11 - Selbstzweifel

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Mein kritischer Blick mustert meinen halbnackten Körper in dem schmalen Spiegel, der neben Noellas Schrank steht.
Meine langen Beine sind nicht die aller schmalsten und auch mein Bauch ist nicht der flachste, bei meinen 180 Zentimetern Körpergröße scheint aber alles einigermaßen gut verteilt zu sein. Mein Po ist von Natur aus relativ groß, während meine Oberweite durchschnittlich ist, was ich beides auch so bevorzuge.
Eigentlich finde ich meinen Körper gut und dennoch ist da immer diese eine Stimme in mir, die etliche Dinge auszusetzen hat.
Ich drehe mich zur Seite und gehe mit meinem Blick noch einmal komplett über meinen nur in schwarzer Unterwäsche steckenden Körper. Dehnungsstreifen kommen an meinen Hüften zum Vorschein und ich kann an meinem Po einige Dellen erkennen. Für einen Moment betrachte ich sie genauer und drehe mich dann weg, bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann. Stattdessen trete ich näher an den Spiegel und mustere mein schmales Gesicht.
Die dunklen, glatten Haare hängen mir teilweise ins Gesicht, während der Rest in einen Zopf gebunden ist.
Meine Haut ist größtenteils rein und bloß an vereinzelten Stellen an Kinn und Nase kann ich große Poren und kleinere Pickel erkennen, die mich ungemein stören und sich auch unter der Schminke abzeichnen.
Meine Lippen sind voll, aber blass, weswegen ich rosa Lipgloss aufgetragen habe.
Mit meinem Zeigefinger fahre ich mir über die langen, geschwungenen, schwarzen Wimpern, die ich von meinem Vater habe und die ich durch einen dunklen Lidstrich noch etwas zum Vorschein gebracht habe.
So lang und dicht meine Wimpern auch sind, so dünn und löchrig sind dafür meine Augenbrauen.
Zwar sind sie auch dunkel, aber zur Mitte der Stirn hin besitze ich kaum Härchen, weswegen ich nicht ohne geschminkte Augenbrauen raus gehe. Ein paar Sommersprossen blitzen unter dem Make-up hervor und mein Blick landet bei meinen eigenen Augen.
Bei den zwei dunklen Löchern, die so tief schwarz scheinen. Manchmal wünsche ich mir die grasgrünen Augen meines Vaters oder meines Bruders und manchmal bin ich doch froh über meine Augen, in denen man nichts erkennt.
Sie sind wie ein schwarzes Loch, in das du hineinsiehst und nichts erkennst.
Du siehst nicht, wie tief es hineingeht und vor allem erkennst du nicht, was sich darin verbirgt. Und das ist besser so.
Als es klopft, schrecke ich zusammen und sehe zur Uhr, die über meinem Bett hängt. Ich habe komplett die Zeit vergessen. 
„Komme!", rufe ich und eile zu meinem Schrank, ziehe mir vorübergehend ein schwarzes, knielanges Shirt über und öffne dann die Tür.
Erwartungsgemäß steht Kilian mit den Händen in den Hosentaschen da und grinst mich an.
„Willst du so gehen?", fragt er und mustert mich einmal von oben bis unten.
Ich sehe an mir hinab und schüttle bloß hastig den Kopf, bevor ich erneut zum Schrank eile und er das Zimmer betritt. Während er die Tür schließt und sich auf mein Bett fallen lässt, ziehe ich eine rote Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover aus dem Regal und tapse ins Bad, dessen Eingang sich neben Noellas Bett befindet.
„Um neun geht es los", ruft Kilian, als ich gerade in die Hose schlüpfe und ich notiere mir auf meiner imaginären Liste, dass ich bloß nicht Finns Geschenk vergessen, welches ich auf meinem Nachttisch abgelegt habe.
„Wenn du mich stressen willst, geht es bloß noch länger", drohe ich und schmunzle, als ich aus dem Bad laufe und mich erneut im Spiegel ansehe. Da ich Kilian nun den Rücken zugedreht habe, sehe ich ihn nur noch durch den Spiegel.
„Das gefällt mir nicht." Stirnrunzelnd wende ich mich ein bisschen hin und her und als ich mich dann letztendlich zu Kilian drehe, wandert sein Blick von unten schnell in mein Gesicht und mir wird ebenso schnell klar, auf welches Körperteil er gerade gesehen hat.
Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und er scheint mich zu verstehen, weswegen er bloß verteidigend die Hände hebt. 
„Ich bin auch bloß ein Typ." „Argumentative Verteidigung", scherze ich und stelle mich grübelnd vor meinen offenen Schrank. 
„Komm schon, Alva. Du siehst toll aus und wir haben zehn vor neun. Warum brauchen Mädchen denn immer so lange?", beschwert er sich und lässt sich seufzend auf den Rücken fallen. Das größte Klischee wird nun mal mit mir wahr.
„Das wirst du nie verstehen." Lachend verschwinde ich mit einem Rock und einem Shirt im Bad und lasse einen schmunzelnden Kilian zurück. 

Herz aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt