19. Kapitel

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 Jeden Abend treffe ich mich jetzt mit Shauna und wir trainieren zusammen. Ich habe nie damit gerechnet, dass es mir sogar Spaß machen könnte. Zeke fragt sie jeden Tag danach aus. Zum Glück hat sie seit dem ersten Mal nichts ähnliches mehr gemacht. Ich weiß echt nicht wie ich darauf reagiert hätte. Wir sprachen das Thema nicht mehr an und ich bin froh darüber.

 Heute ist Besuchstag, deswegen fällt das Training aus. Wir sind gerade auf dem Weg in die Grube, in der uns unsere Eltern schon erwarten. Zumindest die, die ihren Kindern den Wechsel verzeihen. Ich weiß nicht wieso ich eigentlich hier bin. Mein Vater wird nicht kommen. Ich bin ihm egal. Und er mir. Sollte er zumindest. Ist es verrückt wenn es nicht ganz stimmt? Ich gehe als einer der Letzten durch die große Flügeltür, die weit offen steht. Es sind ziemlich viele Leute hier. Die meisten sind von den Ken und den Candor. Ich schaue mich um. Kein bekanntes Gesicht zu sehen. Erleichtert atme ich auf. Er ist nicht gekommen. Eine Hand packt mich an der Schulter. Erschrocken drehe ich mich um und schaue ihn an. Ich dachte er wäre nicht gekommen! Ich hatte es gehofft.

 "Was willst du hier?", frage ich kalt.

 "Meinen Sohn besuchen." Seine blauen Augen blicken mich abschätzend an.

 Welcher Sohn?

 "Können wir unter vier Augen reden?", fragt er  mich. Widerstrebend nicke ich und gehe ihm langsam voraus. Durch die Flügeltür und in einen kleinen Gang, der ein wenig abseits liegt.

 "Was willst du?", frage ich erneut.

 "Dich dafür bezahlen lassen was du mir angetan hast. Und meinem Ruf. Meiner Fraktion. Alle sind wegen deinem komischen Freund beleidigt worden. Keiner vertraut uns mehr. Und das haben wir alle dir zu verdanken!" Er schweigt einen Moment. Seine Augen sind so kalt. Sie waren noch nie so verdammt kalt. Er muss wirklich wahnsinnig wütend zu sein.

 "Ich glaube da solltest du dich nicht bei mir beschweren", flüstere ich leise.

 "Was hast du gesagt?!" Er brüllt mich an. Seine Hand hebt sich und bleibt einen Moment lang in der Luft stehen, bevor sie anfängt zu zittern.

 "Ich habe das alles nur für dich getan, Tobias. Für dich. Damit du stark wirst. Damit du gut wirst." Ich glaube es nicht. Mein Vater muss eine vollkommen irregeleitete Auffassung von gut und stark haben. Denn ich bin nicht stark. Er hat mich beleidigt. Mich misshandelt. Mich fast gebrochen. Aber auch nur fast.

 Ich schüttel den Kopf. "Nein, das hast du nicht. Ein guter Vater findet andere Wege um seinen Sohn stark zu machen. Du brauchtest einfach nur jemanden, an dem du deinen Frust auslassen konntest. Der sich nicht wehren würde. Den hast du gefunden. Und jetzt musst du jemand anderen finden. Denn ich gehöre nicht mehr dir. Ich bin nicht mehr dein Spielball, den du herum schubsen kannst wie du es möchtest. Ich bin frei. Frei von dir."

 Seine Hand zittert immer noch. Vielleicht, ja vielleicht gibt es in ihm immer noch einen kleinen Teil der mein Vater ist. Ein wahrhaftig liebender Vater. Und vielleicht gibt es in mir noch einen Teil der sein Sohn ist. Sein gehorchender Sohn. Ich blicke ihn kühl an.

 Dann saust seine Hand auf meine Wange. Vielleicht habe ich mich auch geirrt. In diesem Mann gibt es keine Liebe, kein Herz, kein Mitgefühl. Dieser Mann ist aus Beton. Kalter Beton. Als ich mir die Wange halte, spüre ich, wie sich etwas in mir regt. Etwas bricht. Die Mauer.

 Ich habe eine Abrissbirne gewollt. Ich wollte meine Vergangenheit wieder. Ich wollte wieder ich selbst sein. Und in dem Moment, als ich in seine kalten Augen starre, bricht alles auf mich ein. Die vielen Male, die er mich geschlagen hat. Ich weiß es wieder. Ich erinnere mich an jedes noch so kleine Detail aus meinem Leben. Ich starre ihn geschockt an. Wie kann dieser Mann nur so herzlos sein? Ich war ja schon vorher der Meinung, dass er aus Beton sein muss, aber dass er so kalt ist, hätte ich nicht gedacht.

Tobias' GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt