Mathematik

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Kapitel 29

Riiiiiing. Riiiiiing. Schlaftrunken suchte meine Hand den Übeltäter, der mich aufgeweckt hatte, auf dem Nachtkästchen. Endlich fand sie ihn auch und stellte das nervtötende Ding ab. Ich seufzte und schwang dann meine Beine aus dem Bett. Danach schlurfte ich zu meinem Kleiderschrank und zog eine Hotpants und ein T-Shirt aus ebendiesem. Fertig angezogen und schon ein wenig frisch gemacht lief ich die Treppe hinunter in die Küche, wo mich Sam schon erwartete. „Na, Schätzchen, hast du gut geschlafen?" „Geht so! Eigentlich sogar ganz gut, nur hat mich dieser bescheuerte Wecker aus meinen Träumen gerissen", schmollte ich. Sam lachte nur und schenkte mir einen Kaffee ein. Dankbar nahm ich diesen und trank erstmal einen Schluck. „Mmh! So ein Kaffee vertreibt gleich de schlecht Laune!", sagte ich und wärmte mir wohlig die Hände an der Tasse. Sam nickte zustimmend und nippte zur Verdeutlichung auch an seinem Kaffee.
Nach dem Frühstück putzte ich mir schnell die Zähne, packte in eine Tasche Stifte und einen Block und nahm mir danach mein Handy zur Hand. Ich wollte nämlich Isa fragen, wann sie denn immer morgens bei der Schule ist. Sie antwortete: „Guten Morgen, Jessie! Wegen deiner Frage, ich bin immer um viertel vor acht an der Schule. Der Unterricht beginnt dann um acht." „Danke! Dann komme ich auch um viertel vor. Bg."
Ich schaute schnell auf die Uhr und erschrak. „Schon halb?!" Ich schnappte mir meine Tasche und ging nochmal in die Küche, um mir eine Wasserflasche und Geld für Essen einzupacken. Dann verabschiedete ich mich von Sam mit einem Küsschen auf die Wange. Draußen sperrte ich mein Fahrrad auf, als ich bemerkte, dass ich mein Handy oben liegen gelassen hatte. Also klingelte ich bei Sam, rannte die Treppe rauf und suchte dann mein Handy. Nach zwei Minuten fand ich es auch: es war unter meinem Kissen gelegen. Ich schmiss es zu den anderen Sachen in meiner Tasche und rannte wieder runter. „Tschüss!", rief ich Sam noch zu, bevor ich die Tür hinter mir zuzog.
Ich schwang mich auf den Sattel und trat in die Pedale und tatsächlich erreichte ich pünktlich, fast zeitgleich mit Isabella die Schule. Wir sperrten unsere Fahrräder gründlich ab und umarmten uns. „Hey, Isa!", sagte ich und sie erwiderte lachend: „Hallo, Jessie! Bist du aufgeregt oder warum zittern deine Hände?" Beschämt steckte ich sie sofort in meine Hosentasche und grinste schief. „Ne, alles okay!" Isabella zog eine Augenbraue hoch, hakte aber nicht nochmal nach. Stattdessen sagte sie: „Wir müssen schauen, wo unsere Kurse stattfinden und wie unser Stundenplan ist. Die Pläne hängen in der Eingangshalle aus." Sie schob mich zum Schulgebäude und drückte die große, schwere Tür nach innen auf, die sich langsam und quietschend öffnete. Ich trat ein und begutachtete die hohe Halle. Sie erinnerte mich ein wenig an die Eingangshalle des Hotels in Athen, denn auch hier war die Decke mit Säulen gestützt. Nur war diese nicht annähernd so prunkvoll, wie die in Athen. Mir gefiel es sehr und ich freute mich schon, den Rest der Schule zu sehen.
Erst als Isa mich zu einem Blackboard führte, erwachte ich aus meinen Gedanken und erst jetzt bemerkte ich, wie mich einige jüngere Schüler seltsam beäugten. Ich schluckte, beschloss aber, mir nichts anmerken zu lassen und blendete die Blicke, die sich mir in den Nacken bohrten, aus. „Och nö! Warum muss ausgerechnet die schlimmste Mathelehrerin der Schule unsere Klassenleiterin werden!", jammerte Isabella. „Und dann auch noch Dienstag in den ersten beiden Stunden Englisch bei Miss Linton! Die ist ja okay, aber eine Doppelstunde Englisch..." „Miss Linton?", fragte ich. „Jaaa?", sagte Isa gedehnt. „Ich kenne ihren Mann!" „Echt?" Isa schaute mich verwirrt an. „Ja. Lange Geschichte..." Jetzt wollte sie natürlich erfahren, wie ich ihn kennenlernte und so erklärte ich ihr alles, bis es zum Unterrichtsbeginn läutete.
In der ersten Stunde hatten wir Mathe. Und zu allem Übel, war unser Klassenzimmer im zweiten Stock. Im Südflügel. Das hieß brüllende Hitze und das schon am Morgen. Isa und ich setzten uns in die zweite Reihe und ein stark geschminktes Mädchen setzte sich mit ihrer Freundin, deren Gesicht fast genauso stark volltapeziert war wie ihres neben sie. „Hallo, du bist neu oder? Ich bin Elena.", sagte das Mädchen, das direkt neben mir saß auch sofort, kurz nachdem sie sich hingesetzt hatte. Sie sprach so hochnäsig, dass sie mir sofort unsympathisch war. Trotzdem sagte ich: „Hi! Ich bin Jessica." Weil ich keine Lust auf ein Gespräch mit ihr hatte, wandte ich mich ab und wollte mich gerade weiter mit Isa unterhalten, als Elenas nervige Stimme erneut ertönte: „Iiisaaa!" „Was ist, Elena?", fragte Isabella genervt. „Warum warst du in den Ferien nicht auf meiner Party? Ich hätte mich seeehr über deine Anwesenheit gefreut!" Elena blickte sie mit Welpenblick an und schob die Unterlippe vor. Man könnte meinen, das sähe niedlich aus, in meinen Augen war es einfach nur affig. Auch Isa schien das zu denken, denn sie rollte mit den Augen und antwortete: „Ich hatte keine Zeit." „Wieso? Was gab es denn wichtigeres, als meine Party?" „Ich hab mich mit Jessie getroffen." Jetzt schaute Elena herablassend zu mir und brach dann in Gelächter aus. Ihre Lache klang so gekünstelt, dass man meinen könnte, sie wäre eine lebensechte Barbie. So plötzlich wie sie angefangen hatte, wurde sie auch wieder ernst und sagte: „Dieser Pumuckel ist dir wichtiger, als eine Party von Elena Ratonowa?" Gekränkt schaute sie Isabella an und mich visierte sie mit einem Todesblick, der Wasser zum Gefrieren bräche. Toll! Jetzt hatte ich mir schon am ersten Schultag eine Feindin gemacht!
Plötzlich knallte es laut und eine schon etwas ältere Dame stürmte ins Klassenzimmer. „Aufstehen!", rief sie. „Ich bin Miss Wagner! Eure Klassenleitung und Mathelehrerin für dieses Jahr! Erstmal guten Morgen!"
„Guuteeen Mooorgeeen Miss Wagner!", sagte die Klasse im Chor und setzte sich. „Bevor wir mit dem Wesentlichen beginnen, soll sich die Neue aus der Klasse vorstellen! Miss Oannes, stehen Sie doch mal auf!" Isa stupste mich an und ich erhob mich langsam von meinem Stuhl. „Ah, da sind Sie ja!" Sie blickte mich über den Rand ihrer Brille an und sagte dann genau das, was ich nicht hören wollte: „Kommen Sie doch nach vorne, um sich vorzustellen." Fast teuflisch grinste sie und wies mir mit einer Handbewegung den Weg zur Tafel. Ich stakste vor die Klasse und begann leise: „Ich bin Jessica Oannes aber - " „Lauter!", wies sie mich an und deutete mit ihrer Hand an ihr Ohr. Ich stöhnte und sagte erneut, ein bisschen lauter: „Ich bin Jessica Oannes, aber die meisten nennen mich nur Jessie. Ich komme aus Atla - äh Athen und wohne seit Anfang der Ferien bei meinem Vater hier auf Kreta." Ich wusste nicht was ich sonst noch sagen könnte, also schwieg ich. „Na gut, mehr über Sie werden wir wohl heute nicht mehr erfahren. Setzen Sie sich!", befahl Miss Wagner. Ich wusste auf jeden Fall, wer nicht mein Lieblingslehrer werden würde.

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