Gähnend stopfe ich auch das letzte Buch in meinen Rucksack und schließe ihn dann. Mit gemischten Gefühlen laufe ich aus meinem Zimmer und schlurfe runter in die Küche.
Da mein Vater eine Woche geschäftlich verreisen musste, konnte ich die letzten vier Tage ungestört hier verbringen.
Das Haus fühlt sich immer noch irgendwie fremd an und ich weiß nicht, ob sich das überhaupt noch ändern wird.
Schließlich kommen mir die Personen, die hier leben, ebenso fremd und anders vor.
Sowohl meinen Bruder als auch meinen Vater erkenne ich kaum wieder. Das Verhalten, das die beiden an den Tag legen, ist in meinen Augen absolut unverständlich.
Mein Kopf schnellt zur Haustür und ich halte inne, als ich in meine Schuhe schlüpfen will.
Ein Schlüssel dreht sich im Schloss um und die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt, bevor sie aufgestoßen wird.
Noel bleibt abrupt stehen und zieht die Augenbrauen zusammen.
„Warst du etwa die letzten Tage hier?" Anscheinend ist auch ihm aufgefallen, dass ich nicht in der Uni war.
„Ja, Vater ist weg."
„Ich weiß", erwidert er, lässt die Tür hinter sich ins Schloss fallen und steuert auf die Treppe zu, die zu unseren Zimmern führt. „Warte bitte. Können wir endlich reden? So kann das doch nicht weiter gehen."
Als er mich knallhart ignoriert und die Treppen hoch geht, werde ich lauter. „Noel?" Wieder keine Antwort.
„Verdammt nochmal, Noel!"
Plötzlich spricht Wut aus mir und anstatt jetzt schweigend zu gehen, wie ich das die letzten Male gemacht habe, wenn er nicht mit mir reden wollte, stampfe ich die Treppen hoch und stoße seine Zimmertür auf, als er sich gerade auf der grauen Bettwäsche niederlässt.
Augenverdrehend sieht er mir entgegen, was mich nur noch wütender macht.
„Hör endlich auf dich so zu benehmen!", rufe ich ihm entgegen, was ihn erstmal ziemlich unbeeindruckt lässt.
Denn genau das ist das Problem, es lässt ihn einfach kalt.
Ich war schon kurz davor ihm jegliche Worte an den Kopf zu schleudern, aber es bringt nichts.
Meine Gesichtszüge entspannen sich wieder und ich denke an Kilians Worte zurück.
Er wird von selbst wieder zu mir kommen, wenn er bereit ist.
Ich habe so oft versucht ihm zu erklären, dass unser Vater etwas verheimlicht.
Jemanden schützt und mich dafür schlecht dastehen lässt.
Mehr als mit ihm sprechen kann ich nicht und es wird nichts bringen ihn weiter anzuschreien.
„Vergiss es."
Es ist kaum ein Flüstern mit dem ich den Raum verlasse und es sind kaum Tränen, mit denen ich das Haus verlasse.„Bock auf Party heute?"
Luan konnte mich wohl kaum zu einem ungünstigeren Moment fragen, als ich noch am selben Morgen den Gang der Universität runter laufe und er mir entgegen joggt.
„Morgen erstmal", erwidere ich und schließe ihn eine Umarmung.
Als ich mich wieder löse, ist das fröhliche Lächeln verschwunden und ich sehe stattdessen in ein besorgtes Gesicht.
„Ich dachte die Frage nach der Party heute Abend bringt dich auf bessere Gedanken als wenn ich dich direkt fragen würde, wo zum Teufel du die letzten vier Tage warst."
Tatsächlich hatte ich mit dieser Frage zuerst gerechnet.
Seufzend setze ich mich in Bewegung und Luan folgt mir weiter den Gang entlang.
„Ich war zu Hause ein bisschen abschalten.
Also alles gut", erkläre ich wahrheitsgemäß und Luak gibt sich glücklicherweise damit zufrieden.
„Dann bin ich beruhigt. Aber falls etwas sein sollte, kommst du zu mir, okay?"
Ich erwidere sein Lächeln dankend und wir lassen uns in der vorletzten Reihe des Raums nieder.
„Wie ist die Lage bei Kilian, Elijah und dir?"
Die Frage brennt mir schon seit vier Tagen auf der Zunge.
„Was soll ich sagen? Ist immer noch mehr als angespannt. Um ehrlich zu sein haben beide die meiste Zeit gefehlt. Und wenn sie da waren, sind sie sich aus dem Weg gegangen.
Somit bin ich also die letzten Tage eher zum Einzelgänger geworden.
Mehr oder weniger freiwillig, schließlich war auch ich ziemlich genervt von den beiden."
„Es tut mir echt so leid."
Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen.
Luan fängt an zu lächeln, schiebt den Ärmel seines Pullovers hoch und entblößt ein silbernes Armband.
Sofort bildet sich auch auf meinem Gesicht ein Grinsen und er schließt mich in eine feste Umarmung.
„Danke für dieses tolle Geburtstagsgeschenk."
„Gerne, Luan."
„Um wieder zum Thema zurückzukommen", beginnt er und schiebt seinen Pullover wieder runter.
„Dir ist schon klar, weswegen die beiden sich gezofft haben?
Und das nicht zum ersten Mal, nebenbei."
Er zieht eine Augenbraue hoch und ich versuche seinen Blick zu meiden.
Glasklar und gleichzeitig überhaupt nicht klar. Es ging eindeutig um mich, dennoch haben sich mir die Gründe noch nicht ganz erschlossen.
„Was hat das jetzt also mit der Party auf sich?", versuche ich abzulenken.
Tatsächlich beschäftige ich mich lieber mit einer dummen Party unter der Woche anstatt mit Kilian, Elijah und Noel.
Wenn ich mir den Kopf darüber zerbreche, komme ich auch nicht weiter.
„Ein Typ aus der Uni feiert eine große Party bei sich zu Hause.
Da ist so ziemlich jeder eingeladen, obwohl im Endeffekt keiner seinen Namen kennt, aber Hauptsache feiern und trinken. Zumindest für die anderen", erklärt er, packt seine Schreibmaterialien aus und checkt kurz die Uhrzeit auf seinem Smartphone.
Meine Freude hält sich in Grenzen, vor allem, wenn ich daran denke, wer dort alles sein wird.
„Und du meinst wirklich, dass das eine gute Idee ist, dort hinzugehen?"
In Anbetracht der momentan Situation scheint es mir nicht die beste Lösung zu sein, auf eine Party zu gehen.
„Kilian und Elijah streiten sich, du bist sauer, weil sie sich auf deiner Geburtstagsfeier gestritten haben, Kilian ist sauer auf mich, ich bin sauer auf Elijah, Noel ist sauer auf mich." Und Lorina wird sicherlich auch dort sein, kommt es mir in den Sinn.
„Wer ist hier eigentlich nicht auf irgendwen sauer?
Kilian und Elijah sollen sich zusammenreißen, keine Weicheier sein und sich vertragen, genauso wie Noel und du und Elijah und du.
Und ich bin nicht mehr sauer auf die beiden.
Sie haben sich entschuldigt und im Endeffekt war es nur ein Geburtstag.
Was soll's."
So einfach stelle ich mir das nicht vor, aber ich weiß jetzt schon, dass Luan mir keine Wahl lassen wird.
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Herz aus Glas
Novela JuvenilEin Jahr ist es her, dass Alvas fester Freund verstorben ist. Der Verlust von Milan und kurz darauf der von ihrer Mutter, hat das junge Mädchen in ein tiefes Loch gerissen. Zusammen mit ihrem Vater und jüngerem Bruder, will die 19-Jährige in einer...