8. Kapitel

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"Es ist vorbei."

Selten hat mich dieser Satz so erleichtert. Aber sein Blick dabei verunsichert mich auch. Irgendetwas stimmt nicht.

"Ist alles in Ordnung?", frage ich.

"Du warst sehr schnell. Du warst eigentlich doppelt so schnell wie die anderen."

"Aber das ist doch gut, oder nicht?, fragte ich.

"Generell schon... Trotzdem. Na ja, egal. Herzlich Willkommen bei den Initianten der Ferox, Four.", sagt er nachdenklich.

"Four?"

"Ja, dein neuer Name. Wegen deinen ausgesprochen wenigen Ängsten."

"Ach so. Aber warum sollte ich einen neuen Namen brauchen?", frage ich.

"Weil es nicht gut ist, wenn jeder weiß, dass der Sohn von Marcus Eaton hier ist, findest du nicht auch? Außerdem passt er gut zu dir."

"Du hast recht. Danke."

Als ich aufstehen will knicken mir fast meine Beine weg.

"Hey, mach langsam. Du hast gerade zum ersten Mal deine Ängste erlebt. Lass dir Zeit.", meint Amar nur.

Ich kann nicht glauben, was ich gerade erlebt hatte. Ich habe selten so viel Angst gespürt. Doch die Angst hat mich noch nicht losgelassen. Ich spüre sie tief in mir immer noch. Ich kann mich an jeden einzelnen Moment der Angstlandschaft erinnern. Aber vor allem die letzte Situation hat mich noch nicht losgelassen. Immer wieder und wieder sehe ich meinen Vater vor mir, den Gürtel in der Hand. Mein Rücken brennt, obwohl ich mir sicher bin, dass er unversehrt ist.

Endlich, nach gefühlten zwei Stunden, habe ich mich wieder genug gefasst um aufzustehen. Amar geht vor mir her. Er bringt mich durch eine Hintertür in einen Raum, in dem schon die restlichen Initianten sitzen und warten.

"Alle Initianten, die vorher nicht bei den Ferox waren, kommen mit mir. Der Rest wartet noch. Ihr werdet gleich abgeholt.", sagt Amar.

Einige Leute stehen daraufhin auf und folgen ihm einen dunklen Gang hindurch. Wir schweigen. Teilweise kann ich nichts mehr sehen, denn der Abstand zwischen den Lichtern, die an der Wand hängen, recht groß ist. Ich fühle mich so orientierungslos wie schon lange nicht mehr. Wo führt er uns bloß hin?

"Wir werden jetzt in die Grube gehen."

Die Grube? Was ist das bloß für ein Ort? Auch die anderen scheinen recht verunsichert zu sein. Dann ist der dunkle Tunnel zu Ende. Amar stößt eine breite Flügeltür auf und wir gehen in den Raum. Das muss die Grube sein! Die Bezeichnung passt wie die Faust aufs Auge. Wir stehen in einer unterirdischen Höhle. Ich kann das Ende nicht sehen. Sie ist gigantisch! Die Felswände sind haushoch und sehr uneben. In die Steinwände wurden große Nischen für Speisen, Kleidung, Vorräte und diverse Freizeitbeschäftigungen eingehauen. Sie werden von schmalen Stegen und Treppen miteinander verbunden. Und nirgendwo war ein Geländer zu sehen. Als ich zum Dach hinaufschaue sehe ich, dass es aus Glas besteht. Darüber scheint ein Gebäude zu sein, von dem aus Licht in die Grube hereinfällt.

Überall hängen blaue Lampen, die Kugeln ähneln. Je dunkler es draußen wird, umso heller scheinen sie zu leuchten. Und überall sind schwarzgekleidete Ferox. Es laut. Viel zu laut um es zu beschreiben. Temperamentvoll und fröhlich rufen alle durcheinander. Es ist das komplette Gegenteil von der Siedlung der Altruan, in der es immer still und höflich zuging. Aber das ist gut so.

Kleine Kinder spielen und laufen quer durch den Raum. Sie scheinen so frei. So unbeschwert. Hier bin ich richtig.

"Jetzt zeige ich euch die Schlucht", ruft Amar.

Er geht mit uns zum rechten Rand der Grube. Es ist dort dunkel und ich versuche vergeblich etwas mehr als nur ein Geländer.  

Als wir direkt davorstehen , merke ich, dass der Boden dort plötzlich endet. Das Rauschen, dass kaum zu überhören ist, kommt anscheinend von Wasser, dass gegen den Fels donnert. Direkt vor uns, hinter dem Geländer, befindet sich ein Fluss. Er liegt tief unter uns und ich bekomme schon wieder das beklemmende Gefühl in meiner Brust, als würde ich nicht genug Sauerstoff aufnehmen können. Der Fluss scheint auf der linken Seite ruhig zu sein, doch auf der rechten spritzt das Wasser in unregelmäßigen Abständen bis nach hier oben.

"Dieser Fluss soll uns daran erinnern, dass der Unterschied zwischen Tapferkeit und Dummheit sehr gering ist.", schreit Amar. Trotz seiner Bemühungen kann ich seine Stimme nur mit Mühe hören.

"Wenn ihr von hier ins Wasser stürzt, seit ihr sofort tot. Das ist schon öfter passiert und es wird noch öfter vorkommen. Ihr seid von nun an gewarnt."

Amar führt uns quer durch die Grube auf ein Loch in der Wand zu. Als wir hindurchgehen muss ich blinzeln, da mich das plötzliche Licht blendet. Dann erkenne ich, dass wir in einem Speisesaal stehen. Er ist schon ganz gut gefüllt. Stimmengewirr und klapperndes Geschirr lassen die Lautstärke des Raums sehr ansteigen.

Nachdem wir eingetreten sind, stehen die Ferox auf, klatschen, rufen und trampeln mit den Füßen. Dann sehe ich mich nach einem freien Platz um. Ein Tisch am Rand scheint fast ganz leer zu sein. Ich setze mich. Kurz darauf merke ich, wie jemand neben mir ist. Erstaunt sehe ich Eric. Er grinst.

"Du hast mir immer noch nicht deinen Namen verraten", meint er.

"Ich bin Four."

"Wie die Zahl? Dein Ernst?!"

"Ja.", antworte ich. Ich weiß noch nicht, was ich von ihm halten soll. Er macht mich nervös.

"Also gut. Du bist also der Stiff, richtig?", bohrt er weiter.

"Wieso fragst du etwas das du schon längst weißt? Welche andere Fraktion trägt denn sonst noch grau?" Er ist mir definitiv unsympathisch.

"Ich wollte nur freundlich sein."

Und ich bin für den Krieg der Menschen vor den Fraktionen verantwortlich, schon klar. Ich mag solche Leute nicht. Also schweige ich bloß und fange an zu essen.

Tobias' GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt