20. Kapitel

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 Meine Hände zittern. Heute ist der Kampf. Mein Kampf. Gegen Eric. Ich weiß nicht wie ich mir die Zeit bis dahin vertreiben soll. Ich liege in meinem Bett. Starre an die Wand. Zumindest glaube ich, dass dort die Wand ist. Im Hauptquartier kann es wahnsinnig dunkel sein. Ich sehe nur schwarz. Wie kann ich Eric besiegen? Bin ich überhaupt in der Lage dazu? Ich weiß es nicht. Und das macht mich verrückt. Ich muss es wissen. Aber ich werde es erst in ein paar Stunden erfahren. Wahrscheinlich werde ich bis dahin komplett durchdrehen. Oder sterben. Oder beides. Wenigstens müsste ich dann nicht mehr kämpfen. Ich kann nicht mehr reglos in meinem Bett liegen. Es macht mich fertig. Ich kann es nicht. Also stehe ich auf. Versuche dabei aber möglichst nicht die Anderen zu wecken. Leise schleiche ich aus dem Zimmer und gehe zum Speisesaal. Er ist noch vollkommen leer. An der Uhr, die an der Wand hängt, sehe ich, dass es erst halb sechs ist. Viel zu früh für zum Aufstehen für einen Ferox. Ich laufe langsam durch die Gänge. Sie kommen mir mittlerweile so vertraut vor, so heimisch. Ich kenne mich aus. Zumindest an den meisten Stellen. Das hätte ich nie gedacht. Vor wenigen Tagen war ich noch ein Altruan. Ein unscheinbarer Junge mit einem recht bekannten Vater. Einen nicht besonders netten Vater. Ich war ein Junge, der nicht wusste, wer er war. Ich war Tobias Eaton. Der Feigling. Der Verlierer. Aber er ist tot. Zumindest so gut wie.

 "Nein, ist er nicht!" Na toll. Der hatte mir jetzt auch noch gefehlt. Hau doch einfach ab.

 "Haha, das wünscht du dir wohl, was? Träum weiter! Du bist noch lange kein anderer Mensch, nur weil du anders heißt. In Wahrheit bist du nämlich immer noch der kleine Junge. Du bist Nichts! Ein Niemand! Du kannst nicht ändern wer du bist. Denn du bist mein Sohn. Mein. Du gehörst mir! Gehörtest mir schon immer! Seit dem tragischen Tod deiner Mutter. Du bist mein Eigentum. Und Eigentum kann man mir nicht so einfach wegnehmen, das solltest du inzwischen ja wissen."  Das stimmt nicht! Ich bin nicht dein Sohn. Nicht mehr! Du bist nicht mehr mein Vater. Das hast du nicht verdient. Du bist der Niemand, der Nichtsnutz. Du hast mir gar nichts zu sagen! Ich bin zu den Ferox gegangen, um vor dir Ruhe zu haben! Nicht mal das lässt du mir. Aber du irrst. Ich bin schon lange nicht mehr der kleine Junge, den du immer in mir gesehen hast! Verschwinde! Ich muss dir nie wieder gehorchen! Ich werde dich nie wieder sehen!

"Du bist derjenige der irrt. Wie heißt so ein schönes Sprichwort doch gleich? Man sieht sich immer zweimal im Leben, nicht wahr? Ich werde gespannt darauf warten. Um dich dann vor mir im Dreck knien zu sehen! Ich wollte immer nur das Beste für dich. Ich habe nicht gedacht, dass du es mir so dankst! Du bist eine Schande. Und ich bin froh darüber dich nicht mehr meinen Sohn nennen zu müssen. Denn das ist es, was du nicht verdienst!"

 Er ist wieder weg. Zum Glück. Doch für wie lange? Ich muss aufhören mir Gedanken darüber zu machen! Er hat mir gar nichts zu sagen. Mein Vater, nein, Marcus hat es so verdient. Ich werde mich noch an ihm rächen. Doch das muss warten. Erst muss ich die Initiation schaffen! Doch wie?

 "So, als nächstes Eric und Four!"

 Amar nickt mir beruhigend zu. Ich bin an der Reihe. Den ganzen Morgen schon war ich nervös. Sogar David und Shauna haben das bemerkt. Als sie mich darauf angesprochen haben, habe ich nur schnell das Thema gewechselt. Genauso als Zeke mich nach meinem Erinnerungsvermögen fragte. Es geht sie nichts an. Ich kann ihnen nicht vertrauen. Darf ihnen nicht vertrauen. Denn alles was ich von mir preisgebe kann mir zum Verhängnis werden. Also lieber der geheimnisvolle Typ, als der Typ dessen Vater ihn geschlagen hat.

 Langsam trete ich in den Kreis. Ich bin entschlossen. Ich werde diesen Kampf gewinnen. Eric steht mit erhobenen Fäusten vor mir. Er wird den Anfang machen. Das macht er immer. Bis auf heute. Wenn er mal nicht beginnt, dann verwirrt ihn das. Schnell schlage ich zu und Eric wehrt ihn ab. Er setzt zu einem Konter an, doch ich ducke mich schnell unter seinem Arm hindurch. Wir umkreisen uns. Ich versuche auf seine Körperhaltung zu achten, darauf, wie er sich bewegt, wie er kämpft. Seine Deckung ist nicht schlecht, doch er hat eine Schwachstelle. Eine winzig kleine Schwachstelle. Und wenn ich diese Schwachstelle ausnutzen kann, dann habe ich gewonnen. Eric macht einen Schritt auf mich zu, ich weiche nach rechts aus. Er versucht mich mit einem Schlag gegen den Bauch zu treffen, doch ich kann ihn abwehren. Ich sehe meinen Vater vor mir. Ich werde wütend. Ich will diesen Kampf gewinnen, doch ich darf die Kontrolle nicht verlieren. Sonst funktioniert es nicht. Mit einem starken Tritt gegen sein Knie bringe ich ihn zum Schwanken, doch er steht noch. Nach kurzer Zeit hat er sich wieder gefasst und auch in seinen Augen glitzert nun die Wut. Aber niemand kann wütender werden als ich! Ich warte seinen nächsten Zug ab. Als er nach mir schlägt, drehe ich mich zur gleichen Zeit weg, tauche unter seinem Arm hindurch und verpasse ihm einen festen Tritt in seine Magengrube. Dann ziele ich auf seinen Hals, doch er duckt sich und mein Schlag trifft sein Gesicht. Meine Hand gibt ein lautes Knacken von sich. Ein Schmerz zieht meinen ganzen Arm hoch, doch ich verziehe nicht einmal das Gesicht. Schmerzen ertragen kann ich, das wurde mir beigebracht. Schnell ramme ich meinen Ellenbogen in sein Gesicht und er geht zu Boden, doch er zieht mich mit. Schwer atmen liegt er auf mir. Ich kann mich kaum noch bewegen, er ist viel zu schwer. Langsam schiebe ich mich unter ihm hervor. Er kann so etwas nicht mit mir machen! Ich trete auf ihn ein, während er noch am Boden liegt. Er ergibt sich nicht. Wieso nicht? Blut quillt aus seinem Mund. Ein Zahn liegt vor ihm auf dem Boden. Anscheinend habe ich Eric ihn ausgeschlagen. Dann ist der Schmerz, den ich immer noch in meiner Hand spüre, nicht um sonst. Warum wird er nicht bewusstlos? Ich höre auf. Das ist nicht mehr in Ordnung. Kontrolle. Ich darf auf keinen Fall die Kontrolle wieder verlieren. Langsam atme ich aus. Nur mühsam kann ich mich davon abbringen. Alle starren mich an. Ich habe gerade Eric besiegt. Eric, der noch keinen einzigen Kampf verloren hat, der an der Spitze des Rankings steht. Der jetzt vor mir auf dem Boden liegt. Der besiegt wurde. Von einem ehemaligen Stiff. Von mir.

 Langsam verlasse ich den Ring. Sie starren mich weiterhin an. Ich sehe viele Emotionen in ihren Augen. Bewunderung. Freude über Erics Niederlage. Ehrfurcht. Und Angst. Angst vor mir. Sie alle haben gesehen wozu ich in der Lage bin. Ich hatte Spaß dabei, Eric zu schlagen. Es hat mir nichts ausgemacht. Ich hatte keine Skrupel, wie bei Julia. Ich habe mich dafür gehasst sie zu verletzen. Ich habe mich selbst verabscheut. Mich als einen Idioten bezeichnet. Als einen Mädchenschläger. Aber heute war es anders. Ich habe mich mächtig gefühlt. Unbesiegbar. Als könne nichts und niemand mir etwas anhaben. Es war wie ein Rausch. Ich habe jeden einzelnen Schlag gespürt. Nicht gedacht. Getan. Einfach auf meine Instinkte gehört. Ich war wie ein wildes Tier. Zornig. Eiskalt. Ich hätte ihn getötet. Aber ich habe mich kontrolliert. Denn das ist es, was mir Angst macht. Ich musste mich kontrollieren einen Menschen nicht zu töten. Ich wollte , dass er Schmerzen verspürt. Dass er leidet. Er sollte für etwas bezahlen. Er sollte für Marcus bezahlen. Ihm sollte es schlecht gehen. Es tut mir aber nicht leid. Ich verspüre nicht das geringste. Ich bin wieder kalt. Tot. Und doch am Leben. Ich denke nicht mehr. Ich reagiere. Ich bin wie ein Tier. Nein. Ich bin so viel schlimmer. Ein Tier will nur überleben oder sich verteidigen. Ich will Leid sehen. Will Schmerz sehen. Ich will töten. Ich bin viel schlimmer. Ich bin ein Killer. Und was mich am meisten erschreckt: Ich bin wie Marcus.

Tobias' GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt