26. Kapitel

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Phase zwei der Initiation ist vorbei. Ich habe nicht gedacht, dass die erste vielleicht sogar noch die einfachste der Initiationsphasen sein könnte. Sie forderte alles von einem. Man lernte zu kämpfen. Nicht nur das. Man wurde jemand anderes. Man hat sich verändert. Auch in der zweiten Phase. Man wurde kälter. Härter. Tödlicher.

 Man fühlt sich stark. Man fühlt sich unbesiegbar. Bis zu Phase zwei. Dann merkt man, dass man sterblich ist. Schwach. So fühlt man sich jeden einzelnen Tag. Weil man jeden Tag vor Augen geführt bekommt, was man nicht kann. Wovor man Angst hat. Was einen nicht unbesiegbar sein lässt. Was einen menschlich macht.

 Und man wird wütend. Meistens auf einen selber. Man zweifelt. Jeder hat einen anderen Weg, mit seinen Ängsten umzugehen. Manche lassen sie verbal an anderen Leuten aus. Manche fressen alles in sich rein. Einige machen sich etwas vor und greifen auf das altbewährte Mittel der Verdrängung zurück. Das ist meine Variante. Ablenkung. Wahrscheinlich nicht die beste, aber sie hilft. Wenn auch nur so lange, wie man die Illusion aufrecht erhalten kann.

 Ich versuche mich mit so ziemlich allem davon abzulenken. Meistens mit Training. Davon bekomme ich einen klaren Kopf. Es entspannt mich, gibt mir Kraft. Aber auch diese Kraft bleibt nicht sonderlich lange.

 Vor allem in den zwei Tagen zwischen der zweiten und dritten Phase fällt es mir schwer. Gestern wurde unser Ranking verkündet. Ich bin diesmal erster. Dicht gefolgt von Eric. Er ist sauer, das weiß ich.

 Zum gefühlten hundertsten Mal laufe ich schon wieder den Gang auf und ab. Hin und her. Immer wieder im selben Rhythmus. Ich habe nichts zu tun. Absolut gar nichts.

 Es ist keine Langeweile, die mich dazu antreibt immer auf und ab zu gehen, eher eine innere Unruhe. Ich weiß nicht, wo die anderen Initianten sind, aber Shauna, David und Zeke sind wahrscheinlich bei ihren Familien. Sie sehen sie sowieso viel zu selten.

 Also laufe herum. Eigentlich könnte ich Tori mal wieder einen Besuch abstatten. Ich will mir ein neues Tattoo stechen lassen.

 Also gehe ich in das Studio. Es ist ziemlich leer, nur Tori ist da. Überrascht blickt sie mich an als sie mich bemerkt.

 "Kann ich dir helfen, Four?", fragt sie.

 "Ich wollte dich um einen Gefallen bitten."

 "Und der wäre?"

 "Würdest du mir das Zeichen der Altruan tätowieren?" Ich bin verunsichert. Es ist nicht üblich, dass Fraktionswechsler über ihre alte Fraktion sprechen, geschweige denn ihr Symbol sich auf den Rücken tätowieren lassen. Aber das Studio ist leer.

 Sie nickt. Dann deutet sie auf den Stuhl und ich ziehe mein T-Shirt hoch nachdem ich darauf Platz genommen habe.

 "Wo willst du es denn hinhaben?", fragt sie mich.

 "Direkt unter dem Symbol der Ferox."

 Sie beginnt mit der Arbeit. Es schmerzt nicht wirklich, eher wie ein kleines nerviges Piksen. Dann stoppt sie, holt einen Spiegel und zeigt es mir. Zwei Hände, die sich berühren, umrahmt von einem Kreis.

 "Danke, Tori", sage ich. Ich bin ihr wirklich dankbar. Es wird mich daran erinnern, wer ich war. Und wer ich jetzt nicht mehr bin.

 Schnell verlasse ich das Studio wieder und gehe zum Speisesaal. Eigentlich müsste es blad Mittagessen geben. Doch zu wem soll ich mich setzen? Die drei Ferox-Initianten haben mir schon im Voraus gesagt, dass sie bei ihren Familien sitzen würden.

 Ich betrete ihn. Es duftet herrlich nach Essen. Heute ist Samstag. Das heißt, heute gibt es Schokoladenkuchen als Nachtisch. Der Schokoladenkuchen bei den Ferox ist mit nichts zu vergleichen. Einfach nur lecker. Selten habe ich etwas besseres gegessen.

Tobias' GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt