Kapitel 21

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Harry und ich hatten die Fahrt zu seinen Freunden recht gut mit Musik aus dem Radio überbrückt und standen jetzt wieder auf dem selben Platz, auf dem wir bereits gestern Abend gestanden hatten. Er sah mich fragend an und ich griff sogleich zur Tür und öffnete sie. Die Luft war verhältnismäßig frisch und ich war sehr erleichtert darüber, dass ich mich für eine lange Hose und eine Jacke entschieden hatte. 

Er ging vor. Den Weg durch den schönen Vorgarten entlang, bis wir an der Eingangstür der Stadtvilla ankamen. Sie erstreckte sich bis hoch über uns und mich überkam ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit. Die Menschen, die wir gleich treffen würden, hatten sicherlich irgendetwas vollbracht, das ihnen Ansehen und einen Haufen Geld gebracht hatte. Ich hingegen saß seit zwölf Jahren bloß in der Schule und hatte im Vergleich zu ihnen nichts erreicht.

"Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Nelly. Sie sind unglaublich herzliche und zuvorkommende Menschen. Du wirst es schon sehen", sprach Harry entspannt zu mir, als ob er meine Gedanken mitbekommen hatte.

Ich nickte nur leicht lächelnd und versuchte mich zu strecken und diese gerade Haltung möglichst in meinem Kopf zu festigen. Wenn ich schon keiner von ihnen war, wollte ich zumindest nicht zusätzlich durch eine krumme Körperhaltung auffallen.

Die Tür öffnete sich. Anscheinend hatte Harry, während ich noch über mein Auftreten gegrübelt hatte, die Klingel betätigt und dadurch den Bewohnern ein akustisches Signal für unsere Ankuft erteilt. Die Frau, die nun in der Tür stand, lächelte uns freundlich an und begrüßte uns dann:

"Hallo ihr beiden, kommt doch rein"

Sie öffnete die Tür noch ein Stück weiter und verschwand dann den hell erleuchteten Flur entlang. Harry lächelte mir aufmunternd zu und folgte ihr in das Haus. Ich atmete noch einmal tief durch und betrat danach ebenfalls den Flur und schloss die Tür hinter mir. Bereits der Eingangsbereich strahlte nur so in vielen hellen Lichtern und war durch sein besonders ausgefallenes Raumsystem eine Augenweide für sich.

"Sollen wir die Schuhe ausziehen?", flüsterte ich Harry zu, der durch mich, die ich ihn am Arm zurückhielt, im Flur gehalten wurde. Er sah mich leicht verwirrt an, doch sobald sich die Verwirrung in seinen Augen verflüchtigt hatte, konnte ich erkennen wie sich ein leichtes Schmunzeln auf seine Lippen stahl.

"Nein, Nelly. Du kannst deine Schuhe ruhig anlassen", erklärte er schmunzelnd und zeigte mit seinem Arm auf den nächsten Raum, der sich uns bot. Ob es ein Ess- oder Wohnzimmer war, konnte ich nicht klar definieren, aber eines war ganz offensichtlich, es musste eine Fläche von mindestens 100 Quadratmetern haben und auch hier ließ die Raumgestaltung keine Zweifel über den Wohlstand der beiden Bewohner aufkommen.

Nun kam uns auch ein Mann entgegen, der uns beide lächelnd ansah und uns beim Näherkommen begrüßte:

"Da seid ihr ja. Hallo Harry. Und du bist dann sicher Nelly"

Ich nickte lächelnd und wusste nicht, ob ich ihm die Hand zur Begrüßung reichen sollte. Aber das wurde sofort geklärt, da er erst Harry und dann mich umarmte und uns danach einige Stufen tiefer in den Sitzbereich brachte. Seine baldige Ehefrau folgte uns und bat mir den Platz bei den bodentiefen Fenstern an. 

Ich konnte kaum abschätzen wie alt die beiden waren. Sie sah noch jung aus, aber hatte bereits etwas sehr Erwachsenes und auch er schien nicht in Harrys Alter zu sein. Bevor ich jedoch noch weiter über sie nachdenken konnte, bekam ich sofort von ihm die erste Frage gestellt:

"Möchtest du etwas Trinken? Wasser oder etwas mit Schuss?"

Zögernd sah ich Harry an und er übernahm dankenswerterweise vorerst das Reden.

"Wir nehmen beide Wasser. Habt ihr noch dieses tolle aus der kleinen Quelle auf Pitcrain?"

"Oh ja, Harry. Von dem Wasser haben wir immer welche auf Vorrat. Besseres Wasser findest du hier in England auch nicht", gab die Dame des Hauses zu verstehen und stand sogleich auf um welches zu holen. 

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