Chapter 5~Die Rückkehr

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Die Schatten meiner Umgebung begannen sich zu bewegen und krochen wie Schlangen auf mich zu.
Es war wie in den Albträumen, wenn man sich nicht rühren konnte, obwohl man eigentlich weg rennen sollte.
„Rette uns."
Diese Worte wiederholten sich in meinem Kopf, immer und immer wieder, bis sie zu einem unverständlichen Flüstern mutierten.
Ich schrie laut auf, als ich meine Arme plötzlich nicht mehr erkannte.
Die Dunkelheit drohte, mich zu verschlingen.
Die Schatten sassen kalt an meinen Gliedern, genauso wie sie auch den Rest des Waldes in Besitz genommen hatten.
Kein Entkommen, nur Kälte, die von allen Seiten auf mich zuströmte.
Lähmend.
Und dann begann sich der dunkle Ball in meinem Innern zu bewegen.
Er musste wohl spüren was los war.
Und er drängte nach aussen. Doch die Handschellen verhinderten das noch immer.
Bald spürte ich die Spannung in meinem Innern und meiner Umgebung. Alles in mir wollte sich dieser Dunkelheit hingeben, ein Teil von ihr werden, obwohl ich ja schon längst von der inneren Dunkelheit gefangen war. Als wären es Hände, versuchten sich Schatten aus meinem Innern durch meine Augen, Nasenlöcher und meinen Mund ins Freie zu quetschen.
Es brannte, als würde Russ all meine Öffnungen verkleben und mich ersticken.
Ich versuchte zu schreien, doch die dunkeln Schwaden rauschten aus mir heraus.
Mein Inneres rumorte, bevor ich ein Krachen hörte.
Ich hatte meine Handschellen gesprengt.
Ich konnte nur noch daran denken wie gut es war, dass dies nicht in meiner Zelle geschehen war, und dass ich Ace nie wiedersehen würde. Oder die Geschwister.
Danach lähmte die Kälte meinen Körper soweit, dass es nicht mehr schmerzte, als jeglicher Funke meiner Magie aus mir heraus gesogen wurde.
Die Dunkelheit von mir unterschied sich vom Schwarz der Umgebung.
Wie ungestüme Wellen krachten sie aufeinander, die Schwaden reckten sich gierig der Menge an Schatten entgegen und vermischten sich knisternd damit. Wie ein Wirbelsturm begannen sie sich zu umkreisen und meine Haare wurden hoch gewirbelt.
Ich stand inmitten eines Sturmes aus purer Dunkelheit.
Als ich meine Hände hob, konnte ich erkennen wie die Massen stürmisch darum herum wirbelte.
Dann hoben meine Füsse vom Boden ab.
Oder aber ich spürte ihn einfach nicht mehr.
Ich hatte das Gefühl in einem riesigen Nichts zu schweben.
Und dennoch war ich nicht alleine.
Tausende und abertausende Wesen waren ebenfalls hier. Das konnte ich spüren. Sie alle erwarteten mich mit Vorfreude und sie alle liessen mich ihre Gefühle spüren.
Wut, Angst, Müdigkeit, der Wunsch nach Rache. Aber vor allem konnte ich ihren Willen zu leben wahrnehmen.
Er breitete sich auch in mir aus, wie eine ansteckende Krankheit.
Sie waren in der Dunkelheit gefangen. Genau wie ich.
Jetzt wurde mir auch klar wer das war. Das war mein Volk. Das waren die Elafrÿs, die sich vor Jahren hier in einem riesigen Radau ins Nichts verzogen hatten.
Und jetzt wollten sie wiedern hier raus.
Durch mich.
Ich wusste um ihre Macht und auch ihre bösen Taten, doch ein Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgenagelt, während ich hier schwebte und nichts mehr spürte, ausser das an was ich dachte.
Vielleicht war meine Mutter auch hier. Vielleicht konnte ich sie finden.
Doch als ich rufen wollte, kam kein Ton aus meinen Lippen.
Falls ich überhaupt noch welche hatte.
Stattdessen erklangen wieder die Stimmen in meinem Kopf. Dieses Mal mit mehr Hoffnung.
„Reinige uns, Sheya! Reinige dich selbst!"
Hauchten sie neben meinen Ohren.
Doch egal wohin ich blickte, sehen konnte ich nichts.
„Wie?"
Wollte ich rufen, doch ich konnte mich noch immer nicht regen.
Trotzdem bekam ich eine Antwort.
„Licht! Gib uns das Licht!"
Welches Licht? In meinem Kopf ratterte es.
Dann verstand ich.
Ich dachte nicht einmal darüber nach, ob ich all meine Heilung auf mein Volk verwenden wollte.
Es war eine Art Urinstinkt, der mich dazu anstiftete, alles für ihre Rettung zu tun.
Dass ich eigentlich die Elben erreichen wollte, spielte keine Rolle mehr. Ich würde es ohnehin nicht bis dorthin schaffen.
Also liess ich los.
Mit allen Zellen meines Körpers liess ich das los, was mich noch am Leben gehalten hatte.
Aus meiner Brust begann es, Licht zu regnen.
Wie feiner Sternenstaub verteilte er sich langsam in der Dunkelheit.
Wie Sterne im riesigen, unendlichen Nachthimmel.
Ich atmete nicht, hörte und fühlte nichts.
Ich konnte nur zusehen, wie die feinen Lichtstrahlen in den Sturm der Schatten hineingezogen wurden, und sich mit ihnen vermischten.
Sie waren wenige, drohten darin unterzugehen.
Doch dann begannen sie sich wie wachsende Wurzeln in die Dunkelheit zu schlagen und breiteren sich aus wie ein Limonade Fleck auf einem weissen Shirt.
Immer weiter, bis ich von dem hellen Weiss geblendet wurde, welches sich vor mir erstreckte.
Es war als wäre ich in einer riesigen Kugel eingeschlossen.
Zur Hälfte aus gleissenden Strahlen aus Licht und zur anderen Hälfte aus dunkeln Schatten.
Hitze und Kälte. Dunkel und hell. Das Gleichgewicht, welches wir früher einmal gehalten hatten.
Dann regte sich auf einmal gar nichts mehr.
Meine Augen schweiften umher, doch nichts passierte.
Angst oder Unsicherheit fühlte ich nicht mehr, ich war einfach Zuhause, noch nie hatte ich mich an einem Ort so wohl gefühlt.
Nur, woher kam das so plötzlich?
In einem einzigen Pfeil aus Materie schossen dann Dunkelheit und Licht auf mich zu.
Sie umschlangen sich wie Liebende, die ohne einander nicht leben konnten, zu einer riesigen Kordel.
Meine Augen weiteten sich, als das Spitze Ende des Strahls direkt in meine Brust einschlug.
Dann war es, als würde mich etwas von Grund auf auffüllen.
Beginnend in meinen kribbelnden Beinen, danach formte sich mein Oberkörper und zuletzt spürte ich meine Arme wieder.
All diese Gegensätze vereinten sich in mir. Ich hatte sie alle vollständig aufgenommen, zurück blieb nur ein Wald aus Schatten.
Es prickelte in mir und ich fühlte wie all die Wunden und Schwächungen von selbst heilten.
So stark fühlte ich mich. Als hätte ich grosse Macht geschluckt, auf die ich nun zu achten hatte.
Dann setzten meine Füsse wieder auf dem weichen Gras auf, welches plötzlich in einem grellen Grün leuchtete.
Es war Tag, zumindest ging die Sonne auf und tauchte die Lichtung in gleissendes Licht.
Ich stand wieder da, ganz und nicht mehr in zerrissenen Kleidern.
Ich trug ein weisses Kleid, kurz aber wärmend. Und eine schwarze Schleppe fiel schwer an meinem Rücken hinab.
Es war, als hätten sich die Kleider erst an mir geformt. Als wären sie aus demselben Nichts entstanden, wie ich.
Dann richtete ich den Blick auf die Bäume vor mir.
Die Schatten lösten sich wie kleine Fetzen davon und tanzten mit dem Licht zusammen wie feiner Staub über die Lichtung.
Die Bäume waren gesund und das Braun der Blätter wich einem gesunden Blattgrün.
Die umgekippten Köpfe der Blumen stellten sich auf und der erstarrte Bach begann wieder vor sich hin zu plätschern.
Ich hörte wie Vögel zögernd ein Lied anstimmten und wie die Gräser ihre neue Freiheit in wildem Tanze feierten.
Doch das eigentliche Wunder, welchem ich hier gegenüberstand, waren meine Familie.
Mein Volk.
Die Staubwolken begannen sich zu verformen, in unendliche kleine Stücke brachen sie auseinander.
Immer je zur Hälfte aus Licht und Schatten.
Sie begannen sich in menschliche Umrisse zu verformen, viele Gestalten die bis weit in den Wald hinein reichten.
Fasziniert beobachtete ich eine Gestalt gleich in meiner Reihe.
Die kleinen Fetzen vereinten sich, schlossen sich zu etwas zusammen, woraus sich Haut bildete.
Geräuschlos stand innert Sekunden eine Frau vor mir.
Bekleidet in Hose und Mantel, eine richtige Elafrÿ.
So wie ich.
Sie starrte an sich hinunter und hob dann die zierlichen Hände.
Sie drehte sie vor ihren Augen, als müsste sie zuerst realisieren, dass sie echt war. Dass sie wieder existierte.
Dann traten Tränen in ihre Augen und sie drehte sich suchend um.
Auch ich sah wieder auf die Lichtung.
Sie war nun gefüllt mit Wesen, die sich umarmten oder ihren Partner suchten.
Laute Gespräche und Rufe wurden laut, während sich vor Verzückung jedes Haar an meinem Körper aufstellte.
Sie waren alle wieder lebendig.
Ich hatte sie wieder auferweckt.
Jetzt lastete nicht mehr der ganze Druck auf mir. Jetzt musste ich mich nicht mehr alleine fühlen.
Jetzt hatte ich eine Familie.
Dann ertönte ein Heulen, in welches hunderte von Wolfsstimmen einstimmten.
Es klang schaurig, doch auch unendlich schön.
Es erinnerte mich an Ace.
Wenn er nur dabei sein könnte. Dann wüsste er, dass er auch nicht mehr der Einzige seiner Art war.
Kurz danach stürmten grosse Schattenwölfe die Lichtung und warfen sich winselnd und jaulend auf ihre Seelenverwandten.
Freude und Zuneigung lag in der Luft.
So etwas wunderbares wie dieses Wiedersehen hatte ich noch nie gesehen.
Nicht imstande mich zu regen, beobachtete ich das Geschehen.
Wie bei den Andern Völker waren wir alle unterschiedlich.
Nur eine Gemeinsamkeit gab es.
Sie alle hatten schwarze Haare, die in ihren Spitzen in eine Art Silber überliefen.
Ich lächelte darüber, dann stockte ich und zog mir eine meiner eigenen Strähnen vor die Augen.
Ihre Enden leuchteten silbern wie Sternenstaub.
„Ach du..."
Murmelte ich und musste dann breit grinsen.
Ich war jetzt also auch ein Teil dieser Gemeinschaft. Und das machte mich sehr glücklich.
Dann fasste ich mich.
Ich musste meine Mutter suchen.
Mein Herz begann beim Gedanken zu flattern, sie nach all diesen Jahren kennen zu lernen.
Und mich bei ihr für ihr grosses Opfer zu bedanken, mit welchem sie mich gerettet hatte.
Ich setzte mich mit schwungvollen Schritten in Bewegung und zwängte mich mit suchendem Blick zwischen den Elafrÿs hindurch, welche ihr Wiedersehen feierten.
Ich war der festen Überzeugung dass ich meine Mutter erkennen würde, wenn ich sie sah.
„‚Mom! Mom, bist du hier irgendwo?"
Rief ich so laut es meine bebende Stimme zuliess.
„Ich bins! Sheya!"
Ich drehte mich um meine eigene Achse und versuchte zwischen all den fremden Gesichtern ein vertrautes auszumachen.
Doch es gelang mir nicht.
Ich verirrte mich zwischen Augenpaaren, Mündern die lachten und Haaren, die alle dieselbe Farbe hatten.
„Mom!"
Meine Stimme wurde immer verzweifelter und mir stiegen Tränen in die Augen.
Ich hatte so viel Hoffnung hinein gesetzt, ich musste sie jetzt einfach finden.
Vor lauter Eifer hatte ich gar nicht gemerkt, dass die Lichtung langsam verstummt war und sich die Gesichter mir zugewandt hatten.
Sie starrten mich alle an, als wüssten sie alles über mich und kannten mich schon Jahrelang.
„Mädchen, deine Mutter ist nicht hier."
Ein älterer Mann trat vor, das Silber seiner Haare war weit fortgeschritten und er lächelte sanft.
„Woher willst du das wissen!"
Er wirkte sehr verständnisvoll und ruhig, als er mir eine Hand auf die Schulter legte.
„Sie war nicht an dem Ort an dem wir waren. Glaub mir, das hätten wir gewusst.
Sie ist wirklich tot."
Mitfühlend wurden Blicke gesenkt oder getuschelt.
Ich konnte nichts dazu sagen.
Eigentlich sollte man meinen, dass es nicht all zu schockierend war, dass meine Mutter nun doch nicht am leben war.
Immerhin hatte ich sie nie gekannt oder gesehen, jedenfalls nicht so, dass ich mich hätte erinnern können.
Und trotzdem, obwohl ich nie mütterliche Liebe ihrerseits erlebt hatte, kam es mir vor, als würde ich sie ein zweites Mal verlieren.
Ein zweites Mal wurden meine Hoffnungen auf eine wichtige Person in meinem Leben enttäuscht.
Ich schluckte und bemühte mich stark, mein verschwimmendes Sichtfeld unter Kontrolle zu halten.
Ich konnte jetzt nicht vor meinem ganzen Volk Schwäche zeigen. Das käme bestimmt nicht gut an.
Also verdrängte ich es so gut es ging, dass alles Umsonst gewesen war, und erkannte, dass es nun nicht mehr nötig war, zu den Elben zu gehen.
Ich war stark, fühlte mich stärker als je zuvor und strotzte nur so vor Rachegelüsten.
Doch als ich in all die erwartungsvollen Gesichter vor mir blickte, wurde mir plötzlich etwas bewusst.
Ich war nicht mehr allein.

Oh und was denkt ihr wird sie als nächstes tun? Bin gespannt was ihr zur Rückkehr der Elafrÿs sagt, ist das gut oder schlecht?^^
Love you
Tala

Fluch der Küsse*beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt