Kapitel 15

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Wir hatten einige Stücke probiert und Margret hatte es geschafft jedem Kuchen eine besondere Note zu verleihen. Sie schmeckten nicht nur  besonders gut, sondern sie waren auch ganz fluffig gebacken und mit Dekorationen verziert. Während wir aßen versorgte uns Margret mit dem Klatsch und Tratsch der letzten Monate. Sie erzählte uns eine Menge über einen Auftrag, den sie gerade erst bekommen hatte. Offensichtlich sollte sie die Hochzeitstorte für eine Promihochzeit machen und dafür einige neue Kreationen ausprobieren. Wir hörten ihr zu, aber Harry schien nicht gerade daran interessiert zu sein.

"Ich denke, dass wir bald aufbrechen sollten", meinte Harry schließlich, nachdem wir das dritte Stück verdrückt hatten. "Wir müssen noch nach Hause und du brauchst sicher Schlaf nach der Reise"

Ich sah ihn etwas zweifelnd an. Ich fühlte mich nicht unbedingt müde oder ausgelaugt von der Reise und ich genoss die Gesellschaft von Margret, die sich immer weiter in die Tratschkiste lehnte und gar keine Anstallten machte damit aufzuhören. Vielleicht war es ihm zu viel. Obwohl ich noch darüber rätzelte, spielte ich mit und sagte gähnend: "Ja, da hast du Recht, Harry. Es war so schön, dass ich gar nicht bemerkt habe wie müde ich eigentlich bin. Vielen Dank für die unglaublich leckeren Kuchen. Wenn ich die Zeit finde, dann würde ich mich freuen, wenn ich wiederkommen dürfte"

"Natürlich. Sie sind hier herzlich Willkommen. Sie scheinen mir eine nett, charismatische junge Dame zu sein und ich bin froh, dass Harry sie hat", ihr Blick wanderte von mir zu Harry und sie lächelte uns beide freundlich an, bevor auch Harry sich bedankte und ich gemeinsam mit ihm leicht verwirrt das Gebäude verließ und zum Wagen lief. Erst als wir wieder im Auto saßen und er den Motor gestartet hatte, wagte ich mich ihn zu fragen:

"Was ist denn los? Ist alles in Ordnung?"

Er sah erst nur nach vorne und machte keine Regung. Ich hatte schon geglaubt, dass es etwas mit mir zu tun hatte, als er endlich mit der Sprache raus rückte.

"Es ist nicht so wichtig"

"Wenn es nicht so wichtig wäre, dann würde es dich nicht so sehr beschäftigen. Du musst nicht mit mir darüber sprechen, aber wenn du es willst, dann höre ich zu, ok Harry?"

Er nickte und dann fuhren wir weiter. Er drehte die Musik im Radio auf und wir lauschten den Liedern, während ich mir versuchte einzureden, dass Harry mir vertrauen würde. Und das hoffte ich inständig.

"Wieso hast du damals keine Anzeige erstattet?", erkundigte sich Harry und überraschte mich damit aufs neue. An diese Nacht hatte ich schon lange keine Gedanken mehr verschwendet.

"Wieso hätte ich das tun sollen?", stellte ich die Gegenfrage um mich möglichst schnell aus der Affaire zu ziehen. Ich wusste, dass er mir damals seine Hilfe und seinen Beistand angeboten hatte. Aber das während er auf dem Weg war um seine Welttournee weiterzuführen. Wie sehr hätte ich da auf ihn setzen können?

"Es hätten schlimme Dinge passieren können", erklärte er in seiner ernsten Stimme, die ich bereits aus Gesprächen von damals kannte.

"Es ist aber nichts passiert. Du hast mich zusammen mit Mitch gerettet"

"Trotzdem hat er dich verletzt"

"Bitte, Harry. Wir haben dieses Gespräch schon so häufig geführt. Außerdem was hätte ich denn machen sollen. Anzeige gegen Unbekannt und dazu noch die Info, dass ich mich an kaum etwas erinnern kann"

"Aber wir. Wir haben ihn doch gestellt und wir haben die Ampulle mit GHB gefunden. So viele Beweise gibt es sonst nicht, also wieso hast du es nicht gemacht?"

In meinen Ohren klang es wie eine Anklage. Ich hätte etwas machen sollen, das wusste ich selber, aber es war mir furchtbar unangenehm. Ich war nie ein Partymensch gewesen. Und als ich dann das erste Mal wirklich feiern war, wurde ich sofort zu einem Opfer. Ich war zu naiv gewesen und das haftete an mir. Ich hatte gefühlt allen damit bewiesen, dass ich nicht fähig war selbst auf mich aufzupassen und auf etwas so plakatives hereinzufallen. 

"Harry? Bitte lass uns über etwas anderes reden", bat ich ihn und spürte wie meine Augen etwas feucht wurden. Ich durfte mich diesen Gefühlen nicht hingeben. 

"Entschuldige. Ich bin selbst so sehr durch den Wind. Margret hat doch von einer Promihochzeit erzählt. Sie hat zwar keine Namen genannt, aber mehr als genug Details, damit ich die beiden erkennen konnte. Es sind zwei meiner Freunde und sie haben mir nicht einmal erzählt, dass sie jetzt zusammen sind. Ich war nicht hier um mit ihnen darüber zu sprechen. Ich hatte keine Zeit, hab mich völlig auf die Tour und die Fans konzentriert. Und ich hasse es, das ich deshalb anscheinend bei meinen Freunden ein gewisses Level der Gleichgültigkeit erreicht habe"

Er stoppte und schien einen Moment zu überlegen was er noch hinzufügen wollte. Dann fuhr er fort und gab mir immer mehr Eindrücke von seiner Gefühlslage.

"Ich hatte irgendwie gehofft, dass ich wenn ich mehr oder weniger mein eigener Chef bin, dann etwas mehr Freiheiten habe auch meinen Freunden zu zeigen, dass sie mir unglaublich wichtig sind. Wichtiger als ich es zeigen kann, weil ich so häufig nicht da bin. Viele meiner Familie und Freunde verstehen die Gründe, aber können mit ihren Folgen nur mäßig umgehen. Und ich kann sie auch irgendwie verstehen. Ich würde auch ungern meinen Freunden von meiner Verlobung übers Telefon erzählen"

"Und du bist dir ganz sicher, das sie es sind?"

"Ja. Sie hat genug Details genannt, die ich mit ihnen verbinde und die ich nur mit ihnen verbinde. Margret dachte vermutlich, dass ich es schon wusste und wollte mir nur heimlich mitteilen, dass sie die Torte machen würde und dass sie deshalb auf meinen Rat Wert legen würde, da ich sie kenne und besser als sie weiß, was sie mögen könnten. Sie ist sehr perfektionistisch musst du wissen. Und ein herzensguter Mensch, deshalb glaube ich nicht, dass sie es wohl wissentlich getan hat"

"Das tut mir leid. Willst du zu ihnen und mit ihnen darüber reden?"

"Ich denke nicht, dass das etwas bringen würde. Außerdem will ich sie nicht in die Verlegenheit bringen es mir nicht gesagt zu haben. Ich habe ihnen auch nicht unbedingt die beste Gelegenheit dafür gegeben", erklärte er Schuldbewusst, aber das wollte ich nicht für ihn.

"Vielleicht sollten wir gerade deshalb zu ihnen. Wenn ihr nun miteinander redet, dann regelt es sich für dich und für sie. Zeig ihnen, dass du dich eben doch für sie und ihre Liebe zueinander interessierst. Du kannst es sicherlich nur besser machen"

Ich erkannte wie er versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee wäre. Eine Idee die vielleicht einen wirklichen Mehrwert für beide beteiligten Parteien hatte und das Vertrauen und den Zusammenhalt unter ihnen stärken könnte. Eine Idee, die zumindest einen zweiten Gedanken darüber wert war.


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