Kapitel 34
Sam kam völlig k.o. von der Arbeit nach Hause. Er schloss die Tür hinter sich und rief: „Hallo, Jessie! Ich bin wieder da!" Dann ließ er sich erschöpft auf das Sofa fallen und wartete darauf, dass sie runterkam. Aber nichts geschah. Verwundert erhob er sich und stieg langsam die Treppen hinauf. Vor Jessicas Zimmertür blieb er stehen und klopfte zaghaft. Nichts rührte sich und Sam fühlte, dass Jessie so schnell nicht wiederkommen würde. Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und machte einen kleinen Schritt in den Raum. Er fühlte sich unwohl dabei, seiner Tochter hinterher zu schnüffeln, aber vielleicht gab es ein Anzeichen, wo sie sein könnte, auch wenn er schon eine dunkle Vorahnung hatte. Er verdrängte diese und hoffte auf eine Nachricht von ihr, dass sie heute bei Isa übernachten würde. Aber nichts dergleichen fand er in ihrem Zimmer vor.
Also verließ er es wieder und ging niedergeschlagen zurück nach unten. Dort schaute er auf dem Küchentisch nach, ob nicht dort noch ein kleines Zettelchen zu finden ist, aber Sam wurde erst an seinem Schreibtisch fündig.
Dort lag nämlich ein knittriges Stück Papier. Er nahm es in die Hand und las, die mit schön geschwungener Handschrift geschriebenen Zeilen durch. Er wusste sofort, dass sie zu ihrer Mutter zurückgekehrt war, aber warum? Was war vorgefallen? Gab es wieder Stress mit Liam?
Verzweifelt zerknüllte Sam das Briefchen, so wie es seine Tochter ein paar Stunden zuvor auch gemacht hatte. Er zwang sich ruhig zu bleiben und er vertraute darauf, dass Jessie zurückkehren würde. Vorerst.
*
Nachdem ich Aurelia mein Herz ausgeschüttet hatte, fühlte ich mich viel besser. Sie war meine Mutter, sie verstand mich. Ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen, hörte sie zu. Als ich fertig war, nahm sie mich einfach in den Arm. Diese Geste allein reichte aus, dass ich mich wieder völlig wohl fühlte. „Danke!", sagte ich ehrlich und lächelte dankbar. „Gerne, mein Schatz!", erwiderte meine Mutter, mit ihrer wunderbar ruhigen und sanften Stimme. Ich kuschelte mich näher an sie heran, als wir plötzlich unterbrochen wurden. „Jessie!", rief Caro fröhlich und schwamm stürmisch auf uns zu. Sie warf sich neben mich auf die Couch und umarmte mich kräftig. „I..krieg..kei....Luft!", krächzte ich. „Oh! Das tut mir leid!", kicherte sie, ließ aber schnell los. Sofort sog ich einen großen Schwall Wasser durch meine Kiemen und sagte dann: „Caro! Wie geht es dir?" Sie antwortete: „Super! Deine Mutter ist wirklich eine tolle Freundin! Und dir?" „Naja...eigentlich gut, aber in der Schule hatte ich ein paar Probleme." „Echt?" Besorgt musterte sie mich. „Also mit einem Jungen und einem Mädchen." „Liam - also der Junge - er wollte etwas von mir, aber ich war für ihn noch nicht bereit, wegen James. Ich habe dann zu ihm gesagt, dass es besser wäre, wenn wir uns nicht mehr sehen würden, aber er war damit so unglücklich, dass er immer wieder zurück zu mir kam. Noch dazu kam er mit mir in eine Klasse. Ein Mädchen namens Isa - eine Freundin von ihm und jetzt auch von mir - sollte mich besuchen und mit mir alles wegen dem Unterricht besprechen und Liam kam mit ihr mit. Wir zwei vertrugen uns, hatten aber ab dann eine recht distanzierte Freundschaft. In der Schule dann, begleitete er mich vom Klassenzimmer zur Kantine und seine Ex Elena hat uns gesehen und wurde eifersüchtig. Sie bedrohte mich schließlich und verlangte von mir, Abstand von Liam zu halten, aber ich sagte es Liam und er schlug Elena auf dem Schulflur. Als ich es mitbekam, rannte ich weg, schrieb Sam eine Nachricht und kam sofort hier her." Auch Caro hörte geduldig zu und sagte dann: „Aber du gehst dann schon wieder zurück oder?" „Willst du mich etwa gleich schon wieder loswerden?", fragte ich gespielt beleidigt. „Nein, ich nicht, aber James!", sagte sie ernst. Caro war bisher immer ausgelassen und fröhlich gewesen, aber jetzt war sie so ernst und ruhig, dass ich es mir wirklich zu Herzen nahm. James wollte mich also wirklich töten! Langsam beschlich mich das Gefühl, dass es besser gewesen wäre, wenn ich auf Aurelia gehört hätte und nicht mehr zurückgekommen wäre. „Und was soll ich jetzt tun?", fragte ich. „Wir warten erst einmal ab!", beschloss Aurelia. Ich nickte, war aber immer noch unschlüssig. Vielleicht war es doch besser, sofort wieder zurück zu Sam zu gehen. Ich wollte es gerade sagen, als vor der Tür eine dunkle Männerstimme donnerte: „Na Aurelia? Ist deine ach so tolle Tochter immer noch nicht zurückgekehrt?" Scheiße! Aurelia bedeutete mir, still zu sein und flüsterte: „Schwimm ins Schlafzimmer und versteck dich im Schrank!" Ich gehorchte und schwamm panisch dorthin und zwängte mich in den dunklen Schrank. Dort verharrte ich und konzentrierte mich auf meinen Herzschlag.
*
Aurelia schwamm zur Tür und sagte genervt: „Ach hallo James! Willst du mich schon wieder bei meiner Arbeit stören?" „Was machst du denn gerade? Darf ich zuschauen? Er zwängte sich an Aurelia vorbei und sah dort Caro die am Tisch ein paar Fläschchen begutachtete. Die beiden ignorierten sich vollkommen und Aurelia sortierte die Medikamente weiter in den Küchenschrank ein. James schaute für 30 Sekunden hin, dann murmelte er: „Sie ist also wirklich nicht da! Dann muss ich zur Sicherheit wieder vor dem Haus Wache halten!" Er zuckte die Schultern und wollte gerade wieder hinausschwimmen, da rief Aurelia zornig: „Nein, das wirst du nicht! Du belästigst uns die ganze Zeit! Was liegt dir daran, meine Tochter wieder zu haben? Du machst sie doch nur unglücklich!" James schrie wütend: „Ich will mich rächen! Keiner hat mich je so bloßgestellt, wie Jessie! Und dafür wird sie büßen!" „Du bist doch krank!", spuckte Caro förmlich aus und blitzte ihn giftig an. James wandte sich ab und haute ab.
„Hoffentlich kommt er so schnell nicht wieder!", seufzte Aurelia. „Ich hoffe auch, aber leider ist das nicht sehr wahrscheinlich", meinte Caro.
Sie warteten noch eine Weile, bis sie sich sicher waren, dass James weg war und holten dann Jessica wieder aus dem Schrank.
Den ganzen Abend fürchteten sie, James möge zurückkommen, weswegen sie sich nur flüsternd unterhielten. Aber ihnen war sowieso die Lust vergangen und sie führten nur wortkarge Unterhaltungen.
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Tiefsee
FantasyJessica ist eine junge Nixe. Sie wohnt zusammen mit ihrer Mutter Aurelia in der wunderschönen Unterwasserstadt Atlantis. Als ihr Freund James ihr einen Heiratsantrag macht, wirft es ihr Leben erstmal aus der Bahn. Und plötzlich benimmt sich ihr Verl...