zeit noch nicht gekommen ist. Ich bin noch immer eure Anführerin und daran wird sich auch nichts ändern."
Meine Stimme klang stark und unberührt.
Doch ich hörte nur von weit her zu.
Es wurde genickt und die Köpfe geschüttelt, was mehr auftrat wusste ich nicht so recht.
Auch egal.
„Wirst du eine Weile bei und bleiben, oder musst du wieder zurück ins Schloss?"
Erkundigte sich ein kleines Mädchen, dessen Zöpfe beinahe so lang waren wie sie selbst.
Ich sah sie nicht an. Stattdessen musterte ich die Versammlung.
„Nein. Ich werde morgen aufbrechen und im Auftrag der Königin der Blutstadt die Dämonen aufsuchen, um mit ihnen über Frieden zu sprechen."

Wie fandet ihr das Kapitel? was ist euch aufgefallen und wie werden wohl die Elafrÿs auf die Neuigkeiten reagieren? Seid gespannt..
Love you
Tala

Fluch der Küsse*beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt