38. Kapitel

454 26 6
                                    

 David und Shauna. Das ist wirklich unerwartet. Allerdings freue ich mich für die beiden. Sie sind ein süßes Paar und ergänzen sich toll. Shauna mit ihrer lauten, offenen Art und David, der eigentlich das komplette Gegenteil darstellt. Der Zug rauscht unnatürlich laut an mir vorbei. Es gefällt mir, den Zugwind zu spüren, wenn er mit einer solchen Kraft und Geschwindigkeit vorbeifährt. Es gibt mir das Gefühl von Kontrolle. Ein Gefühl, dass ich meiner Meinung nach viel zu selten verspüre. Vielleicht bin ich ja ein Kontrollfreak, aber es tut mir gut zu wissen, dass man etwas komplett beherrscht. Hier ist es beispielweise den Abstand zum Zug. Wenige Zentimeter mehr und ich berühre ihn. Obwohl das wahrscheinlich ziemlich unangenehm werden kann.

 Ich atme tief durch und laufe neben den Wagen her, um mich leicht hereinziehen zu können. Als ich endlich in der Tür stehe und die vorbeiziehende Welt betrachte, bin ich einfach nur zufrieden. Und glücklich. Zumindest fast. Ich will zu Lukas. Einfach mal mit ihm reden, so wie ich es schon immer getan habe, bevor wir unsere Initiation hatten. Ich brauche einen Freund. Zeke würde mir wahrscheinlich genauso gut helfen können, aber es ist schön, mal etwas mit anderen Leuten als mit Ferox zu machen.

 Zögernd stehe ich vor seiner Wohnungstür und klopfe vorsichtig an. Einen Moment lang passiert nichts, aber dann öffnet sich die Tür und ich blicke in das nervöse Gesicht von Lukas. Er sieht ziemlich unruhig aus und das gefällt mir nicht. Absolut gar nicht.

 "Ist alles in Ordnung bei dir?", frage ich ihn.

 Er schüttelt panisch den Kopf.

 "Was. Ist. Los."

 Wieder nur ein Kopfschütteln. Ich bin kurz davor ihn an den Schultern zu packen und kräftig durchzurütteln, als er endlich doch etwas sagt.

 "Nicht jetzt. Nicht hier. Wir treffen uns morgen am Riesenrad. Um halb zwölf. Komm nicht wehrlos." Mit diesen Worten schlägt er mir die Tür direkt vor der Nase zu. Irgendwas stimmt mit diesem Jungen nicht, das ist offensichtlich.

 Mir ist kalt. der Wind pfeift durch die leeren Gassen und hinterlässt eine unheimliche Stille. Das Gewehr, das ich mir umgeschnallt habe, drückt sich unangenehm in meinen Rücken. Wo bleibt er bloß? Angespannt schaue ich auf meine Uhr. Sie zeigt viertel nach zwölf.

 Plötzlich sind Schritte zu hören. Sie hallen unnatürlich laut auf dem kaputten Weg. ich ducke mich hinter eine der Gondeln und ziehe das Gewehr aus seinen Gurten. Dann halte ich vorsichtig Ausschau nach dem Besucher. Erleichtert lasse ich das Gewehr sinken und laufe langsam auf ihn zu, als ich die vertraute Silhouette von Lukas ausmache.

 Er begrüßt mich ähnlich beunruhigt wie am Vortag. Ständig dreht er sich immer wieder um, als würde er irgendwelche Verfolger suchen. Aber wieso sollte ihn jemand verfolgen?

"Jetzt sei ehrlich! Was ist los?", komme ich gleich zur Sache.

 Er seufzt ergeben. "Ich habe etwas herausgefunden. Die Ken und die Ferox..." Ein lauter Knall ertönt in dem sonst so stillen Stadtteil und hindert Lukas am weitersprechen. Sofort spannen sich alle meine Muskeln an und ich achte auf das kleinste Geräusch. Gegenüber von mir nehme ich eine schemenhafte Gestalt war. Ohne zu zögern ziele ich. Der Schuss ist laut und trifft sein Ziel. Erschreckend wie einfach das mittlerweile für mich ist. Wie natürlich. Die Person sinkt getroffen auf den Boden, nicht mal ein Schmerzensschrei kommt mehr über seine Lippen. Dann wende ich mich Lukas zu. Er steht zittrig auf den Beinen und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Seite. Er ist so blass. Wieso ist er so blass?

 Langsam sinkt er auf den Boden.

 "Lukas!"

 Seine Augen werden glasiger, sein Atem stockt.

Tobias' GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt