Ich nehme das Gespräch zwischen Kilian, der das Auto langsam abbremst, um an der Ampel zu halten und Elijah, der neben ihm hockt, kaum wahr. Auch Luans lautes Lachen reißt mich nicht aus meinen Gedanken, während ich aus dem Fenster schaue.
Was eben zwischen Kilian und mir passiert ist, beschäftigt mich weiterhin und es ist mir irgendwie unangenehm.
Es ist mir unangenehm, dass ich so wenig Kraft habe. Kaum standhaft bin und er sich immer noch mit mir und meinen Problemen rumschlagen muss.
Er muss sich immer mein Rumgeheule antun und sich damit abgeben, aus dem Nichts plötzlich zurückgewiesen zu werden.
Und es tut mir weh, manchmal diese Enttäuschung in seinen Augen zu sehen.
Als sich der Wagen wieder in Gang setzt, zieht es meinen Blick wie automatisch nach vorne in den Rückspiel, durch den mich schon Kilians braunes Augenpaar ansieht.
Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, in der er mir so intensiv in die Augen schaut, dass sich mein Magen zusammenzieht, bis er sich wieder auf die Kurve konzentrieren muss.
Seufzend starre ich auf meine Finger und höre Elijah im Hintergrund weiter reden. Als sich plötzlich eine weitere große Hand vorsichtig auf meine legt, hebe ich den Blick und entdecke Luan, der mir aufheiternd entgegen grinst und den Kopf etwas schief legt.
Mein verkrampfter Magen löst sich etwas und mal wieder bin ich froh, jemanden wie Luan zu haben, der mir ein wohlig warmes Gefühl gibt, ohne überhaupt zu wissen, was passiert ist.
Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben und ich versuche, dieses Lächeln den restlichen Abend beizubehalten.
Als ich ankomme, als ich Finn gratuliere, als wir mit Freunden von den Jungs sprechen, die sich auch am Eingang oder im Vorgarten aufgehalten haben, und, als wir das große Haus betreten.
Doch spätestens, als wir vier die Tür hinter uns schließen und ich die ganzen Leute entdecke, verschwindet mein Lächeln.
Ich kann nicht genau sagen, warum, aber kaum sind wir in Raum, herrscht plötzlich eine komische Stimmung. Das mag jedoch auch daran liegen, dass ich geradewegs in Lorinas verengtes Augenpaar sehe, die einige Meter weiter an der Wand lehnt, zusammen mit Noella, die überrascht scheint mich zu sehen, Tristan, dessen Hand an Lorinas Hüfte klebt und ein paar anderen Mädchen, die mir schief entgegen sehen.
Kaum zwei Meter weiter tanzt Noel mit Freunden und scheint mich noch nicht wirklich wahrgenommen zu haben.
Lorina und mein Bruder in einem Blickfeld erinnert mich direkt wieder an diesen einen Abend und mein Magen zieht sich erneut unangenehm zusammen, während die Bilder wieder in meinem Kopf auftauchen. Kilian bemerkt meine Unruhe und legt seinen Arm langsam um meine Hüfte.
Als ich kurz zu Elijah sehe, der mit zusammengezogenen Augenbrauen in die Menge sieht, folge ich seinem Blick und entdecke eine kleine Gruppe von Jungs, die uns vier böse entgegen blicken.
Während der eine die Augen verengt, beginnt der andere sie zu verdrehen und wie ein kleines Mädchen zu tuscheln.
Verwirrt lege ich den Kopf schief, als ich auch bemerke, wie genervt Luan von ihnen ist.
Schlussendlich drehe ich mich dann auch zu Kilian, der inzwischen nicht mehr damit beschäftigt ist, mich zu beruhigen, sondern selbst ganz unruhig ist.
„Was ist hier los?" Erst mit meiner Frage, die ich in die Runde stelle, scheine ich die drei aus ihrer imaginären Schlägerei durch Blicke zu reißen.
„Arschlöcher sind los." Kilians Antwort ist klar und deutlich, weswegen ich erstmal nicht weiter nachfrage. Luan und ich scheinen im selben Moment zum Entschluss zu kommen, dass wir weiter gehen sollten, um die Situation nicht noch unangenehmer zu machen.
Als wir gemeinsam in Richtung Küche gehen wollen, bemerkt auch Noel uns endlich und kommt freudig auf mich zu. „Alva!" Breit grinsend schließt er mich in die Arme und schaukelt uns gemeinsam hin und.
„Alles in Ordnung?", frage ich mit schiefem Kopf, als er sich wieder löst.
„Ja, klar. Ich habe nur mega gute Laune." Sofort schalten sich Alarmglocken in meinem Kopf an.
„Wovon?" Ich suche jegliche Anzeichen auf Drogen und sehe etwas panisch zu Luan, der mich beruhigend ansieht und verneinend den Kopf schüttelt. Mein Bruder seufzt auf und mein Herzschlag beruhigt sich wieder etwas, als ich mich erneut zu ihm drehe und er mich glücklich anlächelt.
Und tatsächlich reicht dieses Glück bis zu seinen Augen und mir wird sofort warm ums Herz, als ich diese Leichtigkeit und diese Freude nach einer Ewigkeit wieder in seinen Augen sehe.
„Ich habe mich lange nicht mehr so frei und unbeschwert gefühlt." Und als er mir so tief in die Augen sieht, langsam einatmet und einfach nur schmunzelt, weiß ich, dass es nicht an irgendwelchen Drogen oder sonst etwas derartiges liegt.
Er hat sich einfach nur endlich frei gemacht und fühlt sich seit langer Zeit wieder wie der Noel von damals.
„Ich bin dir so dankbar für alles, Alva. Wirklich. Ich weiß nicht, ob ich dir das schon oft genug gesagt habe. Oder überhaupt gesagt habe. Aber ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte oder wo ich ohne dich heute stehen würde."
Er fährt sich durch die braunen Haare und seine grünen Augen strahlen mich so an, dass ich nichts anderes machen kann, als ihn in die Arme zu nehmen, die Augen zu schließen, langsam über seinen Rücken zu streichen und seinen Duft ganz tief einzuatmen wie damals, als ich als kleines Kind zu ihm ins Bett bin, wenn ich Angst hatte, obwohl ich die Ältere war.
„Ich hab dich so lieb."
„Und ich dich noch viel mehr, Noel." Als wir uns wieder lösen, nicke ich in Richtung seiner Freunde, die wartend zu uns rüber gesehen haben und mit einem letzten Lächeln verschwindet er zurück zu ihnen. Ich beobachte ihn für ein paar Momente noch, wie er unbeschwert tanzt und sich von der Musik treiben lässt, bis ich einen schweren Arm um meine Schultern spüre und Luans Stimme neben meinem Kopf höre.
„Es ist schön, euch so zu sehen." Ich lache kurz in mich hinein und schüttle dann den Kopf.
„Komisch, wenn man bedenkt, wie es noch vor einigen Wochen und Monaten bei uns war. Und komisch, wenn man bedenkt, dass die dafür verantwortlichen Personen wenige Meter weiter tanzen", sage ich und mein Blick wandert zu Lorina und Noella, die sich lachend zur Musik hin und her bewegen.
„Na, komm." Luan zieht mich im richtigen Moment weg und ich hieve mich auf die Arbeitsplatte in der Küche, während er mir eine Cola einschenkt und sich etwas mixt. „Wie in einem Film", grinse ich und bedanke mich, als er mir den klischeehaften roten Plastikbecher reicht. Für einige Momente beobachte ich die Mädchen und Jungen, die die Küche mit frischen Getränken verlassen, bevor ich meine Gedanken ausspreche.
„Witzig, dass du wusstest, was ich meine, als mir Noel gesagt hat, er habe gute Laune."
Ich sehe ihn nicht an, stattdessen starre ich aus dem gegenüberliegenden Fenster in den schwarzen Himmel. Auch er sucht nicht meinen Blick, als er sich neben mir an der Arbeitsfläche anlehnt, kurz in sich hinein lacht und sagt:„Komisch, oder?"
Erst jetzt dreht er seinen Kopf zu mir, lächelt und fragt:„Hast du schon mal über Seelenverwandtschaft nachgedacht?"
Mein Interesse ist direkt geweckt, doch ich schüttle den Kopf. Gespannt sehe ich ihn an, während er langsam einen Schluck trinkt und dann weiter spricht.
„Du triffst jemanden, der dir auf Anhieb bekannt vorkommt und jedes mal, wenn ihr miteinander sprecht hast du das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen, auch wenn ihr euch erst ein paar Wochen kennt.
Du fühlst dich, als würdest du einem Spiegel gegenüber stehen und dich somit aus der Distanz betrachten können. Wenn man davon ausgeht, dass ein anderer Mensch schicksalhaft an das eigene Leben gekoppelt ist, lässt sich auch eine Seelenreise vermuten."
Er nimmt noch einen Schluck und sieht mich dann wieder an.
„Abgedreht, oder?" Meine Mundwinkel zucken kurz nach oben und ich nicke langsam.
„Abgedreht." Abgedreht, dass ich vielleicht so einer Person gegenüberstehe.
Tatsächlich kamen mir ausnahmsweise nicht direkt Kilian oder Milan in den Sinn, sondern Luan, der direkt hier vor mir steht. Ich kenne nicht seine tiefsten Geheimnisse. Allgemein könnte ich nicht all zu viele Fakten über sein Leben jetzt aufzählen, aber dennoch habe ich das Gefühl, wir kennen uns schon am längsten und intensivsten. Auch ohne dass ich ihm jedes Detail meines Lebens erzählt habe, fühlt es sich an, als würde er in jeder Situation von allem Bescheid wissen und kann somit immer richtig reagieren und mich beruhigen.
Manchmal scheint es als könne er tatsächlich meine Gedanken lesen, so sehr, dass es schon gruselig wirkt.
Als ich Laute Rufe höre, schrecke ich zusammen und werde aus meinen Gedanken gerissen. Luan und ich werfen uns verwirrte Blicke zu und ziehen die Augenbrauen zusammen, bevor wir beinahe synchron unsere Becher auf die Theke stellen, ich von der Platte hüpfe und wir in Richtung Wohnzimmer rennen, aus dem Laute Schreie tönen.
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Herz aus Glas
Teen FictionEin Jahr ist es her, dass Alvas fester Freund verstorben ist. Der Verlust von Milan und kurz darauf der von ihrer Mutter, hat das junge Mädchen in ein tiefes Loch gerissen. Zusammen mit ihrem Vater und jüngerem Bruder, will die 19-Jährige in einer...