35. Kapitel

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 Schade. Ich habe echt nicht gedacht, dass David so leichtgläubig ist. Es ist immer wieder erschreckend, wie sehr ich mich getäuscht habe! Zögerlich hole ich den Brief aus meiner Jacke. Ich drehe ihn in den Händen nervös hin und her.

 "Und hier kann man sich wirklich ungestört unterhalten?", hake ich noch einmal nach. Sicher ist sicher.

 David verdreht die Augen. "Ja, doch!"

 Ich schaue auf den Brief und überreiche ihn vorsichtig. David faltet ihn auseinander, liest die Zahlenreihenfolge und zieht beide Augenbrauen in die Höhe. Dann schweift sein Blick wieder zu mir.

 "Und was soll ich damit anfangen?", fragt er mich.

 "Du sollst es entschlüsseln. Ich denke, dass dürftest du können. Dafür sollte dein IQ hoch genug sein. Oder bist du da anderer Meinung? Ich könnte auch sonst jemand anderen fragen. Vielleicht hat ja..."

"Schon gut, ich mache es. Außerdem glaube ich nicht, dass du jemanden hast, der es schnell und diskret lösen würde, oder? Sonst würdest du ja nicht den weiten Weg auf dich nehmen um hierher zu kommen. Du brauchst mich. Und wenn wir zu meinem IQ kommen..." Irgendwie war mir klar, dass er das nicht unkommentiert lässt. "Der ist mit großer Sicherheit um einiges höher als deiner. Du bist schließlich ein Ferox. Ein Killer. Aber das macht ja nichts. Du kannst ja nichts dafür, dass du einfach nur stumpfsinnig und grob bist. Du wurdest ja dazu ausgebildet!"

 In diesen Momenten würde ich ihm am liebsten den Hals umdrehen. Ich kann mich gerade noch daran hindern, aufzuspringen und ihm einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Wütend beiße ich die Zähne aufeinander. Sie knirschen ein wenig.

 In diesem Moment fällt mir etwas auf. Etwas, dass so offensichtlich ist, dass ich mich wundere, warum es mir nicht schon früher klar wurde. Mit einem Mal ist meine Wut so gut wie verraucht und ich starre ihn entgeistert an. Anscheinend merkt er es, denn er fängt an, vor meinem Gesicht herum zu schnipsen. Mit einer groben Handbewegung drücke ich sie nach unten.

 "Wann bist du fertig?", frage ich ihn schnell.

 Er zuckt mit den Schultern. "Ich denke so in ein bis zwei Tagen. Kommt darauf an wie komplex die Verschlüsselung ist. Aber dir zu erklären würde noch bedeutend länger dauern." Arrogant hebt er sein Kinn ein wenig an. Mit einem lauten Quietschen schiebe ich meinen Stuhl nach hinten und stehe mit einer flüssigen Bewegung auf. Dann laufe ich auf die Tür zu. Kurz bevor ich den Raum verlasse, drehe ich mich noch einmal um. David schaut mir gedankenversunken hinterher.

 "Wenn du fertig bist, lass es mich wissen. Schick eine Nachricht oder, falls du mutig genug sein solltest, komm selbst. Frag einfach dann im Hauptquartier nach mir. Irgendjemand weiß bestimmt, wo du mich finden kannst." Mit diesen Worten gehe ich aus der Tür raus und betrete den Fahrstuhl. Jetzt macht es mir deutlich weniger aus als auf dem Hinweg. Schon nach kurzer Zeit stehe ich auf der Straße. Die meisten Ken sind schon in ihren Wohnungen, oder sonst wo. Kein Wunder, die Sonne ist schließlich schon untergegangen. Nur die Straßenlaternen, die in einigen Metern am Rand stehen, spenden mir noch Licht. Aber es macht mir nichts aus. Das ist ein großer Unterschied, den die Ferox von den anderen Fraktionen unterscheidet. Wir können auch ganz auf uns selbst gestellt, uns zurechtfinden. Ich brauche kein Licht, um in der Dunkelheit etwas zu sehen. Meine Augen werden sich bald an die Finsternis gewöhnt haben. Mit schnellen Schritten verlasse ich die Ken und warte auf den Zug. Hoffentlich kommt er bald.

 "Was ist denn mit dir los?", fragt mich Zeke.

 "Nichts", grummel ich bloß. Ich habe keine Lust auf eine lange Diskussion.

Tobias' GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt