Kapitel 28

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Harrys Wagen stoppte vor einem kleinen Restaurant, das einen gemütlichen Flair ausstrahlte und durch seine Unscheinbarkeit glänzte. Wäre ich ein normaler Tourist gewesen, wäre es mir sicherlich nicht aufgefallen und ich wäre somit dem Genuss des vorzüglichen Essens entgangen. Der Chef begrüßte Harry gleich freundlich und wies uns zu einem Tisch in der Ecke des kleinen Lokals. Es war noch recht früh, sodass gähnende Leere herrschte. 

"Was darf ich euch zu trinken bringen?", erkundigte er sich, nachdem wir beide Platz genommen hatten.

"Ich hätte gerne einfach nur Wasser", antwortete ich und ließ mein Blick zu Harry schweifen.

"Ich auch, danke Pablo", entgegnete Harry und sofort machte sich Pablo auf den Weg unsere Getränke zu holen.

"Italienisch?", fragte ich ihn, während ich schmunzelnd die Augen zusammenkniff.

"Ja. Pablo ist ein Freund von mir und das Essen ist hier wirklich gut", erzählte er und reichte mir, als er es ansprach, die Karte.

"Pizza, Pasta und co. lassen sich echt sehen, vor allem in einer Stadt wie L.A., in der der Gesundheitshype seine Spitze längst erreicht hat und mehrere Opfer gleichzeitig fordert"

Ich sah ihn fragend an und brachte ihn so dazu, dass er etwas weiter ausholte:

"Die "Stars", die in L.A. wohnen versuchen alles um perfekte Körper zu haben und dem hohen Schönheitsideal zu entsprechen. Dadurch machen sie sich bloß physisch wie psychisch kaputt. Dem Körper dauerhaft in ein Energiemangel zu stürzen ist ungesund und kann schwere  Folgen haben. Wenn man mal davon absieht, dann gibt es noch viel viel schädlichere Dinge, die die Menschen sich hier antun um attraktiv, jung und vor allem voll im Geschäft zu bleiben. Misslungene Schönheitsoperationen und vergiftete Organe sind da keine Seltenheit, aber was tut man nicht alles um nicht an Relevanz zu verlieren"

"Es ist traurig, wenn die Gesellschaft solchen Druck auf einzelne Menschen ausübt, sodass diese fast daran zerbrechen. Wieso muss das so sein? Wieso können nicht alle ihre Gedanken von den Körpern anderer Menschen zu ihrem Charakter bewegen. Das würde vielleicht etwas am Schlankheitswahn in Hollywood ändern"

"Der hat bereits ein Eigenleben entwickelt, das nicht mehr so leicht zu zerstören ist. Aber such dir jetzt bitte etwas zu essen aus. Ich lade dich natürlich ein", meinte er, bevor sein Blick auf die Karte in seinen Händen fiel.

"Harry, du solltest mir nicht immer alles ausgeben. Ich habe doch auch Geld mit", versuchte ich ihm ins Gewissen zu reden, jedoch ohne großen Erfolg, da er sofort entgegnete; "Ich habe mehr als genug Geld verdient und dann kann ich mir doch den Luxus gönnen meine Freunde zum Essen einzuladen. Außerdem gehst du noch zur Schule und hast kein Einkommen wie ich. Du solltest dein Geld lieber für andere Dinge sparen"

Ich versuchte eine Miene zu verziehen und beleidigt zu gucken, aber konnte dem starken Blick von Harry nicht lange standhalten, sodass sich meine Mundwinkel nach oben bewegten und sich ein breites Lächeln auf meine Lippen schlich. Es fühlte sich einfach zu gut an.

Wir bestellten unser Essen und ich kam dann auf wieder auf den Plan zu sprechen, von dem Harry bloß ein Bruchteil im Flugzeug preisgegeben hatte. 

"Wir beide haben heute unseren Erkundungstag, also eher ein Tag an dem ich dir ein Stück von L.A. zeigen kann ohne großen Wirbel. Morgen werden wir uns dann alle bei uns in der Villa treffen und uns ein bisschen unterhalten und am Abend wollen wir zusammen zum Konzert von Niall hier in Los Angeles gehen. Leider werden wir da die meiste Zeit Backstage verbringen müssen. Und dann am dritten Tag wollte ich dir einige meiner Freunde, die hier wohnen, vorstellen. Am Abend geht dann schon wieder unser Flieger nach London", erklärte er.

"Ja, dann geht es wieder ab nach Hause und alles was ich erlebt habe, wird in schönen Erinnerungen verblassen", sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm, aber er hatte es dennoch gehört.

"Wir bleiben im Kontakt, diesmal auch stärker als zu der Zeit, als ich noch auf Tour unterwegs war, ok?"

Mein Blick wanderte zu seinen Augen, die mich so aufmunternd und bestärkend ansahen und ich konnte nicht anders als ihn etwas aufgemuntert anzulächeln. Er versuchte so viel und gab sich so Mühe mit mir, dass ich ihm das einfach honorieren musste. Alles andere wäre ziemlich unfair ihm gegenüber gewesen.

Wir aßen noch ganz in Ruhe und sprachen entspannt über verschiedene Dinge bis wir fertig waren und zur ersten Attraktion aufbrachen. Wir fuhren zum Venice Beach und schlenderten gemeinsam durch die Straßen und am Strand entlang. Natürlich blieben wir auch hier nicht unerkannt und Harry hatte sich und mir jeweils eine fette Sonnenbrille aufgesetzt. Ständig sah ich wie Handys hochschnellten sobald Menschen ihn erkannten und diesen Moment mit dem Handy festhalten wollten. Ich zupfte nervös an meiner kurzen Hose und meinem weiten T-Shirt und befürchtete die Bilder später überall im Internet zu sehen. Ich mochte mir gar nicht vorstellen was sie dazu schreiben würden und dieser Gedanken ließ mich nur noch unwohler in meiner Haut fühlen.

Die Freundschaft die Harry und ich bis zu diesem Punkt geführt hatten, war immer eine irgendwie heimliche gewesen. Wir hatten eher abgelegene Plätze aufgesucht und waren nicht gemeinsam um die Mittagszeit zu belebten Plätzen stolziert und hatten für die aufgeregten Teenager und verrückten Fotografen gepost. Diese Frische und Heimlichkeit schien uns nun hier verloren zu gehen und ich wusste noch nicht so recht wie ich damit umgehen sollte. In Deutschland war der Hype um seine Person definitiv ein ganz anderer gewesen.

"Bleib ganz ruhig, es wird dir nichts passieren", flüsterte Harry mir zu. Er hatte offensichtlich erkannt wie sehr ich mich versteift hatte und wie ich unter den vielen Blicken zusammenzubrechen drohte. Es beruhigte mich etwas, doch durch die Traubenbildung um ums herum kam wieder etwas die Panik in mir hoch. Wieso hatte er sich bloß dafür entschieden hier her um diese Uhrzeit zu kommen?

"Harry", "Harry!", "Harry!", von allen Seiten riefen nun aufgeregt hechelnde Teenager seinen Namen und versuchten sich an ihn heran zu drücken um ein möglichst gutes Bild zu machen. Ich probierte Abstand zu gewinnen, da sie versuchten mich wegzudrängen von ihm, um ihn ganz für sich in Anspruch zu nehmen.

Ich begab mich ein gutes Stück weg von der Menge um Harry herum, aber hielt dabei weiter Blickkontakt, als mich plötzlich ein Mann von der Seite ansprach:

"Und wie gefällt dir das Leben im Rampenlicht? Macht es so viel Spaß wie es scheint?"

Ich sah ihn sofort überrascht an und verstand nicht was er von mir wollte. Er hielt eine große Kamera in der Hand und sein dreckiges Grinsen hätte mir viel früher schon ein Zeichen sein sollen. Aber ich stand so sehr unter Strom, dass ich kaum noch etwas wahrnahm.

"Na komm schon. Der Rummel um deine Person muss dir doch gefallen. Spätestens morgen früh wird dein Gesicht überall in den Klatschzeitschriften sein und im Internet bist du dank deines glorreichen Auftritts am Flughafen heute morgen sowieso schon. Diese 15 Minuten Ruhm müssen dir doch gefallen oder nicht?"

"Ich weiß wirklich nicht, was sie von mir wollen", antwortete ich und wollte zurück zu Harry, als er mich am Handgelenk zurückzog: "Ist er wenigstens gut im Bett?"

Wie erschlagen von seinen Worten sah ich ihn an. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein?!? Ich schluckte und wollte mich seinem Griff gerade entreißen, als er noch hinzufügte:

"Das nehme ich dann wohl als "Ja". Glückwunsch Kleine, jetzt bist du morgen mit Gewissheit auf jedem Klatschblatt der USA"

Er ließ meine Hand los und sofort schossen mir Tränen in die Augen. Und auch wenn meine Sonnenbrille sie verdeckten, so musste ich einfach weg von hier. Das Alles war zu viel für mich und ich mochte mir gar nicht ausmalen, was da noch an Nachwirkungen auf mich zukommen würde. Wenn nicht jetzt sofort, dann spätestens wenn ich wieder zu Hause war.

OVER AGAINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt