Kapitel 7

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Mein Herz klopfte stärker als je zuvor und ich versuchte meine Atmung so flach wie möglich zu halten. Bloß keine Geräusche machen dann würde ich vielleicht aus der Sache sicher rauskommen. 

"Hallo?", hörte ich eine Stimme, die zu hoch war dafür, dass sie einem Mann gehören würde. Aber wer sollte es dann sein?!?

Ich wollte warten, bis die Person noch irgendeinen Hinweis von sich gab, der auf jemanden den ich kannte schließen ließ. Jemandem, dem ich in irgendeiner Weise vertraute.

"Nelly? Wo sind Sie?"

Die Stimme kam mir bekannt vor, aber ich konnte sie noch nicht wirklich zuordnen. Dennoch hatte ich Vertrauen geschöpft und begann deshalb mich aufwärts zu bewegen und einen Blick zu wagen.

"Ja? Ich bin hier. Entschuldigung", antwortete ich und sah mir die junge Frau an, die mir gegenüber stand. Ihre hellen blonden Haare trug sie im Pferdeschwanz und ihr Lächeln war unnormal breit für eine Krankenschwester, die sie der Kleidung zu Urteilen nach zu sein schien.

"Was haben Sie dort unten gemacht? Sollten Sie sich nicht Ruhe gönnen?"

"Ich hab mich erschrocken"

"Und wovor?", fragte sie, kam auf mich zu und bat mich durch ihre Gestik wieder ins Bett zu gehen. Ich folgte ihrer Anweisung und meinte dabei:

"Vor Ihnen, um ehrlich zu sein". Peinlich berührt versuchte ich ein schmales Lächeln hervor zu zaubern. Vorher hatte ich mir nie Sorgen um etwas gemacht und plötzlich war ich so vorsichtig geworden. Wie schnell das nur ging, dachte ich mir und sah mir die Frau mit einem prüfenden Blick an. Ich hatte sie vorher bereits gesehen, als sie mir das Essen gebracht hatte. 

Eine junge nette Frau, die sich dazu entschieden hatte, sich für die Gesellschaft aufzuopfern ohne dafür weder eine monetare als auch häufig genug eine persönliche Wertschätzung zu erhalten. 

"Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Hier kann Ihnen nichts mehr passieren. Haben Sie sich überhaupt schon überlegt, ob Sie ihn anzeigen werden?", erkundigte sie sich.

"Ich weiß es noch nicht"

"Dann überlegen Sie es sich nochmal. Aber keine Angst, hier kann Ihnen wirklich nichts passieren. Gute Nacht", meinte sie, nahm mein Tablett vom Abendessen, das ich kaum angerührt hatte und verschwand aus meinem Zimmer.

Nachdenklich stand ich auf, putzte meine Zähne  und legte mich dann mit Musik auf dem Ohr ins Bett um zu schlafen. 

Am darauffolgenden Tag holte mich meine Mutter nach einer weiteren positiv ausfallenden Kontrolle meines Kreislaufsystems ab und fuhr mit mir wieder nach Hause. Auf der Fahrt war es zum großen Teil einfach nur still und wir lauschten der Musik, bis plötzlich "Sign of the times" gespielt wurde.

Meine Mutter sah mich an und ich spürte wie ihr fragender Blick mich regelrecht durchbohrte.

"Was willst du wissen?",  erkundigte ich mich, als ich es nicht mehr aushielt. Scheinbar hatte sie sich nicht mit Alena unterhalten oder sie wollte noch einmal eine neue Sichtweise der Geschehnisse hören. Was auch immer ihre Intention war, ich war nicht in der Stimmung für Plaudereien.

"Naja, ich hatte mich nur so gefragt, wie er so ist und worüber ihr gestern gesprochen habt", erklärte sie mir und drehte dabei die Musik etwas leiser, damit wir uns besser unterhalten konnten.

"Er ist super nett und will mich bei den weiteren Schritten unterstützen. Das wolltest du doch wissen, oder? Ob ich eine Anzeige mache. Eine Anzeige gegen Unbekannt", die letzten vier Worte sprach ich mit einem deutlich herausstechenden Sarkasmus in der Stimme.

"Ich will nicht, dass er dafür unbestraft davon kommt. Er hätte dich damit umbringen können", versuchte sie wie alle zuvor mich zu einer Anzeige zu bewegen. Sie schienen meinen Standpunkt allesamt nicht zu beachten. Oder es war ihnen einfach schlichtweg egal. Sie wollten sicherlich nur das Beste für mich. Aber das Beste, was soll das für mich bitte sein?

"Ich weiß, aber ich fühle mich nicht dazu genötigt, deshalb eine Anzeige zu erstatten. Ich denke nicht, dass ich mich dann besser fühlen würde", sprudelte es aus mir heraus, bevor ich überhaupt ordentlich darüber nachgedacht hatte, aber dennoch hoffte ich auf ihr Verständnis.

"Wenn du es so willst und denkst, dass es am besten so ist", lenkte sie ein und ich lächelte sie dankbar an, bevor ich für die letzten Minuten die Musik wieder lauter drehte. 

In den folgenden Tagen fühlte ich mich irgendwie ausgelaugt und hoffte auf irgendwas, dass das in irgendeiner Weise verbessern würde. Aber selbst Harry meldete sich nicht mehr und mit meinen Freundinnen, die überglücklich waren, dass mir nichts passiert war, hatte ich nicht das Bedürfnis darüber zu reden.

Also tat ich es ab und beschloss keine Konsequenzen daraus zu ziehen. Außer, dass ich versuchen wollte wieder mich mit Harry zu treffen. Ich kam mir schon vor wie ein verrücktes Fangirl, aber ich mochte ihn einfach und liebte die Gespräche, die wir gemeinsam führen konnten. 

Aber, da ich seine Nummer nicht hatte, weil er es gewesen war, der mich im Krankenhaus angerufen hatte, konnte ich auf diesem Wege keine Verbindung zu ihm aufbauen und da ich Social-Media nicht unbedingt zu einen meiner liebsten Erfindungen im Leben zählte, hoffte ich einfach jeden Morgen, dass sich Harry bei mir melden würde. Aber der Abend brachte dann zielsicher die bittere Enttäuschung.

Tag für Tag für Tag verging und es geschah nichts und wieder nichts. Ich war bereits so weit, dass ich es in Betracht zog, mir tatsächlich einen Account zu erstellen und so Kontakt zu ihm aufzunehmen. Obwohl auch auf diesem Weg seine Reaktion darauf ungewiss wäre. Aber besser als das stumpfe warten war es alle mal.

Bis dann endlich, nachdem ich bereits jedem, den es nicht interessierte damit auf den Ohren gelegen hatte, der Anruf kam und mit ihm endlich ein Update und eine Überraschung.

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